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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Kaisertum gesprochen, am 3. September erwähnt er im Tagebuche die Kaiser¬
idee, am 30. September trug er dem widerstrebenden König seinen Gedanken
vor und betonte, der Titel sei nötig wegen der drei Könige. Die Idee
wurzelte bei ihm tief ebenso in seiner warmen deutsch-nationalen Gesinnung,
wie in seinem Stolze auf die Größe seines Hauses, und er entsprach damit,
was er sehr gut wußte, der Volksstimmung vor allem in Süddeutschland, wie
er in der Frage der Verträge dem natürlichen Empfinden Ausdruck gegeben
hat. Das Verdienst, für ihre Verwirklichung mit begeistertem Eifer eingetreten
zu sein, kaun und darf dem edeln, warmherzigen Manne, dessen ganzes Leben
soviel Tragisches hat, nicht verkümmert werden.^) Das hat natürlich auch
nicht in der Absicht des Fürsten Bismarck gelegen; er hat offenbar nur das,
was der Kronprinz 1866 in Nikolsburg vorgeschlagen hat, den König von
Preußen zum König von Deutschland, die drei andern Könige zu Herzögen
zu macheu, als die deutschen Dinge noch flüssiger und die drei Könige unter
den besiegten Gegnern Preußens waren, in der Erinnerung verwechselt mit
dem, was 1870 geschehen ist. ^) Wunderlicherweise hat er aber die richtige
Version selbst einmal im September 1888 erzählt, ist also selbst in seinem
Gedächtnis unsicher gewesen.'') Das Seltsamste dabei ist, daß er bei der Re¬
daktion der Gedanken und Erinnerungen nicht auf diesen Widerspruch mit sich
selbst und mit Sybel aufmerksam geworden ist.

Von den Verhandlungen mit den Südstaaten, die zur Erneuerung des
Kaisertums führten, erzählt Fürst Bismarck als von bekannten Dingen nichts.
Aber er übergeht auch sehr wichtige Punkte, die bisher unbekannt waren und
doch auf die Schwierigkeit der Verhandlungen namentlich mit Bayern, also
auch auf den Wert des schließlich Erreichten ein Helles Licht werfen und zu¬
gleich die auffallende Haltung König Ludwigs II. in späterer Zeit erklären
helfen. Der erste Punkt betrifft das Wiederaufleben des alten bayrischen
Lieblingsplaus, die badisch gewordne Pfalz (mit Heidelberg) zu erwerben und
dafür Baden durch das Elsaß oder einen Teil davon zu entschädigen, als wenn
Deutschland noch in den Zeiten napoleonisch-rheinbündischen Länderschachers
gelebt hätte, wo sich deutsche Mittelstaateu ihre Dienste von einem fremden Ge¬
waltherrn mit Fetzen deutschen Bodens bezahlen ließen! Diesen Plan erwähnte
schon im September 1870 der badische Gesandte N. von Mohl in München
in einem Bericht an seine Negierung, der damals dem Grafen von Bismarck
mitgeteilt und in dessen Auftrag auszugsweise in die Presse gebracht wurde,
als den Gedanken auch nicht ultramontaner bayrischer Partitularisten; dann
ließ König Ludwig selbst, auf eine mögliche Zusage eiuer Entschädigung für die





^ Philippson, Kaiser Friedrich 111,, 142 ff.
Sybel V, 4"3, Als Bismarck ihm einwarf: "Aber sie werden nicht wollen" rief
der Kronprinz aus: "Sie werden müssen!"
') Busch III, 245.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Kaisertum gesprochen, am 3. September erwähnt er im Tagebuche die Kaiser¬
idee, am 30. September trug er dem widerstrebenden König seinen Gedanken
vor und betonte, der Titel sei nötig wegen der drei Könige. Die Idee
wurzelte bei ihm tief ebenso in seiner warmen deutsch-nationalen Gesinnung,
wie in seinem Stolze auf die Größe seines Hauses, und er entsprach damit,
was er sehr gut wußte, der Volksstimmung vor allem in Süddeutschland, wie
er in der Frage der Verträge dem natürlichen Empfinden Ausdruck gegeben
hat. Das Verdienst, für ihre Verwirklichung mit begeistertem Eifer eingetreten
zu sein, kaun und darf dem edeln, warmherzigen Manne, dessen ganzes Leben
soviel Tragisches hat, nicht verkümmert werden.^) Das hat natürlich auch
nicht in der Absicht des Fürsten Bismarck gelegen; er hat offenbar nur das,
was der Kronprinz 1866 in Nikolsburg vorgeschlagen hat, den König von
Preußen zum König von Deutschland, die drei andern Könige zu Herzögen
zu macheu, als die deutschen Dinge noch flüssiger und die drei Könige unter
den besiegten Gegnern Preußens waren, in der Erinnerung verwechselt mit
dem, was 1870 geschehen ist. ^) Wunderlicherweise hat er aber die richtige
Version selbst einmal im September 1888 erzählt, ist also selbst in seinem
Gedächtnis unsicher gewesen.'') Das Seltsamste dabei ist, daß er bei der Re¬
daktion der Gedanken und Erinnerungen nicht auf diesen Widerspruch mit sich
selbst und mit Sybel aufmerksam geworden ist.

