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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Kaiserkrone bot. Auch dieser hat freilich eine von ihm nicht berichtete Vor¬
geschichte. Schon am 31. Oktober hatte der Großherzog von Baden dem
König Ludwig über die Erneuerung der Kaiserkrone geschrieben und ihm eine
vertrauliche Zusammenkunft vorgeschlagen. Da er aber darauf keine Antwort
erhielt und wenige Tage später nach Versailles berufen wurde, wo er nach
dem Zeugnis des Kronprinzen "wie ein guter Genius" wirkte, so sandte er
um Mitte November den Staatsrat Heinrich Gelzer mit einem "konfidentiellen
Briefe" an Ludwig II. nach Münchens) Dieser traf hier zwar nicht den König
an, der vielmehr in seiner Gebirgseinsamkeit von Hohenschwangau blieb und
dem Großherzog nur schriftlich dankte, hatte aber am 18. November mit seinem
Kabinettschef Eisenbart eine eingehende Besprechung, um Ludwig II. zu einer
Zusammenkunft mit dem Großherzog, womöglich zu einer Reise nach Versailles
zu bewegen, wo schon das Schloß Trianon für ihn in Stand gesetzt wurdet)
Der König aber antwortete Eisenbart, als ihm dieser berichtete: "Ich weiß
recht gut, daß in gar mancher Hinsicht eine Reise von mir ins Hauptquartier
ratsam wäre und politische Vorteile brächte, das versteht sich von selbst, aber
ich fühle mich leidend und angegriffen; auch hängt meine Reise von den ge¬
wünschten Garantien ab, sonst gehe ich nicht nach Versailles; dabei bleibt es,
das ist mein Wille." In der That blieb es dabei, der menschenscheue, auf
seine Würde höchst eifersüchtige König kam nicht nach Versailles. Aber als
der Vertrag am 23. November abgeschlossen war, und die Anerkennung der
Kaiserwürde durch die übrigen Staaten bevorstand, da drängten Bray und
Eisenbart ihren Herrn zu einem entscheidenden Schritte, zum Angebot der
Kaiserkrone vorwärts, da eine bloße Zustimmung zu den Beschlüssen andrer
nicht den gleichen Wert haben würde. Entscheidend dafür mußte es auch
wirken, daß sich König Johann von Sachsen sür den Fall einer Weigerung
des Königs von Bayern schon bereit erklärt hatte, die Kaiserkrone anzubieten.
So sehr es dem Wittelsbacher "als dem Sprossen eines uralten, schon vor
tausend Jahren ruhmvollen Geschlechts" widerstrebte, den Antrag zu stellen,
er entschloß sich doch und sandte, nachdem er sich der Zustimmung der Mit¬
glieder des königlichen Hauses versichert hatte, seinen Oberstallmeister Grafen
Holnstein nach Versailles, das die bayrischen Minister am 26. November ver¬
ließen.

Erst in diesem Moment setzt Bismarcks Erzählung ein. Er bittet Holn¬
stein "in dem Augenblicke, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen
Bayerns und der Abneigung König Wilhelms zu scheitern drohte," ein
Schreiben an Ludwig II. zu befördern, das er sofort noch auf dem abgedeckten





') L, von Kobell 82 sf.
2) Busch I, 488 (vom 27, November),
") Bismarck am 20, Juni IW4, bei Poschmger, Tischgespräche II, 125,
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Kaiserkrone bot. Auch dieser hat freilich eine von ihm nicht berichtete Vor¬
geschichte. Schon am 31. Oktober hatte der Großherzog von Baden dem
König Ludwig über die Erneuerung der Kaiserkrone geschrieben und ihm eine
vertrauliche Zusammenkunft vorgeschlagen. Da er aber darauf keine Antwort
erhielt und wenige Tage später nach Versailles berufen wurde, wo er nach
dem Zeugnis des Kronprinzen „wie ein guter Genius" wirkte, so sandte er
um Mitte November den Staatsrat Heinrich Gelzer mit einem „konfidentiellen
Briefe" an Ludwig II. nach Münchens) Dieser traf hier zwar nicht den König
an, der vielmehr in seiner Gebirgseinsamkeit von Hohenschwangau blieb und
dem Großherzog nur schriftlich dankte, hatte aber am 18. November mit seinem
Kabinettschef Eisenbart eine eingehende Besprechung, um Ludwig II. zu einer
Zusammenkunft mit dem Großherzog, womöglich zu einer Reise nach Versailles
zu bewegen, wo schon das Schloß Trianon für ihn in Stand gesetzt wurdet)
Der König aber antwortete Eisenbart, als ihm dieser berichtete: „Ich weiß
recht gut, daß in gar mancher Hinsicht eine Reise von mir ins Hauptquartier
ratsam wäre und politische Vorteile brächte, das versteht sich von selbst, aber
ich fühle mich leidend und angegriffen; auch hängt meine Reise von den ge¬
wünschten Garantien ab, sonst gehe ich nicht nach Versailles; dabei bleibt es,
das ist mein Wille." In der That blieb es dabei, der menschenscheue, auf
seine Würde höchst eifersüchtige König kam nicht nach Versailles. Aber als
der Vertrag am 23. November abgeschlossen war, und die Anerkennung der
Kaiserwürde durch die übrigen Staaten bevorstand, da drängten Bray und
Eisenbart ihren Herrn zu einem entscheidenden Schritte, zum Angebot der
Kaiserkrone vorwärts, da eine bloße Zustimmung zu den Beschlüssen andrer
nicht den gleichen Wert haben würde. Entscheidend dafür mußte es auch
wirken, daß sich König Johann von Sachsen sür den Fall einer Weigerung
des Königs von Bayern schon bereit erklärt hatte, die Kaiserkrone anzubieten.
So sehr es dem Wittelsbacher „als dem Sprossen eines uralten, schon vor
tausend Jahren ruhmvollen Geschlechts" widerstrebte, den Antrag zu stellen,
er entschloß sich doch und sandte, nachdem er sich der Zustimmung der Mit¬
glieder des königlichen Hauses versichert hatte, seinen Oberstallmeister Grafen
Holnstein nach Versailles, das die bayrischen Minister am 26. November ver¬
ließen.

