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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studie" zu Fürst Bismarcks Gedanke" u"d Erinnerungen

Eßtisch aufsetzt. Mit diesem tritt der Graf seine Reise binnen zwei Stunden
am 27. November an, legt sie in vier Tagen zurück, trifft den König bett¬
lägerig, wird aber endlich vorgelassen und übergiebt Bismarcks "Kaiserbrief,"
den der König zweimal aufmerksam durchliest; denn fordert dieser Schreibzeug
und schreibt den gewünschten Brief mit dein Angebot der Kaiserkrone nach dem
von Bismarck ihm mit übersandten Konzept. Am 3. Dezember langt Holn-
stein wieder in Versailles an, an demselben Tage überreicht Prinz Luitpold
das Schreiben dem König Wilhelm. Es "bildete ein gewichtiges Moment
für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden
Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis
dahin mangelnde Feststellung der bayrischen Erwägungen veranlaßt waren."

Zu dieser Darstellung hat Fürst Bismarck selbst mehrfache Ergänzungen
geliefert. Schon am 8. Dezember 1870 erzählte er bei Tisch kurz, aber höchst
anerkennend von Holnsteins Reise, dann wieder ausführlicher am 31. Januar
18711): "Er hat fast das Unmögliche geleistet. In sechs Tagen machte er
die Reise hin und zurück, achtzehn Meilen ohne Eisenbahn und bis ins Ge¬
birge hinauf nach dem Schlosse jHohenschwangcu^, wo der König sich aufhielt,
und dabei war seine Frau noch krank. Er kommt an im Schlosse, findet den
König unwohl -- Zahngeschwür -- oder an den Folgen mit Chloroform
leidend. Er ist nicht zu sprechen. -- Ja er hätte einen Brief von mir abzu¬
geben, sehr dringend. Hilft auch nichts, der König will ungestört sein, sich
an diesem Tage mit nichts befassen. Zuletzt aber war er doch begierig zu
wissen, was ich ihm mitzuteilen hatte, und der Brief fand eine gute Statt.
Nun aber fehlte es wieder an Papier und Tinte und an allem andern zum
Schreiben. Sie schicken einen Reitknecht fort, und der kommt endlich mit
Papier zurück, mit grobem, und der König antwortet wie er ist, im Bette,
und das Deutsche Reich war gemacht." Als er dieselbe Erzählung mit ge¬
ringen Abweichungen bei einem parlamentarischen Frühschoppen am 20. Juni
1884 wiederholte, fügte er noch einiges von Holnsteins Ankunft in Hohen-
schwangau hinzu, "von seinem Wortwechsel durch und mit dem Kabinetts¬
sekretär Ziegler, von seinem stundenlangen Antichambrieren in der Nacht und
insbesondre von der schließlichen persönlichen Übergabe der Briefe jBismarcks^,
sowie von der Übergabe des berühmten königlichen Entschlusses bei Tages¬
grauen." ^) Graf Holnstein war am 27. November und am 3. Dezember bei




') Busch I, 4?.?. II, 116. Holnstein war am 25. November angekommen, Tagebuch des
Kronprinzen (wenn das Datum richtig ist).
°) Über diese Erzählung haben wir zwei Berichte von Ohrenzeugen, die sich mehrfach er¬
gänzen, dem rheinischen Abgeordneten von Lohren vom 22. Juni bei Poschinger, Bismarck und
die Parlamentarier I, 270 f. und dem sächsischen Abgeordneten Oberstaatsanwalt Dr. Hnrtmaun
in Planen i. V. bei Poschinger, Tischgespräche und Interviews II, 124 f. (mit einzelnen Un-
genauigkeiten). .....
Kritische Studie» zu Fürst Bismarcks Gedanke» u»d Erinnerungen

Eßtisch aufsetzt. Mit diesem tritt der Graf seine Reise binnen zwei Stunden
am 27. November an, legt sie in vier Tagen zurück, trifft den König bett¬
lägerig, wird aber endlich vorgelassen und übergiebt Bismarcks „Kaiserbrief,"
den der König zweimal aufmerksam durchliest; denn fordert dieser Schreibzeug
und schreibt den gewünschten Brief mit dein Angebot der Kaiserkrone nach dem
von Bismarck ihm mit übersandten Konzept. Am 3. Dezember langt Holn-
stein wieder in Versailles an, an demselben Tage überreicht Prinz Luitpold
das Schreiben dem König Wilhelm. Es „bildete ein gewichtiges Moment
für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden
Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis
dahin mangelnde Feststellung der bayrischen Erwägungen veranlaßt waren."

