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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Veulsche Kinderlieder und Rinderspiele

So kennen wir das Lied genug, um es nun mit einem andern zu vergleichen
und darin auch nur eine andre Gestaltung desselben Stoffes wiederfinden zu können.
Diese ist ausschließlich im westlichen Deutschland und den Niederlanden verbreitet
und in der gegenwärtigen Verfassung auch ein Spottlied wie das Münstersche.
Nur daß der Spott noch schärfer ist und nicht vom Bürger gegen den Bauer ge¬
richtet ist, sondern -- doch hören wir es selbst aus dem entsprechenden Spiel in
Kleve:^

1. Et ging ne Pater längs te Kant (Ufer).
Heis was (d. h, hei t'was) in de Mai!
En rohen er Nönneke bei de Hand.
Heis was in de Mai, Mai, Mai!
Heis was in de Mai!
2. Och, Nönneke, willt gel mit min gohn, Heis usw.
Allwor de möje (schönen) BlAmkcs Stöhr? Heis usw.
Z. Non, Pater, spreit on swarte Kapp (Kutte),
Allwor de Frau de Box (Hose) mit lappt. ^)
4. Pater, geht on Norm en Sun (Kuß),
Det mögt gel (ihr) noch well seßmol duhn.
5. Pater, hört (d. h. hebt) on Norm es op,
En tanzt dermit as er Kermespopp!
6. Och, Pater, gel note Sehele (scheiden) gohn,
Heis was in de Mai!
Dar Nönneke dar note blieve Stöhr.
Heis was in de Mai, Mai, Mai!
Heis was in de Mai.

Wie beim Munkelspiel (Mönchnmwerfen) oben giebt sich hier die Spur der
Reformationszeit zu erkennen, und wir wundern uns nicht, daß das Lied in dem großen
Freiheitskämpfe der Niederländer gegen Philipp II. von den Geusen gesungen worden
sein soll. 2) Die Zustände, die der giftige Hohn trifft, spiegeln sich auch sonst in
Kinderspiel und -lieb. Im schwäbischen Pfänderspiele, Winkel-um, dem anderwärts be¬
kannten Kömmerchen-vermieten entsprechend, ist das Nonnenküssen eine der aufer¬
legten Strafen.'') Der Gestrafte erscheint als Pater, begehrt eine Nonne zu küssen
und muß nun so oft wiederkommen, bis sich eine willig findet. Und überall ver¬
breitet sind ähnliche Spottverse wie der aus Basels)

Aber daß unser Lied auch von den Geusen und aus jener Zeit herstamme, wie
behauptet worden ist, das können wir nach diesen Betrachtungen nicht zugeben.







l) Firmenich I, 380; ähnlich noch als "Volkslied" aus Antwerpen III, 679 und aus
Brabant III, 660.
°
) Dafür in der niederländischen Fassung:
door ano beilege Norm op slay (auftrete).
") Angabe bei Firmenich III, 679.
') Meier 419.
"
) Basler Kinderreime 47.
Veulsche Kinderlieder und Rinderspiele

So kennen wir das Lied genug, um es nun mit einem andern zu vergleichen
und darin auch nur eine andre Gestaltung desselben Stoffes wiederfinden zu können.
Diese ist ausschließlich im westlichen Deutschland und den Niederlanden verbreitet
und in der gegenwärtigen Verfassung auch ein Spottlied wie das Münstersche.
Nur daß der Spott noch schärfer ist und nicht vom Bürger gegen den Bauer ge¬
richtet ist, sondern — doch hören wir es selbst aus dem entsprechenden Spiel in
Kleve:^

1. Et ging ne Pater längs te Kant (Ufer).
Heis was (d. h, hei t'was) in de Mai!
En rohen er Nönneke bei de Hand.
Heis was in de Mai, Mai, Mai!
Heis was in de Mai!
2. Och, Nönneke, willt gel mit min gohn, Heis usw.
Allwor de möje (schönen) BlAmkcs Stöhr? Heis usw.
Z. Non, Pater, spreit on swarte Kapp (Kutte),
Allwor de Frau de Box (Hose) mit lappt. ^)
4. Pater, geht on Norm en Sun (Kuß),
Det mögt gel (ihr) noch well seßmol duhn.
5. Pater, hört (d. h. hebt) on Norm es op,
En tanzt dermit as er Kermespopp!
6. Och, Pater, gel note Sehele (scheiden) gohn,
Heis was in de Mai!
Dar Nönneke dar note blieve Stöhr.
Heis was in de Mai, Mai, Mai!
Heis was in de Mai.