Erst in diesem Moment setzt Bismarcks Erzählung ein. Er bittet Holn¬
stein „in dem Augenblicke, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen
Bayerns und der Abneigung König Wilhelms zu scheitern drohte," ein
Schreiben an Ludwig II. zu befördern, das er sofort noch auf dem abgedeckten





') L, von Kobell 82 sf.
2) Busch I, 488 (vom 27, November),
") Bismarck am 20, Juni IW4, bei Poschmger, Tischgespräche II, 125,
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[0354] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Kaiserkrone bot. Auch dieser hat freilich eine von ihm nicht berichtete Vor¬ geschichte. Schon am 31. Oktober hatte der Großherzog von Baden dem König Ludwig über die Erneuerung der Kaiserkrone geschrieben und ihm eine vertrauliche Zusammenkunft vorgeschlagen. Da er aber darauf keine Antwort erhielt und wenige Tage später nach Versailles berufen wurde, wo er nach dem Zeugnis des Kronprinzen „wie ein guter Genius" wirkte, so sandte er um Mitte November den Staatsrat Heinrich Gelzer mit einem „konfidentiellen Briefe" an Ludwig II. nach Münchens) Dieser traf hier zwar nicht den König an, der vielmehr in seiner Gebirgseinsamkeit von Hohenschwangau blieb und dem Großherzog nur schriftlich dankte, hatte aber am 18. November mit seinem Kabinettschef Eisenbart eine eingehende Besprechung, um Ludwig II. zu einer Zusammenkunft mit dem Großherzog, womöglich zu einer Reise nach Versailles zu bewegen, wo schon das Schloß Trianon für ihn in Stand gesetzt wurdet) Der König aber antwortete Eisenbart, als ihm dieser berichtete: „Ich weiß recht gut, daß in gar mancher Hinsicht eine Reise von mir ins Hauptquartier ratsam wäre und politische Vorteile brächte, das versteht sich von selbst, aber ich fühle mich leidend und angegriffen; auch hängt meine Reise von den ge¬ wünschten Garantien ab, sonst gehe ich nicht nach Versailles; dabei bleibt es, das ist mein Wille." In der That blieb es dabei, der menschenscheue, auf seine Würde höchst eifersüchtige König kam nicht nach Versailles. Aber als der Vertrag am 23. November abgeschlossen war, und die Anerkennung der Kaiserwürde durch die übrigen Staaten bevorstand, da drängten Bray und Eisenbart ihren Herrn zu einem entscheidenden Schritte, zum Angebot der Kaiserkrone vorwärts, da eine bloße Zustimmung zu den Beschlüssen andrer nicht den gleichen Wert haben würde. Entscheidend dafür mußte es auch wirken, daß sich König Johann von Sachsen sür den Fall einer Weigerung des Königs von Bayern schon bereit erklärt hatte, die Kaiserkrone anzubieten. So sehr es dem Wittelsbacher „als dem Sprossen eines uralten, schon vor tausend Jahren ruhmvollen Geschlechts" widerstrebte, den Antrag zu stellen, er entschloß sich doch und sandte, nachdem er sich der Zustimmung der Mit¬ glieder des königlichen Hauses versichert hatte, seinen Oberstallmeister Grafen Holnstein nach Versailles, das die bayrischen Minister am 26. November ver¬ ließen. Erst in diesem Moment setzt Bismarcks Erzählung ein. Er bittet Holn¬ stein „in dem Augenblicke, wo die Kaiserfrage kritisch war und an dem Schweigen Bayerns und der Abneigung König Wilhelms zu scheitern drohte," ein Schreiben an Ludwig II. zu befördern, das er sofort noch auf dem abgedeckten ') L, von Kobell 82 sf. 2) Busch I, 488 (vom 27, November), ") Bismarck am 20, Juni IW4, bei Poschmger, Tischgespräche II, 125,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/354>, abgerufen am 15.01.2025.