Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Thüringer Märchen In demselben Dorf Eifenhein, wo der Bartel gelebt hatte, als er noch kein Kam da einmal der Alfanz in die Waldgegend, wo vor hundert Jahren dem Greiizbolcii III 1899 ^
Thüringer Märchen In demselben Dorf Eifenhein, wo der Bartel gelebt hatte, als er noch kein Kam da einmal der Alfanz in die Waldgegend, wo vor hundert Jahren dem Greiizbolcii III 1899 ^
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Thüringer Märchen
In demselben Dorf Eifenhein, wo der Bartel gelebt hatte, als er noch kein
Ahorn war, hatte wohl hundert Jahre danach ein Knabe von seinem Großvater
ein Messer zum Geburtstag geschenkt erhalten, das schnitt wie Gift, Den Knaben
aber hießen sie deu Alfanz, weil Alfanzerei seine größte Kunst war. Wenn er
draußen seine Wege ging, hatte er immer sein Messer in der Hand, ließ es in der
Sonne blitzen, zog die Schneide zwischen den Fingern durch, oder strich mit dem
Daumen dnrüberhiu wie ein Barbier an seinem Barbiermesser, und kam ihm eine
Distel- oder Klettenstaude in den Weg: Schnipp! flog der Kopf weg. Aber auch
mit den Getreideähren machte ers so. Seine liebste Zeit war der Frühlenz. Das
ist ja auch bei den andern Buben und Mädchen so, weil sie da bei lustigem
Lerchengesang Veilchen suchen, auf dem Anger Ringelreihen und dergleichen machen,
oder Pfeifen und Schalmeien klopfen können. Aber der Alfanz hatte da seine
Extrafreude. Wo er eine Birke fand, da schnitt er ein Loch in die Rinde, steckte ein
Röhrlein hinein und hielt sein nngewaschnes Maul darunter, den herauslaufenden
Saft, das Birkenblnt, damit aufzufangen. Auch mit dem Ahorn machte ers so.
Kam da einmal der Alfanz in die Waldgegend, wo vor hundert Jahren dem
Banmschinder Bartel von der Hexe Akris der böse Streich gespielt worden war.
An dem Ahorn vor der Laube der Hexe ging er vorüber. Er mußte ihn nicht
gesehen haben. Das war sein Glück. Das Schicksal erreichte ihn aber dennoch.
Auf einmal erblickte er den Bartel-Ahorn. Wie der Wind war er da und fing
eben um, ein Loch in die Rinde zu schneiden und mit der Messerspitze zu bohren.
Da begann der Ahorn mit seinen Füßen zu ziehe», ganz heimlich, und die Wurzeln
lösten sich leicht aus der Erde, und als der Alfanz das merkte, erschrak er ent¬
setzlich und begab sich schleunigst auf die Flucht. Zu spät! Der Ahorn-Bartel
hüpfte und sprang hinter ihm drein, daß es krachte. Schwupp! traf er mit einer
Rute den Alfanz auf deu Buckel, und der schrie hellauf und lief wie ein Spitz-
bube. Das ging eine Weile so fort: Schwupp! — schwapp! — Schwupp! —
schwapp! An einem breiten Uferrnnde stürzte der Alfanz zwischen eine große
Distelfamilie. Da lag er nnn wie tot. Es ging aber noch immer etlichemale:
Schwupp! — schwapp! Weil sich dann aber der Bube gar uicht mehr regte und
auch nicht einen Finger mehr rührte, so hörte endlich der Bartel-Ahorn ans zu
dreschen. Seine Blätter flogen in den Wind, Stamm, Äste, Zweige und Wurzeln
schrumpften mehr und mehr ein, aus dem Saft wurde wieder rotes Bartelblut,
die Rinde wurde fadenscheinig, und es kamen Westen- und Jackenknöpfe zum Vor¬
schein: endlich stand der Bartel wieder da wie vor hundert Jahren (nur in der
Weste war ein Löchlein — vom Anzapfen), hatte sogar seine Pechkappe noch auf,
und seine Barte lag neben ihm, rot vom Rost, und er tupfte seine Kappe und
strich sich die Haare aus den Augen und schaute sich verwundert um wie ein kleines
Kindlein im Federkissen, wenn es unter einem Birnbaum auf dem Felde erwacht,
allwo seine Mutter ein gut Stück davon mit dem Vater Weizen schneidet. Es
kam ihm sein neues Dasein so merkwürdig vor, daß er den Alfanz ganz und gar
vergaß. Seine Barte aber hob er auf, drehte sie um und um und sann nach.
Dabei war es, als zöge ein Blumenknösplein durch sein Gesicht; das war aber
bald weg, und ihm folgte ein schwarzes Wölklein, und bald fielen daraus einige
schwere Tropfen herab. Plötzlich schleuderte er seiue Barte mit einem Fluch in
den Fluß. Daun ging er flußaufwärts, legte die Arme auf den Rücken und guckte
in das junge Gras, über das er ging. Er mußte Schweres zu sinnen haben, setzte
sich ans Ufer und sah in das fließende Wasser. In den hundert Jahren mußte
viel davon dahinabgeflossen sein.
Greiizbolcii III 1899 ^
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