Zu dieser Darstellung hat Fürst Bismarck selbst mehrfache Ergänzungen
geliefert. Schon am 8. Dezember 1870 erzählte er bei Tisch kurz, aber höchst
anerkennend von Holnsteins Reise, dann wieder ausführlicher am 31. Januar
18711): „Er hat fast das Unmögliche geleistet. In sechs Tagen machte er
die Reise hin und zurück, achtzehn Meilen ohne Eisenbahn und bis ins Ge¬
birge hinauf nach dem Schlosse jHohenschwangcu^, wo der König sich aufhielt,
und dabei war seine Frau noch krank. Er kommt an im Schlosse, findet den
König unwohl — Zahngeschwür — oder an den Folgen mit Chloroform
leidend. Er ist nicht zu sprechen. — Ja er hätte einen Brief von mir abzu¬
geben, sehr dringend. Hilft auch nichts, der König will ungestört sein, sich
an diesem Tage mit nichts befassen. Zuletzt aber war er doch begierig zu
wissen, was ich ihm mitzuteilen hatte, und der Brief fand eine gute Statt.
Nun aber fehlte es wieder an Papier und Tinte und an allem andern zum
Schreiben. Sie schicken einen Reitknecht fort, und der kommt endlich mit
Papier zurück, mit grobem, und der König antwortet wie er ist, im Bette,
und das Deutsche Reich war gemacht." Als er dieselbe Erzählung mit ge¬
ringen Abweichungen bei einem parlamentarischen Frühschoppen am 20. Juni
1884 wiederholte, fügte er noch einiges von Holnsteins Ankunft in Hohen-
schwangau hinzu, „von seinem Wortwechsel durch und mit dem Kabinetts¬
sekretär Ziegler, von seinem stundenlangen Antichambrieren in der Nacht und
insbesondre von der schließlichen persönlichen Übergabe der Briefe jBismarcks^,
sowie von der Übergabe des berühmten königlichen Entschlusses bei Tages¬
grauen." ^) Graf Holnstein war am 27. November und am 3. Dezember bei




') Busch I, 4?.?. II, 116. Holnstein war am 25. November angekommen, Tagebuch des
Kronprinzen (wenn das Datum richtig ist).
°) Über diese Erzählung haben wir zwei Berichte von Ohrenzeugen, die sich mehrfach er¬
gänzen, dem rheinischen Abgeordneten von Lohren vom 22. Juni bei Poschinger, Bismarck und
die Parlamentarier I, 270 f. und dem sächsischen Abgeordneten Oberstaatsanwalt Dr. Hnrtmaun
in Planen i. V. bei Poschinger, Tischgespräche und Interviews II, 124 f. (mit einzelnen Un-
genauigkeiten). .....
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[0355] Kritische Studie» zu Fürst Bismarcks Gedanke» u»d Erinnerungen Eßtisch aufsetzt. Mit diesem tritt der Graf seine Reise binnen zwei Stunden am 27. November an, legt sie in vier Tagen zurück, trifft den König bett¬ lägerig, wird aber endlich vorgelassen und übergiebt Bismarcks „Kaiserbrief," den der König zweimal aufmerksam durchliest; denn fordert dieser Schreibzeug und schreibt den gewünschten Brief mit dein Angebot der Kaiserkrone nach dem von Bismarck ihm mit übersandten Konzept. Am 3. Dezember langt Holn- stein wieder in Versailles an, an demselben Tage überreicht Prinz Luitpold das Schreiben dem König Wilhelm. Es „bildete ein gewichtiges Moment für das Gelingen der schwierigen und vielfach in ihren Aussichten schwankenden Arbeiten, die durch das Widerstreben des Königs Wilhelm und durch die bis dahin mangelnde Feststellung der bayrischen Erwägungen veranlaßt waren." Zu dieser Darstellung hat Fürst Bismarck selbst mehrfache Ergänzungen geliefert. Schon am 8. Dezember 1870 erzählte er bei Tisch kurz, aber höchst anerkennend von Holnsteins Reise, dann wieder ausführlicher am 31. Januar 18711): „Er hat fast das Unmögliche geleistet. In sechs Tagen machte er die Reise hin und zurück, achtzehn Meilen ohne Eisenbahn und bis ins Ge¬ birge hinauf nach dem Schlosse jHohenschwangcu^, wo der König sich aufhielt, und dabei war seine Frau noch krank. Er kommt an im Schlosse, findet den König unwohl — Zahngeschwür — oder an den Folgen mit Chloroform leidend. Er ist nicht zu sprechen. — Ja er hätte einen Brief von mir abzu¬ geben, sehr dringend. Hilft auch nichts, der König will ungestört sein, sich an diesem Tage mit nichts befassen. Zuletzt aber war er doch begierig zu wissen, was ich ihm mitzuteilen hatte, und der Brief fand eine gute Statt. Nun aber fehlte es wieder an Papier und Tinte und an allem andern zum Schreiben. Sie schicken einen Reitknecht fort, und der kommt endlich mit Papier zurück, mit grobem, und der König antwortet wie er ist, im Bette, und das Deutsche Reich war gemacht." Als er dieselbe Erzählung mit ge¬ ringen Abweichungen bei einem parlamentarischen Frühschoppen am 20. Juni 1884 wiederholte, fügte er noch einiges von Holnsteins Ankunft in Hohen- schwangau hinzu, „von seinem Wortwechsel durch und mit dem Kabinetts¬ sekretär Ziegler, von seinem stundenlangen Antichambrieren in der Nacht und insbesondre von der schließlichen persönlichen Übergabe der Briefe jBismarcks^, sowie von der Übergabe des berühmten königlichen Entschlusses bei Tages¬ grauen." ^) Graf Holnstein war am 27. November und am 3. Dezember bei ') Busch I, 4?.?. II, 116. Holnstein war am 25. November angekommen, Tagebuch des Kronprinzen (wenn das Datum richtig ist). °) Über diese Erzählung haben wir zwei Berichte von Ohrenzeugen, die sich mehrfach er¬ gänzen, dem rheinischen Abgeordneten von Lohren vom 22. Juni bei Poschinger, Bismarck und die Parlamentarier I, 270 f. und dem sächsischen Abgeordneten Oberstaatsanwalt Dr. Hnrtmaun in Planen i. V. bei Poschinger, Tischgespräche und Interviews II, 124 f. (mit einzelnen Un- genauigkeiten). .....

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/355>, abgerufen am 15.01.2025.