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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

beide male so, daß sie, mindestens auf den ersten Blick, als Teil des amt¬
lichen Briefes an den König erscheint/) und das kann sie weder nach der
einen noch nach der andern Fassung, weder nach dem Konzept noch nach der
Reinschrift gewesen sein. Das Rätsel löst sich durch eine, wie es scheint, kaum
beachtete Äußerung des Fürsten am 20. Juni 1884: er habe dem (amtlichen)
Schreiben an den König "einen privaten Brief beigelegt, um seinen Ratschlägen
ein erhöhtes Gewicht zu geben, ein Ausnahmefall in seinem politischen Leben.
Der private Teil des Schreibens ^?soll wohl heißen: das Privatschreiben^ habe
nur darin bestanden, daß er nicht bloß als Staatsmann dem Könige rate, die
Initiative zu ergreifen, sondern als alter Freund der bayrischen Dynastie. In
der Familie Bismarck sei es unvergessen, daß ihr Stammsitz Schönhausen ein
Lehen Heinrichs des Löwen gewesen, und er gebe seine Ratschläge dem Könige
gewissermaßen als ein alter treuer Vasall. 2) Bei den andern Erzählungen hat
sich der Fürst nur nicht genau ausgedrückt, oder später selbst beide Briefe
nicht mehr auseinandergehalten. Jedenfalls hat er am 27. November nicht
zwei, sondern drei Schriftstücke an König Ludwig gesandt, das verlangte
Konzept zu dessen Kaiserbriefe, das amtliche Aufforderuugsschreiben und einen
ganz persönlichen Privatbrief.

Zu der Erzählung von der Überreichung des Kaiserbriefs durch Prinz
Luitpolo am 3. Dezember geben Abeken und das Tagebuch des Kronprinzen
noch manche Ergänzungen. Der Prinz erschien beim König nachmittags vor der
Tafel. Der König hatte von dem vertraulichen Auftrage des Grafen Holnstein
zunächst nichts erfahren, sondern angenommen, er sei nur gekommen, um Vor¬
sorge sür die Unterbringung seines Herrn in Versailles zu treffen, und er hatte
sich gewundert, daß er so plötzlich wieder abgereist sei. Erst eine unvorsichtige
Äußerung Abekens beim Vortrag am Abend des 1. Dezember verriet ihm die
Sache, und ein Billet des Großherzogs von Baden mit der Nachricht, nach
einem Telegramm Gelzers aus München reise Graf Holnstein mit dem Angebot
der Kaiserkrone soeben ab, klärte ihn völlig auf. Er zürnte weder dem Kanzler
noch Abeken, sondern dankte diesem freundlich, daß er ihm "Zeit gegeben habe,
sich auf den Gedanken vorzubereiten." Beim Empfange des Prinzen war er
"gerührt und bewegt," gab aber noch keine sachliche Antwort. Nach Tisch
hielt ihm Bismarck im Beisein des Kronprinzen Vortrag darüber und las den
Brief vor. Der König fand ihn mit Rücksicht auf die schweren, wie es schien,
noch nicht einmal abgeschlossenen Kämpfe der letzten Tage "so zur Unzeit wie
möglich," doch bemerkte Bismarck, "die Kaiserfrage habe nichts mit den augen¬
blicklichen Kämpfen zu thun." "Als wir das Zimmer verließen, reichten Bis¬
marck und ich uns die Hand; mit dem heutigen Tage sind Kaiser und Reich




') Busch >, 470. Pvschmgcr, BiSumrck und die Parlamentarier III, 213.
2) Poschinger a. n. O, I, 270 f.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

beide male so, daß sie, mindestens auf den ersten Blick, als Teil des amt¬
lichen Briefes an den König erscheint/) und das kann sie weder nach der
einen noch nach der andern Fassung, weder nach dem Konzept noch nach der
Reinschrift gewesen sein. Das Rätsel löst sich durch eine, wie es scheint, kaum
beachtete Äußerung des Fürsten am 20. Juni 1884: er habe dem (amtlichen)
Schreiben an den König „einen privaten Brief beigelegt, um seinen Ratschlägen
ein erhöhtes Gewicht zu geben, ein Ausnahmefall in seinem politischen Leben.
Der private Teil des Schreibens ^?soll wohl heißen: das Privatschreiben^ habe
nur darin bestanden, daß er nicht bloß als Staatsmann dem Könige rate, die
Initiative zu ergreifen, sondern als alter Freund der bayrischen Dynastie. In
der Familie Bismarck sei es unvergessen, daß ihr Stammsitz Schönhausen ein
Lehen Heinrichs des Löwen gewesen, und er gebe seine Ratschläge dem Könige
gewissermaßen als ein alter treuer Vasall. 2) Bei den andern Erzählungen hat
sich der Fürst nur nicht genau ausgedrückt, oder später selbst beide Briefe
nicht mehr auseinandergehalten. Jedenfalls hat er am 27. November nicht
zwei, sondern drei Schriftstücke an König Ludwig gesandt, das verlangte
Konzept zu dessen Kaiserbriefe, das amtliche Aufforderuugsschreiben und einen
ganz persönlichen Privatbrief.

