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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasien

niemals eingegangen -- im Gegenteil, jeder, der einmal mit England ver¬
bündet war, hat nur Schaden davon gehabt. Frankreich hat seinen Einfluß
in Indien und Ägypten, Holland seine industrielle und kommerzielle Bedeutung,
Spanien einen Teil seiner amerikanischen Besitzungen und Gibraltar, die Türkei
Cypern und Ägypten dabei eingebüßt. In allen unsern Türkenkriegen ist Eng¬
land offen oder heimlich unser schlimmster Feind gewesen.

Die Reihe unser Verhandlungen mit England über mittelasiatische Fragen
zeigt deutlich, wie eifersüchtig und futterneidisch das Kabinett von Se. James
jeden unsrer Schritte im Turkestan beobachtet hat. Als wir noch Tausende
von Werst von den Grenzen Ostindiens entfernt standen, sahen sie schon in
unsern Truppenverlegungen eine Bedrohung ihrer Grenzen. Der Chiwafeldzug
von 1873 veranlaßte ein Übereinkommen über die Interessensphären auf beiden
Seiten. Als aber zwei Jahre später die Expedition nach Ferghana aufbrach,
wurde in diplomatischen Kreisen darüber gesprochen, daß England alles
Ernstes verlangte, daß sie an dem Gebiet von Namcmgan halt machen solle.
K. P. Kaufmann überließ daraufhin das Kommando Skobeljew und reiste
eilends nach Petersburg, um dafür zu sorgen, daß dem militärischen Stand¬
punkt genügend Rechnung getragen werde, und er setzte bekanntlich sofort die
Einverleibung von Ferghana durch. Wir faßten damals festen Fuß im Pamir,
der uns als natürliche Grenzmauer von Ostindien scheidet. Jetzt beginnen die
fortwährenden diplomatischen Reibereien mit England, das außerdem geheime
und offiziell beglaubigte Agenten in alle Länder rund um das russische Turkestan
herum entsandte, so z. B. zu Jakub-Bey nach Kaschgar, nach Teke und nach
Merw. Gleichzeitig nahm die englische Regierung, während doch Gladstone
in seinen Reden für die Bulgaren eintrat, und Sympathiekundgebungen für
dieses Volk in London begünstigt wurden, zur Zeit des orientalischen Krieges
eine uns entschieden feindliche Haltung ein. Auf diese Zeit beziehen sich die
folgenden, die lebhaftesten Besorgnisse vor unserm Vorwärtsdringen verratenden
Äußerungen Currys in seinem oben erwähnten Werke: "Nach der Einverleibung
von Ferghana ist die nächste Etappe der Russen Merw, und dann gehts auf
Herat, Kabul und Kandahar, sobald ihre politischen Interessen dies erfordern.
Der weite Weg von Ssamarkand nach Kabul bietet jetzt für die Russen weniger
Schwierigkeiten als für die Engländer, wenn sie sich zum Vorgehn entschließen.
Die Grenzübergänge sind schon in ihren Händen, und mit jedem Schritt vor¬
wärts vergrößern sich die Vorteile ihrer strategischen Lage, sie haben die
Initiative und damit die Wahl des Ortes und der Zeit. Was ist zu thun?
Wie soll man den Russen entgegentreten? Die Nordwestgrenze Indiens ist in
strategischer Beziehung so unvorteilhaft, daß sie nicht gehalten werden kann.
Die beste Verteidigungsmaßnahme wäre die unverzügliche Besetzung von Kan¬
dahar, Ghasni und Kabul; aber sie würde ein großes Opfer an Menschen
und Geld kosten" - eine Vorhersage, die sich im Jahre 1879 bei der Expe-


Russen und Engländer in Zentralasien

niemals eingegangen — im Gegenteil, jeder, der einmal mit England ver¬
bündet war, hat nur Schaden davon gehabt. Frankreich hat seinen Einfluß
in Indien und Ägypten, Holland seine industrielle und kommerzielle Bedeutung,
Spanien einen Teil seiner amerikanischen Besitzungen und Gibraltar, die Türkei
Cypern und Ägypten dabei eingebüßt. In allen unsern Türkenkriegen ist Eng¬
land offen oder heimlich unser schlimmster Feind gewesen.

