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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Russen und Engländer in Zentralasien

ziehungen wird bringen lassen. Mit der kürzlich erfolgten Betriebseröffnung
der Strecke Merw-Kuschk sind wir auf hundert und einige Werst an Herat
herangelangt,") von wo aus bis zur englischen Eisenbahn-Endstation Chainan
nur noch etwa 700 Werst Karawanenstraße über Sscibsawar, Farah, Girischl
und Kandahar übrig bleiben, mit andern Worten: die Vorposten sind nur
etwa dreißig Tagemarsche von einander entfernt.

Turkestan ist kein Indien. Indien ist eine Welt für sich, in der die Engländer
begreiflicherweise zur Befestigung ihrer Macht zwei und ein halbes Jahrhundert
gebraucht haben. Sie kamen zur glücklichen Stunde dahin, als die Mongolen¬
herrschaft zu zerfallen begann, aber sie hatten schwere Krisen zu überstehn.
Schon in der ersten Zeit ihrer Herrschaft wurde Hindostan durch den Einfall
des Schah Nadir ernsthaft beunruhigt; erst im vorigen Jahrhundert wurden die
Franzosen endgiltig verdrängt und ihres Einflusses beraubt. Ausgangs der
fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde der dritte, gefährlichste Aufstand
der Seapoys bewältigt, und erst seit dieser Zeit kann Indien bis zum Himalaya
als ein Nebenland der britischen Krone angesehen werden. Alle weitern Unter¬
nehmungen, wie die Feldzüge gegen Afghanistan und die Bergvölker sind feind¬
selige Maßnahmen, mindestens Äußerungen des Übelwollens der Engländer
gegen unsre Erfolge in Innerasien.

Die Engländer traten mit den afghanischen Emiren in engere Beziehungen,
als das Gerücht von dem Plan einer gemeinsamen Expedition nach Indien
-- wie sie der Konsul Bonaparte dem Kaiser Paul I. vorschlug -- in der
englischen Presse besprochen wurde. Eine militärisch-politische Mission ging
nach Afghanistan und Persien und ließ durch eigens dazu kommandierte Offi¬
ziere die für einen Krieg in Betracht kommenden Fragen bearbeiten. Seitdem
haben die von ihren Eroberungskriegen her an die feindselige doppelzüngige
Politik des Orients gewöhnten Engländer begonnen, sich gegen die von Norden
drohende Gefahr zu sichern. Im Jahre 1809 schloß Lord Elphinstone einen
Defensivvertrag mit dem Schah Schuja ab. Jedoch wurden mit dem Ein¬
treffen der ersten russischen Gesandtschaft in Kabul im Jahre 1837 die bis
dahin freundschaftlichen Beziehungen der Engländer zu den Afghanen unter¬
brochen- Der damals zur Herrschaft gelangte Dose-Mahomet-Chan forderte
vou den Engländer" die Rückgabe von Peschawar: dies wurde die Ursache des
ersten Afghanenkriegs. Mit ihm steht die Belagerung Herats durch die Perser
in Beziehung. Diese Belagerung zog sich, obgleich der von unsrer Negierung
mit dem Bevollmächtigten Grafen Ssimonitsch dorthin entsandte Oberst
Vlaramberg die Leitung der Arbeiten übernommen hatte, infolge der trostlosen
Organisation der persischen Streitkräfte überaus lauge hin und wurde schlie߬
lich auf das Verlangen des englischen Gesandten Mac-Real aufgehoben; dem



D. h, ein Kosakmn'siimmt kam jetzt in zwei Tagen nach Herat reiten! A, d, Und,
Grenzboten III 1899 50
Russen und Engländer in Zentralasien

ziehungen wird bringen lassen. Mit der kürzlich erfolgten Betriebseröffnung
der Strecke Merw-Kuschk sind wir auf hundert und einige Werst an Herat
herangelangt,") von wo aus bis zur englischen Eisenbahn-Endstation Chainan
nur noch etwa 700 Werst Karawanenstraße über Sscibsawar, Farah, Girischl
und Kandahar übrig bleiben, mit andern Worten: die Vorposten sind nur
etwa dreißig Tagemarsche von einander entfernt.

Turkestan ist kein Indien. Indien ist eine Welt für sich, in der die Engländer
begreiflicherweise zur Befestigung ihrer Macht zwei und ein halbes Jahrhundert
gebraucht haben. Sie kamen zur glücklichen Stunde dahin, als die Mongolen¬
herrschaft zu zerfallen begann, aber sie hatten schwere Krisen zu überstehn.
Schon in der ersten Zeit ihrer Herrschaft wurde Hindostan durch den Einfall
des Schah Nadir ernsthaft beunruhigt; erst im vorigen Jahrhundert wurden die
Franzosen endgiltig verdrängt und ihres Einflusses beraubt. Ausgangs der
fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde der dritte, gefährlichste Aufstand
der Seapoys bewältigt, und erst seit dieser Zeit kann Indien bis zum Himalaya
als ein Nebenland der britischen Krone angesehen werden. Alle weitern Unter¬
nehmungen, wie die Feldzüge gegen Afghanistan und die Bergvölker sind feind¬
selige Maßnahmen, mindestens Äußerungen des Übelwollens der Engländer
gegen unsre Erfolge in Innerasien.