Von den Verhandlungen mit den Südstaaten, die zur Erneuerung des
Kaisertums führten, erzählt Fürst Bismarck als von bekannten Dingen nichts.
Aber er übergeht auch sehr wichtige Punkte, die bisher unbekannt waren und
doch auf die Schwierigkeit der Verhandlungen namentlich mit Bayern, also
auch auf den Wert des schließlich Erreichten ein Helles Licht werfen und zu¬
gleich die auffallende Haltung König Ludwigs II. in späterer Zeit erklären
helfen. Der erste Punkt betrifft das Wiederaufleben des alten bayrischen
Lieblingsplaus, die badisch gewordne Pfalz (mit Heidelberg) zu erwerben und
dafür Baden durch das Elsaß oder einen Teil davon zu entschädigen, als wenn
Deutschland noch in den Zeiten napoleonisch-rheinbündischen Länderschachers
gelebt hätte, wo sich deutsche Mittelstaateu ihre Dienste von einem fremden Ge¬
waltherrn mit Fetzen deutschen Bodens bezahlen ließen! Diesen Plan erwähnte
schon im September 1870 der badische Gesandte N. von Mohl in München
in einem Bericht an seine Negierung, der damals dem Grafen von Bismarck
mitgeteilt und in dessen Auftrag auszugsweise in die Presse gebracht wurde,
als den Gedanken auch nicht ultramontaner bayrischer Partitularisten; dann
ließ König Ludwig selbst, auf eine mögliche Zusage eiuer Entschädigung für die





^ Philippson, Kaiser Friedrich 111,, 142 ff.
Sybel V, 4»3, Als Bismarck ihm einwarf: „Aber sie werden nicht wollen" rief
der Kronprinz aus: „Sie werden müssen!"
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[0352] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Kaisertum gesprochen, am 3. September erwähnt er im Tagebuche die Kaiser¬ idee, am 30. September trug er dem widerstrebenden König seinen Gedanken vor und betonte, der Titel sei nötig wegen der drei Könige. Die Idee wurzelte bei ihm tief ebenso in seiner warmen deutsch-nationalen Gesinnung, wie in seinem Stolze auf die Größe seines Hauses, und er entsprach damit, was er sehr gut wußte, der Volksstimmung vor allem in Süddeutschland, wie er in der Frage der Verträge dem natürlichen Empfinden Ausdruck gegeben hat. Das Verdienst, für ihre Verwirklichung mit begeistertem Eifer eingetreten zu sein, kaun und darf dem edeln, warmherzigen Manne, dessen ganzes Leben soviel Tragisches hat, nicht verkümmert werden.^) Das hat natürlich auch nicht in der Absicht des Fürsten Bismarck gelegen; er hat offenbar nur das, was der Kronprinz 1866 in Nikolsburg vorgeschlagen hat, den König von Preußen zum König von Deutschland, die drei andern Könige zu Herzögen zu macheu, als die deutschen Dinge noch flüssiger und die drei Könige unter den besiegten Gegnern Preußens waren, in der Erinnerung verwechselt mit dem, was 1870 geschehen ist. ^) Wunderlicherweise hat er aber die richtige Version selbst einmal im September 1888 erzählt, ist also selbst in seinem Gedächtnis unsicher gewesen.'') Das Seltsamste dabei ist, daß er bei der Re¬ daktion der Gedanken und Erinnerungen nicht auf diesen Widerspruch mit sich selbst und mit Sybel aufmerksam geworden ist. Von den Verhandlungen mit den Südstaaten, die zur Erneuerung des Kaisertums führten, erzählt Fürst Bismarck als von bekannten Dingen nichts. Aber er übergeht auch sehr wichtige Punkte, die bisher unbekannt waren und doch auf die Schwierigkeit der Verhandlungen namentlich mit Bayern, also auch auf den Wert des schließlich Erreichten ein Helles Licht werfen und zu¬ gleich die auffallende Haltung König Ludwigs II. in späterer Zeit erklären helfen. Der erste Punkt betrifft das Wiederaufleben des alten bayrischen Lieblingsplaus, die badisch gewordne Pfalz (mit Heidelberg) zu erwerben und dafür Baden durch das Elsaß oder einen Teil davon zu entschädigen, als wenn Deutschland noch in den Zeiten napoleonisch-rheinbündischen Länderschachers gelebt hätte, wo sich deutsche Mittelstaateu ihre Dienste von einem fremden Ge¬ waltherrn mit Fetzen deutschen Bodens bezahlen ließen! Diesen Plan erwähnte schon im September 1870 der badische Gesandte N. von Mohl in München in einem Bericht an seine Negierung, der damals dem Grafen von Bismarck mitgeteilt und in dessen Auftrag auszugsweise in die Presse gebracht wurde, als den Gedanken auch nicht ultramontaner bayrischer Partitularisten; dann ließ König Ludwig selbst, auf eine mögliche Zusage eiuer Entschädigung für die ^ Philippson, Kaiser Friedrich 111,, 142 ff. Sybel V, 4»3, Als Bismarck ihm einwarf: „Aber sie werden nicht wollen" rief der Kronprinz aus: „Sie werden müssen!" ') Busch III, 245.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/352>, abgerufen am 15.01.2025.