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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Berliner liunstausstellnngett

den einheimischen Künstlern eine so starke Mißstimmung hervorgerufen, dnß
man von einer häufigen Wiederholung großer Ausstellungen internationalen
Charakters Abstand genommen hat. Seitdem die Leiter der privaten Kunst¬
ausstellungen Berlins ausländische Kunstware mit Entäußerung jeder Kritik
das ganze Jahr massenhaft einführen, liegt auch gar kein Bedürfnis nach einer
internationalen Kunstausstellung war. Was von ausländischen Kunstwerken
trotzdem einläuft, meist wohl durch die Vermittlung von Kunsthändlern oder
von Besitzern, die ihre Freude am Erworbnen auch von andern Leuten teilen lassen
wollen, das wird natürlich gern genommen. So finden wir wieder zahlreiche
italienische und spanische Bilder, deren Schöpfer, wenn ihnen der jetzige Stand
des Kunsthandels anch nicht mehr so günstig ist wie vor Jahren, doch mit
zäher Energie an der Schilderung ihres Volkstums festhalten und sich auch
in ihren Darstellungsformen, wenn man von vereinzelten Erscheinungen absieht,
durch die von Paris in die Welt gehenden Modestrvmungen in der Malerei
nicht beirren lassen. Wie ganz anders sieht es dagegen in der deutschen Malerei
aus, wo die Nachäffung alles Fremdländischen, ein anscheinend unausrottbarer
Grundfehler deutschen Wesens, schließlich dahin geführt hat, daß die Darstellung
deutschen Volkstums, das Sitten- oder Genrebild, viele Jahrzehnte lang der
Stolz der deutschen Malerei, fast ganz zu Grunde gegangen ist. Predigt doch
die neue Kunstlehre, die jetzt schon in offiziellen Festreden verkündigt und als
das Heil der Zukunft gepriesen wird, daß die rein malerische Kraft und die
hinter ihr steckende Persönlichkeit alles, der Inhalt eines Kunstwerks nichts
bedeute, und mit Hohn und Spott werden alle übergössen, die in der Malerei
noch das "novellistische Element" pflegen, d. h. der Meinung sind, daß auch
der Inhalt eines Kunstwerks etwas bedeuten müsse, daß die Kunst auch ethische
Zwecke zu verfolgen habe, und daß ihre Mission nicht beendet sei, wenn sie
einer mit besonders verfeinerten Sehorganen ausgestatteten Minderheit durch die
Entfaltung koloristischen Virtuvsentums eine Augenweide oder auch nur einen
flüchtigen Augenkitzel bereitet habe.

Es ist auffallend, daß dieser fanatische Sturmlauf gegen die deutsche
Genremalerei, gegen das Festhalten an nationalem Wesen, das höhnisch
als "Chinesentum" abgethan wird, in Berlin viel mehr Erfolg gehabt hat
als in München, wo doch die moderne Bewegung zuerst begeisterten Jubel
hervorgerufen und einen fruchtbaren Boden gefunden hat. Das hat wohl
darin seinen Grund, daß der Münchner Maler doch mit dem bayrischen Volks-
tum, das er immer in nächster Nähe vor sich sieht, so eng verwachsen ist, daß
er sich, auch wenn ihn zeitweilig Modestrvmungen abseits führen, immer wieder
nach dem Boden sehnt, in dem seine Kunst wurzelt. In Berlin und seiner
Umgebung fehlt es den Künstlern dagegen an der Anschauung urwüchsigen
Volkstums, und es scheint auch kein Bedürfnis vorhanden zu sein, sie zu ge¬
winnen, weil es an dem Sporn der Überlieferung fehlt. Die Berlinische


Die großen Berliner liunstausstellnngett

den einheimischen Künstlern eine so starke Mißstimmung hervorgerufen, dnß
man von einer häufigen Wiederholung großer Ausstellungen internationalen
Charakters Abstand genommen hat. Seitdem die Leiter der privaten Kunst¬
ausstellungen Berlins ausländische Kunstware mit Entäußerung jeder Kritik
das ganze Jahr massenhaft einführen, liegt auch gar kein Bedürfnis nach einer
internationalen Kunstausstellung war. Was von ausländischen Kunstwerken
trotzdem einläuft, meist wohl durch die Vermittlung von Kunsthändlern oder
von Besitzern, die ihre Freude am Erworbnen auch von andern Leuten teilen lassen
wollen, das wird natürlich gern genommen. So finden wir wieder zahlreiche
italienische und spanische Bilder, deren Schöpfer, wenn ihnen der jetzige Stand
des Kunsthandels anch nicht mehr so günstig ist wie vor Jahren, doch mit
zäher Energie an der Schilderung ihres Volkstums festhalten und sich auch
in ihren Darstellungsformen, wenn man von vereinzelten Erscheinungen absieht,
durch die von Paris in die Welt gehenden Modestrvmungen in der Malerei
nicht beirren lassen. Wie ganz anders sieht es dagegen in der deutschen Malerei
aus, wo die Nachäffung alles Fremdländischen, ein anscheinend unausrottbarer
Grundfehler deutschen Wesens, schließlich dahin geführt hat, daß die Darstellung
deutschen Volkstums, das Sitten- oder Genrebild, viele Jahrzehnte lang der
Stolz der deutschen Malerei, fast ganz zu Grunde gegangen ist. Predigt doch
die neue Kunstlehre, die jetzt schon in offiziellen Festreden verkündigt und als
das Heil der Zukunft gepriesen wird, daß die rein malerische Kraft und die
hinter ihr steckende Persönlichkeit alles, der Inhalt eines Kunstwerks nichts
bedeute, und mit Hohn und Spott werden alle übergössen, die in der Malerei
noch das „novellistische Element" pflegen, d. h. der Meinung sind, daß auch
der Inhalt eines Kunstwerks etwas bedeuten müsse, daß die Kunst auch ethische
Zwecke zu verfolgen habe, und daß ihre Mission nicht beendet sei, wenn sie
einer mit besonders verfeinerten Sehorganen ausgestatteten Minderheit durch die
Entfaltung koloristischen Virtuvsentums eine Augenweide oder auch nur einen
flüchtigen Augenkitzel bereitet habe.

Es ist auffallend, daß dieser fanatische Sturmlauf gegen die deutsche
Genremalerei, gegen das Festhalten an nationalem Wesen, das höhnisch
als „Chinesentum" abgethan wird, in Berlin viel mehr Erfolg gehabt hat
als in München, wo doch die moderne Bewegung zuerst begeisterten Jubel
hervorgerufen und einen fruchtbaren Boden gefunden hat. Das hat wohl
darin seinen Grund, daß der Münchner Maler doch mit dem bayrischen Volks-
tum, das er immer in nächster Nähe vor sich sieht, so eng verwachsen ist, daß
er sich, auch wenn ihn zeitweilig Modestrvmungen abseits führen, immer wieder
nach dem Boden sehnt, in dem seine Kunst wurzelt. In Berlin und seiner
Umgebung fehlt es den Künstlern dagegen an der Anschauung urwüchsigen
Volkstums, und es scheint auch kein Bedürfnis vorhanden zu sein, sie zu ge¬
winnen, weil es an dem Sporn der Überlieferung fehlt. Die Berlinische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/40>, abgerufen am 15.01.2025.