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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Berliner Runstausstellungen

als betrete er einen südlichen Hain, aus dem ihm Marmorbilder entgegen¬
blinken. Es ist begreiflich, daß die Wirkung der meisten Bildwerke durch
einen solchen Hintergrund sehr gesteigert wird, und es scheint auch, daß die
große Mehrzahl unsrer Bildhauer in der Schaffung eines wirksamen Hinter¬
grunds das sicherste Mittel sieht, dem Marmor und besonders dem Gips
wenigstens den Schein des Lebens zu geben. Denn die Polhchromie, für die
eine Zeit lang alle Welt schwärmte, und von der man eine völlige Umwälzung
in der modernen Plastik erwartete, scheint weder die Künstler befriedigt, noch
im Publikum einen fruchtbaren Boden gefunden zu haben. Hie und da werden
wohl noch Versuche mit Bemalung von Werken der Kleinplastik gemacht, von
denen auch einer auf der großen Kunstausstellung in einer kleinen, "Jung
Deutschland" benannten Kuabenbüste vou Johannes Schichtmeyer zu sehen ist;
aber die Mehrheit der Bildhauer hat doch eingesehen, daß bei bemalten lebens¬
großen Figuren und namentlich Büsten selbst bei feinster und lebensvollster
Charakteristik im einzelnen die Gefahr, den Eindruck bemalter Wachsfiguren
hervorzurufen, nicht vermieden werden kann. Selbst auf der Ausstellung der
Sezession, die doch ein Spiegelbild der fortschrittlichen Bewegungen in Malerei
und Plastik bieten will, ist nur ein einziges, mit natürlichen Farben bemaltes
Bildwerk vorhanden, die Büste des Malers von Gleichen-Rußwurm von Max
Kruse, einem Künstler von besondrer Begabung für scharfe und lebendige Indi¬
vidualisierung, und auch sie liefert einen neuen Beitrag zu der Erfahrung,
daß im besten Falle nur die Wirkung eines gefärbten Wachsbildes mit seinen
ungünstigen, an geschminkte Leichen erinnernden Eigenschaften erreicht werden
kann. Derselbe Künstler hat einen viel höhern Grad von Lebenswahrheit und
Lebendigkeit mit einer Büste des geisteskranken Philosophen Nietzsche aus weißem,
ungetöntem Marmor allein durch die geschickte technische Behandlung des
Materials ohne fremde Zuthaten erreicht.

Noch andre Versuche, die Ausstellungssäle behaglicher und für die Wir¬
kung der einzelnen Kunstwerke günstiger zu gestalten, sind durch Bespannung
der Wände und Belegung der Fußböden mit starkfarbigen Stoffen, zunächst
zur Probe in zwei Räumen, durch festliche Ausschmückung einzelner Räume,
besonders von dem, worin die Bereinigung Berliner Architekten ihre Sonder¬
ausstellung veranstaltet hat, durch Verbesserung der Beleuchtung u. dergl. in.
gemacht worden. Aber wie dankens- und nachahmungswert auch diese auf eine
Reform unsers Ausstellungswesens gerichteten Bestrebungen sind -- am Ende
entscheidet nicht der Rahmen einer Ausstellung, sondern ihr Inhalt über ihren
Wert. Auch nach dieser Richtung hin hat es die Ausstellungsleitung nicht an
Bemühungen fehlen lassen. Auf eine starke Heranziehung des Auslands hat man
freilich aus verschiednen Gründen verzichtet. Die bisherigen Erfahrungen haben
gelehrt, daß der dadurch verursachte Kostenaufwand in keinem Verhältnis zu dem
erreichten Nutze" steht, und überdies hat die Bevorzugung des Auslands unter


Die großen Berliner Runstausstellungen

als betrete er einen südlichen Hain, aus dem ihm Marmorbilder entgegen¬
blinken. Es ist begreiflich, daß die Wirkung der meisten Bildwerke durch
einen solchen Hintergrund sehr gesteigert wird, und es scheint auch, daß die
große Mehrzahl unsrer Bildhauer in der Schaffung eines wirksamen Hinter¬
grunds das sicherste Mittel sieht, dem Marmor und besonders dem Gips
wenigstens den Schein des Lebens zu geben. Denn die Polhchromie, für die
eine Zeit lang alle Welt schwärmte, und von der man eine völlige Umwälzung
in der modernen Plastik erwartete, scheint weder die Künstler befriedigt, noch
im Publikum einen fruchtbaren Boden gefunden zu haben. Hie und da werden
wohl noch Versuche mit Bemalung von Werken der Kleinplastik gemacht, von
denen auch einer auf der großen Kunstausstellung in einer kleinen, „Jung
Deutschland" benannten Kuabenbüste vou Johannes Schichtmeyer zu sehen ist;
aber die Mehrheit der Bildhauer hat doch eingesehen, daß bei bemalten lebens¬
großen Figuren und namentlich Büsten selbst bei feinster und lebensvollster
Charakteristik im einzelnen die Gefahr, den Eindruck bemalter Wachsfiguren
hervorzurufen, nicht vermieden werden kann. Selbst auf der Ausstellung der
Sezession, die doch ein Spiegelbild der fortschrittlichen Bewegungen in Malerei
und Plastik bieten will, ist nur ein einziges, mit natürlichen Farben bemaltes
Bildwerk vorhanden, die Büste des Malers von Gleichen-Rußwurm von Max
Kruse, einem Künstler von besondrer Begabung für scharfe und lebendige Indi¬
vidualisierung, und auch sie liefert einen neuen Beitrag zu der Erfahrung,
daß im besten Falle nur die Wirkung eines gefärbten Wachsbildes mit seinen
ungünstigen, an geschminkte Leichen erinnernden Eigenschaften erreicht werden
kann. Derselbe Künstler hat einen viel höhern Grad von Lebenswahrheit und
Lebendigkeit mit einer Büste des geisteskranken Philosophen Nietzsche aus weißem,
ungetöntem Marmor allein durch die geschickte technische Behandlung des
Materials ohne fremde Zuthaten erreicht.

