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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasien

dition von Roberts bestätigt hat. "Ein zweites Verteidigungsmittel gegen die
Russen wäre ein Druck auf ihre (strategische) rechte Flanke. Es ist bekannt,
in welchem Abhängigkeitsverhältnis Persien zu Nußland steht, und daß Persien
geradezu als ein Vasallenstaat Rußlands erscheint. Es müßte also in den
Persern erst der Nationalstolz künstlich geweckt werden, wollte man sie gegen
Rußland ausspielen. Wenn nun aber England, mit Persien verbündet, nach
Teheran und an das Südufer des Kaspischen Meeres starke Truppen werfen
könnte, so stünde es in der Flanke der Operationslinien von Krasnowodsk
und Orenburg nach Herat und Kabul. Da die Russen im Vorgehn diese
Linien als ihre Verbindungen im Rücken decken müßten, so würde ihr Flügel
in der Luft schweben und den Stößen der Turkmenen ausgesetzt sein, deren
Aufwieglung, Organisierung und Bewaffnung verhältnismäßig leicht ist. Nach
der Besetzung von Teheran als Basis kann die englische Armee im Bündnis
mit der türkischen auf Tiflis marschieren, die Kaukasusvölker zum Aufstand
veranlassen und all die verborgnen Kräfte Asiens im Glaubenskriege gegen
Rußland entfesseln. Ähnliches war schon 1854 geplant."

Es sei hierbei gelegentlich bemerkt, daß Currys Gedanken und Folgerungen
zehn Jahre später durch General Mac-Gregor wieder aufgenommen und weiter
entwickelt worden sind. Anderthalb Jahre nach dem Erscheinen von Currys
Schrift reichte M. D. Skobeljew, damals Militärgouverneur des soeben er¬
oberten Gebiets Ferghcma, dem General Kaufmann eine umfangreiche Denk¬
schrift über das Thema ein: Welche Bedeutung hat im Falle eines russisch¬
englischen Krieges Turkestan? Abgefaßt wurde diese Denkschrift im Hinblick
auf die damaligen politischen Ereignisse und die Möglichkeit eines Bruches
nicht nur mit der Türkei, sondern auch mit England. Skobeljew widmet die
gute Hälfte seiner Denkschrift Currys Ausführungen und setzt das feindselige
Verhalten der Engländer ins rechte Licht; sodann empfiehlt er eine Demon¬
stration in der Richtung auf Kabul und entwickelt die Chancen einer solchen.
"Die Erwerbung Turkestans durch Rußland, sagt er, geschah ganz und gar
zufällig und wurde uns, wie wenigstens unsre Staatsmänner oft genug erklärt
haben, eher eine Last, als daß sie wirklichen Nutzen gebracht hätte. Sobald
jedoch der Krieg an England erklärt ist, kann Turkestan kein Sonderinteresse
mehr beanspruchen und muß sich vielmehr den heiligsten Interessen Rußlands
zum Opfer bringen. Denn das, was wir alsdann mit einer Demonstration
gegen die Engländer in Indien aufs Spiel setzen, steht gar nicht im Ver¬
hältnis zu dem Gewinn, den im Falle des Gelingens eine solche Demon¬
stration für das große Ganze haben kann. Turkestan ist eben keine eigentliche
Kolonie und kann nach der Art seiner Unterwerfung wie seiner dauernden
Besetzung durch uns nicht anders als eine Basis für die geradezu von der
Vorsehung uns gewiesenen Operationslinien bezeichnet werden. Turkestan wird
bis jetzt auch eher durch den Zauber unsrer Ruhmesthaten der letzten zehn


Russen und Engländer in Zentralasien

dition von Roberts bestätigt hat. „Ein zweites Verteidigungsmittel gegen die
Russen wäre ein Druck auf ihre (strategische) rechte Flanke. Es ist bekannt,
in welchem Abhängigkeitsverhältnis Persien zu Nußland steht, und daß Persien
geradezu als ein Vasallenstaat Rußlands erscheint. Es müßte also in den
Persern erst der Nationalstolz künstlich geweckt werden, wollte man sie gegen
Rußland ausspielen. Wenn nun aber England, mit Persien verbündet, nach
Teheran und an das Südufer des Kaspischen Meeres starke Truppen werfen
könnte, so stünde es in der Flanke der Operationslinien von Krasnowodsk
und Orenburg nach Herat und Kabul. Da die Russen im Vorgehn diese
Linien als ihre Verbindungen im Rücken decken müßten, so würde ihr Flügel
in der Luft schweben und den Stößen der Turkmenen ausgesetzt sein, deren
Aufwieglung, Organisierung und Bewaffnung verhältnismäßig leicht ist. Nach
der Besetzung von Teheran als Basis kann die englische Armee im Bündnis
mit der türkischen auf Tiflis marschieren, die Kaukasusvölker zum Aufstand
veranlassen und all die verborgnen Kräfte Asiens im Glaubenskriege gegen
Rußland entfesseln. Ähnliches war schon 1854 geplant."