Die Reihe unser Verhandlungen mit England über mittelasiatische Fragen
zeigt deutlich, wie eifersüchtig und futterneidisch das Kabinett von Se. James
jeden unsrer Schritte im Turkestan beobachtet hat. Als wir noch Tausende
von Werst von den Grenzen Ostindiens entfernt standen, sahen sie schon in
unsern Truppenverlegungen eine Bedrohung ihrer Grenzen. Der Chiwafeldzug
von 1873 veranlaßte ein Übereinkommen über die Interessensphären auf beiden
Seiten. Als aber zwei Jahre später die Expedition nach Ferghana aufbrach,
wurde in diplomatischen Kreisen darüber gesprochen, daß England alles
Ernstes verlangte, daß sie an dem Gebiet von Namcmgan halt machen solle.
K. P. Kaufmann überließ daraufhin das Kommando Skobeljew und reiste
eilends nach Petersburg, um dafür zu sorgen, daß dem militärischen Stand¬
punkt genügend Rechnung getragen werde, und er setzte bekanntlich sofort die
Einverleibung von Ferghana durch. Wir faßten damals festen Fuß im Pamir,
der uns als natürliche Grenzmauer von Ostindien scheidet. Jetzt beginnen die
fortwährenden diplomatischen Reibereien mit England, das außerdem geheime
und offiziell beglaubigte Agenten in alle Länder rund um das russische Turkestan
herum entsandte, so z. B. zu Jakub-Bey nach Kaschgar, nach Teke und nach
Merw. Gleichzeitig nahm die englische Regierung, während doch Gladstone
in seinen Reden für die Bulgaren eintrat, und Sympathiekundgebungen für
dieses Volk in London begünstigt wurden, zur Zeit des orientalischen Krieges
eine uns entschieden feindliche Haltung ein. Auf diese Zeit beziehen sich die
folgenden, die lebhaftesten Besorgnisse vor unserm Vorwärtsdringen verratenden
Äußerungen Currys in seinem oben erwähnten Werke: „Nach der Einverleibung
von Ferghana ist die nächste Etappe der Russen Merw, und dann gehts auf
Herat, Kabul und Kandahar, sobald ihre politischen Interessen dies erfordern.
Der weite Weg von Ssamarkand nach Kabul bietet jetzt für die Russen weniger
Schwierigkeiten als für die Engländer, wenn sie sich zum Vorgehn entschließen.
Die Grenzübergänge sind schon in ihren Händen, und mit jedem Schritt vor¬
wärts vergrößern sich die Vorteile ihrer strategischen Lage, sie haben die
Initiative und damit die Wahl des Ortes und der Zeit. Was ist zu thun?
Wie soll man den Russen entgegentreten? Die Nordwestgrenze Indiens ist in
strategischer Beziehung so unvorteilhaft, daß sie nicht gehalten werden kann.
Die beste Verteidigungsmaßnahme wäre die unverzügliche Besetzung von Kan¬
dahar, Ghasni und Kabul; aber sie würde ein großes Opfer an Menschen
und Geld kosten" - eine Vorhersage, die sich im Jahre 1879 bei der Expe-


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[0403] Russen und Engländer in Zentralasien niemals eingegangen — im Gegenteil, jeder, der einmal mit England ver¬ bündet war, hat nur Schaden davon gehabt. Frankreich hat seinen Einfluß in Indien und Ägypten, Holland seine industrielle und kommerzielle Bedeutung, Spanien einen Teil seiner amerikanischen Besitzungen und Gibraltar, die Türkei Cypern und Ägypten dabei eingebüßt. In allen unsern Türkenkriegen ist Eng¬ land offen oder heimlich unser schlimmster Feind gewesen. Die Reihe unser Verhandlungen mit England über mittelasiatische Fragen zeigt deutlich, wie eifersüchtig und futterneidisch das Kabinett von Se. James jeden unsrer Schritte im Turkestan beobachtet hat. Als wir noch Tausende von Werst von den Grenzen Ostindiens entfernt standen, sahen sie schon in unsern Truppenverlegungen eine Bedrohung ihrer Grenzen. Der Chiwafeldzug von 1873 veranlaßte ein Übereinkommen über die Interessensphären auf beiden Seiten. Als aber zwei Jahre später die Expedition nach Ferghana aufbrach, wurde in diplomatischen Kreisen darüber gesprochen, daß England alles Ernstes verlangte, daß sie an dem Gebiet von Namcmgan halt machen solle. K. P. Kaufmann überließ daraufhin das Kommando Skobeljew und reiste eilends nach Petersburg, um dafür zu sorgen, daß dem militärischen Stand¬ punkt genügend Rechnung getragen werde, und er setzte bekanntlich sofort die Einverleibung von Ferghana durch. Wir faßten damals festen Fuß im Pamir, der uns als natürliche Grenzmauer von Ostindien scheidet. Jetzt beginnen die fortwährenden diplomatischen Reibereien mit England, das außerdem geheime und offiziell beglaubigte Agenten in alle Länder rund um das russische Turkestan herum entsandte, so z. B. zu Jakub-Bey nach Kaschgar, nach Teke und nach Merw. Gleichzeitig nahm die englische Regierung, während doch Gladstone in seinen Reden für die Bulgaren eintrat, und Sympathiekundgebungen für dieses Volk in London begünstigt wurden, zur Zeit des orientalischen Krieges eine uns entschieden feindliche Haltung ein. Auf diese Zeit beziehen sich die folgenden, die lebhaftesten Besorgnisse vor unserm Vorwärtsdringen verratenden Äußerungen Currys in seinem oben erwähnten Werke: „Nach der Einverleibung von Ferghana ist die nächste Etappe der Russen Merw, und dann gehts auf Herat, Kabul und Kandahar, sobald ihre politischen Interessen dies erfordern. Der weite Weg von Ssamarkand nach Kabul bietet jetzt für die Russen weniger Schwierigkeiten als für die Engländer, wenn sie sich zum Vorgehn entschließen. Die Grenzübergänge sind schon in ihren Händen, und mit jedem Schritt vor¬ wärts vergrößern sich die Vorteile ihrer strategischen Lage, sie haben die Initiative und damit die Wahl des Ortes und der Zeit. Was ist zu thun? Wie soll man den Russen entgegentreten? Die Nordwestgrenze Indiens ist in strategischer Beziehung so unvorteilhaft, daß sie nicht gehalten werden kann. Die beste Verteidigungsmaßnahme wäre die unverzügliche Besetzung von Kan¬ dahar, Ghasni und Kabul; aber sie würde ein großes Opfer an Menschen und Geld kosten" - eine Vorhersage, die sich im Jahre 1879 bei der Expe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/403>, abgerufen am 15.01.2025.