Noch andre Versuche, die Ausstellungssäle behaglicher und für die Wir¬
kung der einzelnen Kunstwerke günstiger zu gestalten, sind durch Bespannung
der Wände und Belegung der Fußböden mit starkfarbigen Stoffen, zunächst
zur Probe in zwei Räumen, durch festliche Ausschmückung einzelner Räume,
besonders von dem, worin die Bereinigung Berliner Architekten ihre Sonder¬
ausstellung veranstaltet hat, durch Verbesserung der Beleuchtung u. dergl. in.
gemacht worden. Aber wie dankens- und nachahmungswert auch diese auf eine
Reform unsers Ausstellungswesens gerichteten Bestrebungen sind — am Ende
entscheidet nicht der Rahmen einer Ausstellung, sondern ihr Inhalt über ihren
Wert. Auch nach dieser Richtung hin hat es die Ausstellungsleitung nicht an
Bemühungen fehlen lassen. Auf eine starke Heranziehung des Auslands hat man
freilich aus verschiednen Gründen verzichtet. Die bisherigen Erfahrungen haben
gelehrt, daß der dadurch verursachte Kostenaufwand in keinem Verhältnis zu dem
erreichten Nutze» steht, und überdies hat die Bevorzugung des Auslands unter


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[0039] Die großen Berliner Runstausstellungen als betrete er einen südlichen Hain, aus dem ihm Marmorbilder entgegen¬ blinken. Es ist begreiflich, daß die Wirkung der meisten Bildwerke durch einen solchen Hintergrund sehr gesteigert wird, und es scheint auch, daß die große Mehrzahl unsrer Bildhauer in der Schaffung eines wirksamen Hinter¬ grunds das sicherste Mittel sieht, dem Marmor und besonders dem Gips wenigstens den Schein des Lebens zu geben. Denn die Polhchromie, für die eine Zeit lang alle Welt schwärmte, und von der man eine völlige Umwälzung in der modernen Plastik erwartete, scheint weder die Künstler befriedigt, noch im Publikum einen fruchtbaren Boden gefunden zu haben. Hie und da werden wohl noch Versuche mit Bemalung von Werken der Kleinplastik gemacht, von denen auch einer auf der großen Kunstausstellung in einer kleinen, „Jung Deutschland" benannten Kuabenbüste vou Johannes Schichtmeyer zu sehen ist; aber die Mehrheit der Bildhauer hat doch eingesehen, daß bei bemalten lebens¬ großen Figuren und namentlich Büsten selbst bei feinster und lebensvollster Charakteristik im einzelnen die Gefahr, den Eindruck bemalter Wachsfiguren hervorzurufen, nicht vermieden werden kann. Selbst auf der Ausstellung der Sezession, die doch ein Spiegelbild der fortschrittlichen Bewegungen in Malerei und Plastik bieten will, ist nur ein einziges, mit natürlichen Farben bemaltes Bildwerk vorhanden, die Büste des Malers von Gleichen-Rußwurm von Max Kruse, einem Künstler von besondrer Begabung für scharfe und lebendige Indi¬ vidualisierung, und auch sie liefert einen neuen Beitrag zu der Erfahrung, daß im besten Falle nur die Wirkung eines gefärbten Wachsbildes mit seinen ungünstigen, an geschminkte Leichen erinnernden Eigenschaften erreicht werden kann. Derselbe Künstler hat einen viel höhern Grad von Lebenswahrheit und Lebendigkeit mit einer Büste des geisteskranken Philosophen Nietzsche aus weißem, ungetöntem Marmor allein durch die geschickte technische Behandlung des Materials ohne fremde Zuthaten erreicht. Noch andre Versuche, die Ausstellungssäle behaglicher und für die Wir¬ kung der einzelnen Kunstwerke günstiger zu gestalten, sind durch Bespannung der Wände und Belegung der Fußböden mit starkfarbigen Stoffen, zunächst zur Probe in zwei Räumen, durch festliche Ausschmückung einzelner Räume, besonders von dem, worin die Bereinigung Berliner Architekten ihre Sonder¬ ausstellung veranstaltet hat, durch Verbesserung der Beleuchtung u. dergl. in. gemacht worden. Aber wie dankens- und nachahmungswert auch diese auf eine Reform unsers Ausstellungswesens gerichteten Bestrebungen sind — am Ende entscheidet nicht der Rahmen einer Ausstellung, sondern ihr Inhalt über ihren Wert. Auch nach dieser Richtung hin hat es die Ausstellungsleitung nicht an Bemühungen fehlen lassen. Auf eine starke Heranziehung des Auslands hat man freilich aus verschiednen Gründen verzichtet. Die bisherigen Erfahrungen haben gelehrt, daß der dadurch verursachte Kostenaufwand in keinem Verhältnis zu dem erreichten Nutze» steht, und überdies hat die Bevorzugung des Auslands unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/39>, abgerufen am 15.01.2025.