Es sei hierbei gelegentlich bemerkt, daß Currys Gedanken und Folgerungen
zehn Jahre später durch General Mac-Gregor wieder aufgenommen und weiter
entwickelt worden sind. Anderthalb Jahre nach dem Erscheinen von Currys
Schrift reichte M. D. Skobeljew, damals Militärgouverneur des soeben er¬
oberten Gebiets Ferghcma, dem General Kaufmann eine umfangreiche Denk¬
schrift über das Thema ein: Welche Bedeutung hat im Falle eines russisch¬
englischen Krieges Turkestan? Abgefaßt wurde diese Denkschrift im Hinblick
auf die damaligen politischen Ereignisse und die Möglichkeit eines Bruches
nicht nur mit der Türkei, sondern auch mit England. Skobeljew widmet die
gute Hälfte seiner Denkschrift Currys Ausführungen und setzt das feindselige
Verhalten der Engländer ins rechte Licht; sodann empfiehlt er eine Demon¬
stration in der Richtung auf Kabul und entwickelt die Chancen einer solchen.
„Die Erwerbung Turkestans durch Rußland, sagt er, geschah ganz und gar
zufällig und wurde uns, wie wenigstens unsre Staatsmänner oft genug erklärt
haben, eher eine Last, als daß sie wirklichen Nutzen gebracht hätte. Sobald
jedoch der Krieg an England erklärt ist, kann Turkestan kein Sonderinteresse
mehr beanspruchen und muß sich vielmehr den heiligsten Interessen Rußlands
zum Opfer bringen. Denn das, was wir alsdann mit einer Demonstration
gegen die Engländer in Indien aufs Spiel setzen, steht gar nicht im Ver¬
hältnis zu dem Gewinn, den im Falle des Gelingens eine solche Demon¬
stration für das große Ganze haben kann. Turkestan ist eben keine eigentliche
Kolonie und kann nach der Art seiner Unterwerfung wie seiner dauernden
Besetzung durch uns nicht anders als eine Basis für die geradezu von der
Vorsehung uns gewiesenen Operationslinien bezeichnet werden. Turkestan wird
bis jetzt auch eher durch den Zauber unsrer Ruhmesthaten der letzten zehn


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[0404] Russen und Engländer in Zentralasien dition von Roberts bestätigt hat. „Ein zweites Verteidigungsmittel gegen die Russen wäre ein Druck auf ihre (strategische) rechte Flanke. Es ist bekannt, in welchem Abhängigkeitsverhältnis Persien zu Nußland steht, und daß Persien geradezu als ein Vasallenstaat Rußlands erscheint. Es müßte also in den Persern erst der Nationalstolz künstlich geweckt werden, wollte man sie gegen Rußland ausspielen. Wenn nun aber England, mit Persien verbündet, nach Teheran und an das Südufer des Kaspischen Meeres starke Truppen werfen könnte, so stünde es in der Flanke der Operationslinien von Krasnowodsk und Orenburg nach Herat und Kabul. Da die Russen im Vorgehn diese Linien als ihre Verbindungen im Rücken decken müßten, so würde ihr Flügel in der Luft schweben und den Stößen der Turkmenen ausgesetzt sein, deren Aufwieglung, Organisierung und Bewaffnung verhältnismäßig leicht ist. Nach der Besetzung von Teheran als Basis kann die englische Armee im Bündnis mit der türkischen auf Tiflis marschieren, die Kaukasusvölker zum Aufstand veranlassen und all die verborgnen Kräfte Asiens im Glaubenskriege gegen Rußland entfesseln. Ähnliches war schon 1854 geplant." Es sei hierbei gelegentlich bemerkt, daß Currys Gedanken und Folgerungen zehn Jahre später durch General Mac-Gregor wieder aufgenommen und weiter entwickelt worden sind. Anderthalb Jahre nach dem Erscheinen von Currys Schrift reichte M. D. Skobeljew, damals Militärgouverneur des soeben er¬ oberten Gebiets Ferghcma, dem General Kaufmann eine umfangreiche Denk¬ schrift über das Thema ein: Welche Bedeutung hat im Falle eines russisch¬ englischen Krieges Turkestan? Abgefaßt wurde diese Denkschrift im Hinblick auf die damaligen politischen Ereignisse und die Möglichkeit eines Bruches nicht nur mit der Türkei, sondern auch mit England. Skobeljew widmet die gute Hälfte seiner Denkschrift Currys Ausführungen und setzt das feindselige Verhalten der Engländer ins rechte Licht; sodann empfiehlt er eine Demon¬ stration in der Richtung auf Kabul und entwickelt die Chancen einer solchen. „Die Erwerbung Turkestans durch Rußland, sagt er, geschah ganz und gar zufällig und wurde uns, wie wenigstens unsre Staatsmänner oft genug erklärt haben, eher eine Last, als daß sie wirklichen Nutzen gebracht hätte. Sobald jedoch der Krieg an England erklärt ist, kann Turkestan kein Sonderinteresse mehr beanspruchen und muß sich vielmehr den heiligsten Interessen Rußlands zum Opfer bringen. Denn das, was wir alsdann mit einer Demonstration gegen die Engländer in Indien aufs Spiel setzen, steht gar nicht im Ver¬ hältnis zu dem Gewinn, den im Falle des Gelingens eine solche Demon¬ stration für das große Ganze haben kann. Turkestan ist eben keine eigentliche Kolonie und kann nach der Art seiner Unterwerfung wie seiner dauernden Besetzung durch uns nicht anders als eine Basis für die geradezu von der Vorsehung uns gewiesenen Operationslinien bezeichnet werden. Turkestan wird bis jetzt auch eher durch den Zauber unsrer Ruhmesthaten der letzten zehn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/404>, abgerufen am 15.01.2025.