Die Engländer traten mit den afghanischen Emiren in engere Beziehungen,
als das Gerücht von dem Plan einer gemeinsamen Expedition nach Indien
— wie sie der Konsul Bonaparte dem Kaiser Paul I. vorschlug — in der
englischen Presse besprochen wurde. Eine militärisch-politische Mission ging
nach Afghanistan und Persien und ließ durch eigens dazu kommandierte Offi¬
ziere die für einen Krieg in Betracht kommenden Fragen bearbeiten. Seitdem
haben die von ihren Eroberungskriegen her an die feindselige doppelzüngige
Politik des Orients gewöhnten Engländer begonnen, sich gegen die von Norden
drohende Gefahr zu sichern. Im Jahre 1809 schloß Lord Elphinstone einen
Defensivvertrag mit dem Schah Schuja ab. Jedoch wurden mit dem Ein¬
treffen der ersten russischen Gesandtschaft in Kabul im Jahre 1837 die bis
dahin freundschaftlichen Beziehungen der Engländer zu den Afghanen unter¬
brochen- Der damals zur Herrschaft gelangte Dose-Mahomet-Chan forderte
vou den Engländer» die Rückgabe von Peschawar: dies wurde die Ursache des
ersten Afghanenkriegs. Mit ihm steht die Belagerung Herats durch die Perser
in Beziehung. Diese Belagerung zog sich, obgleich der von unsrer Negierung
mit dem Bevollmächtigten Grafen Ssimonitsch dorthin entsandte Oberst
Vlaramberg die Leitung der Arbeiten übernommen hatte, infolge der trostlosen
Organisation der persischen Streitkräfte überaus lauge hin und wurde schlie߬
lich auf das Verlangen des englischen Gesandten Mac-Real aufgehoben; dem



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Grenzboten III 1899 50
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[0401] Russen und Engländer in Zentralasien ziehungen wird bringen lassen. Mit der kürzlich erfolgten Betriebseröffnung der Strecke Merw-Kuschk sind wir auf hundert und einige Werst an Herat herangelangt,") von wo aus bis zur englischen Eisenbahn-Endstation Chainan nur noch etwa 700 Werst Karawanenstraße über Sscibsawar, Farah, Girischl und Kandahar übrig bleiben, mit andern Worten: die Vorposten sind nur etwa dreißig Tagemarsche von einander entfernt. Turkestan ist kein Indien. Indien ist eine Welt für sich, in der die Engländer begreiflicherweise zur Befestigung ihrer Macht zwei und ein halbes Jahrhundert gebraucht haben. Sie kamen zur glücklichen Stunde dahin, als die Mongolen¬ herrschaft zu zerfallen begann, aber sie hatten schwere Krisen zu überstehn. Schon in der ersten Zeit ihrer Herrschaft wurde Hindostan durch den Einfall des Schah Nadir ernsthaft beunruhigt; erst im vorigen Jahrhundert wurden die Franzosen endgiltig verdrängt und ihres Einflusses beraubt. Ausgangs der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts wurde der dritte, gefährlichste Aufstand der Seapoys bewältigt, und erst seit dieser Zeit kann Indien bis zum Himalaya als ein Nebenland der britischen Krone angesehen werden. Alle weitern Unter¬ nehmungen, wie die Feldzüge gegen Afghanistan und die Bergvölker sind feind¬ selige Maßnahmen, mindestens Äußerungen des Übelwollens der Engländer gegen unsre Erfolge in Innerasien. Die Engländer traten mit den afghanischen Emiren in engere Beziehungen, als das Gerücht von dem Plan einer gemeinsamen Expedition nach Indien — wie sie der Konsul Bonaparte dem Kaiser Paul I. vorschlug — in der englischen Presse besprochen wurde. Eine militärisch-politische Mission ging nach Afghanistan und Persien und ließ durch eigens dazu kommandierte Offi¬ ziere die für einen Krieg in Betracht kommenden Fragen bearbeiten. Seitdem haben die von ihren Eroberungskriegen her an die feindselige doppelzüngige Politik des Orients gewöhnten Engländer begonnen, sich gegen die von Norden drohende Gefahr zu sichern. Im Jahre 1809 schloß Lord Elphinstone einen Defensivvertrag mit dem Schah Schuja ab. Jedoch wurden mit dem Ein¬ treffen der ersten russischen Gesandtschaft in Kabul im Jahre 1837 die bis dahin freundschaftlichen Beziehungen der Engländer zu den Afghanen unter¬ brochen- Der damals zur Herrschaft gelangte Dose-Mahomet-Chan forderte vou den Engländer» die Rückgabe von Peschawar: dies wurde die Ursache des ersten Afghanenkriegs. Mit ihm steht die Belagerung Herats durch die Perser in Beziehung. Diese Belagerung zog sich, obgleich der von unsrer Negierung mit dem Bevollmächtigten Grafen Ssimonitsch dorthin entsandte Oberst Vlaramberg die Leitung der Arbeiten übernommen hatte, infolge der trostlosen Organisation der persischen Streitkräfte überaus lauge hin und wurde schlie߬ lich auf das Verlangen des englischen Gesandten Mac-Real aufgehoben; dem D. h, ein Kosakmn'siimmt kam jetzt in zwei Tagen nach Herat reiten! A, d, Und, Grenzboten III 1899 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/401>, abgerufen am 15.01.2025.