Zu der Erzählung von der Überreichung des Kaiserbriefs durch Prinz
Luitpolo am 3. Dezember geben Abeken und das Tagebuch des Kronprinzen
noch manche Ergänzungen. Der Prinz erschien beim König nachmittags vor der
Tafel. Der König hatte von dem vertraulichen Auftrage des Grafen Holnstein
zunächst nichts erfahren, sondern angenommen, er sei nur gekommen, um Vor¬
sorge sür die Unterbringung seines Herrn in Versailles zu treffen, und er hatte
sich gewundert, daß er so plötzlich wieder abgereist sei. Erst eine unvorsichtige
Äußerung Abekens beim Vortrag am Abend des 1. Dezember verriet ihm die
Sache, und ein Billet des Großherzogs von Baden mit der Nachricht, nach
einem Telegramm Gelzers aus München reise Graf Holnstein mit dem Angebot
der Kaiserkrone soeben ab, klärte ihn völlig auf. Er zürnte weder dem Kanzler
noch Abeken, sondern dankte diesem freundlich, daß er ihm „Zeit gegeben habe,
sich auf den Gedanken vorzubereiten." Beim Empfange des Prinzen war er
»gerührt und bewegt," gab aber noch keine sachliche Antwort. Nach Tisch
hielt ihm Bismarck im Beisein des Kronprinzen Vortrag darüber und las den
Brief vor. Der König fand ihn mit Rücksicht auf die schweren, wie es schien,
noch nicht einmal abgeschlossenen Kämpfe der letzten Tage „so zur Unzeit wie
möglich," doch bemerkte Bismarck, „die Kaiserfrage habe nichts mit den augen¬
blicklichen Kämpfen zu thun." „Als wir das Zimmer verließen, reichten Bis¬
marck und ich uns die Hand; mit dem heutigen Tage sind Kaiser und Reich




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2) Poschinger a. n. O, I, 270 f.
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[0359] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen beide male so, daß sie, mindestens auf den ersten Blick, als Teil des amt¬ lichen Briefes an den König erscheint/) und das kann sie weder nach der einen noch nach der andern Fassung, weder nach dem Konzept noch nach der Reinschrift gewesen sein. Das Rätsel löst sich durch eine, wie es scheint, kaum beachtete Äußerung des Fürsten am 20. Juni 1884: er habe dem (amtlichen) Schreiben an den König „einen privaten Brief beigelegt, um seinen Ratschlägen ein erhöhtes Gewicht zu geben, ein Ausnahmefall in seinem politischen Leben. Der private Teil des Schreibens ^?soll wohl heißen: das Privatschreiben^ habe nur darin bestanden, daß er nicht bloß als Staatsmann dem Könige rate, die Initiative zu ergreifen, sondern als alter Freund der bayrischen Dynastie. In der Familie Bismarck sei es unvergessen, daß ihr Stammsitz Schönhausen ein Lehen Heinrichs des Löwen gewesen, und er gebe seine Ratschläge dem Könige gewissermaßen als ein alter treuer Vasall. 2) Bei den andern Erzählungen hat sich der Fürst nur nicht genau ausgedrückt, oder später selbst beide Briefe nicht mehr auseinandergehalten. Jedenfalls hat er am 27. November nicht zwei, sondern drei Schriftstücke an König Ludwig gesandt, das verlangte Konzept zu dessen Kaiserbriefe, das amtliche Aufforderuugsschreiben und einen ganz persönlichen Privatbrief. Zu der Erzählung von der Überreichung des Kaiserbriefs durch Prinz Luitpolo am 3. Dezember geben Abeken und das Tagebuch des Kronprinzen noch manche Ergänzungen. Der Prinz erschien beim König nachmittags vor der Tafel. Der König hatte von dem vertraulichen Auftrage des Grafen Holnstein zunächst nichts erfahren, sondern angenommen, er sei nur gekommen, um Vor¬ sorge sür die Unterbringung seines Herrn in Versailles zu treffen, und er hatte sich gewundert, daß er so plötzlich wieder abgereist sei. Erst eine unvorsichtige Äußerung Abekens beim Vortrag am Abend des 1. Dezember verriet ihm die Sache, und ein Billet des Großherzogs von Baden mit der Nachricht, nach einem Telegramm Gelzers aus München reise Graf Holnstein mit dem Angebot der Kaiserkrone soeben ab, klärte ihn völlig auf. Er zürnte weder dem Kanzler noch Abeken, sondern dankte diesem freundlich, daß er ihm „Zeit gegeben habe, sich auf den Gedanken vorzubereiten." Beim Empfange des Prinzen war er »gerührt und bewegt," gab aber noch keine sachliche Antwort. Nach Tisch hielt ihm Bismarck im Beisein des Kronprinzen Vortrag darüber und las den Brief vor. Der König fand ihn mit Rücksicht auf die schweren, wie es schien, noch nicht einmal abgeschlossenen Kämpfe der letzten Tage „so zur Unzeit wie möglich," doch bemerkte Bismarck, „die Kaiserfrage habe nichts mit den augen¬ blicklichen Kämpfen zu thun." „Als wir das Zimmer verließen, reichten Bis¬ marck und ich uns die Hand; mit dem heutigen Tage sind Kaiser und Reich ') Busch >, 470. Pvschmgcr, BiSumrck und die Parlamentarier III, 213. 2) Poschinger a. n. O, I, 270 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/359>, abgerufen am 15.01.2025.