Wie beim Munkelspiel (Mönchnmwerfen) oben giebt sich hier die Spur der
Reformationszeit zu erkennen, und wir wundern uns nicht, daß das Lied in dem großen
Freiheitskämpfe der Niederländer gegen Philipp II. von den Geusen gesungen worden
sein soll. 2) Die Zustände, die der giftige Hohn trifft, spiegeln sich auch sonst in
Kinderspiel und -lieb. Im schwäbischen Pfänderspiele, Winkel-um, dem anderwärts be¬
kannten Kömmerchen-vermieten entsprechend, ist das Nonnenküssen eine der aufer¬
legten Strafen.'') Der Gestrafte erscheint als Pater, begehrt eine Nonne zu küssen
und muß nun so oft wiederkommen, bis sich eine willig findet. Und überall ver¬
breitet sind ähnliche Spottverse wie der aus Basels)

Aber daß unser Lied auch von den Geusen und aus jener Zeit herstamme, wie
behauptet worden ist, das können wir nach diesen Betrachtungen nicht zugeben.







l) Firmenich I, 380; ähnlich noch als „Volkslied" aus Antwerpen III, 679 und aus
Brabant III, 660.
°
) Dafür in der niederländischen Fassung:
door ano beilege Norm op slay (auftrete).
") Angabe bei Firmenich III, 679.
') Meier 419.
"
) Basler Kinderreime 47.
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[0379] Veulsche Kinderlieder und Rinderspiele So kennen wir das Lied genug, um es nun mit einem andern zu vergleichen und darin auch nur eine andre Gestaltung desselben Stoffes wiederfinden zu können. Diese ist ausschließlich im westlichen Deutschland und den Niederlanden verbreitet und in der gegenwärtigen Verfassung auch ein Spottlied wie das Münstersche. Nur daß der Spott noch schärfer ist und nicht vom Bürger gegen den Bauer ge¬ richtet ist, sondern — doch hören wir es selbst aus dem entsprechenden Spiel in Kleve:^ 1. Et ging ne Pater längs te Kant (Ufer). Heis was (d. h, hei t'was) in de Mai! En rohen er Nönneke bei de Hand. Heis was in de Mai, Mai, Mai! Heis was in de Mai! 2. Och, Nönneke, willt gel mit min gohn, Heis usw. Allwor de möje (schönen) BlAmkcs Stöhr? Heis usw. Z. Non, Pater, spreit on swarte Kapp (Kutte), Allwor de Frau de Box (Hose) mit lappt. ^) 4. Pater, geht on Norm en Sun (Kuß), Det mögt gel (ihr) noch well seßmol duhn. 5. Pater, hört (d. h. hebt) on Norm es op, En tanzt dermit as er Kermespopp! 6. Och, Pater, gel note Sehele (scheiden) gohn, Heis was in de Mai! Dar Nönneke dar note blieve Stöhr. Heis was in de Mai, Mai, Mai! Heis was in de Mai. Wie beim Munkelspiel (Mönchnmwerfen) oben giebt sich hier die Spur der Reformationszeit zu erkennen, und wir wundern uns nicht, daß das Lied in dem großen Freiheitskämpfe der Niederländer gegen Philipp II. von den Geusen gesungen worden sein soll. 2) Die Zustände, die der giftige Hohn trifft, spiegeln sich auch sonst in Kinderspiel und -lieb. Im schwäbischen Pfänderspiele, Winkel-um, dem anderwärts be¬ kannten Kömmerchen-vermieten entsprechend, ist das Nonnenküssen eine der aufer¬ legten Strafen.'') Der Gestrafte erscheint als Pater, begehrt eine Nonne zu küssen und muß nun so oft wiederkommen, bis sich eine willig findet. Und überall ver¬ breitet sind ähnliche Spottverse wie der aus Basels) Aber daß unser Lied auch von den Geusen und aus jener Zeit herstamme, wie behauptet worden ist, das können wir nach diesen Betrachtungen nicht zugeben. l) Firmenich I, 380; ähnlich noch als „Volkslied" aus Antwerpen III, 679 und aus Brabant III, 660. ° ) Dafür in der niederländischen Fassung: door ano beilege Norm op slay (auftrete). ") Angabe bei Firmenich III, 679. ') Meier 419. " ) Basler Kinderreime 47.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/379>, abgerufen am 15.01.2025.