Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rinderlieder und Kinderspiele und zählt ohne den Anspruch, den Reichtum auch uur einigermaßen zu erschöpfen, Aber sind sie alle, eine wie die andre, reich daran? Die meisten der fleißigen Wer uun auf seinen Sammelfahrten dieses Glück hat, der kann verhältnis¬ >) Kurt Franko, Über die Volksdichtung im Meißnischen. S. '^7 bis 35 der Festschrift
zum siebzigsten Geburtstage N. H.s herausgegeben von Otto Luon. Leipzig, Teubner, ,1894, Deutsche Rinderlieder und Kinderspiele und zählt ohne den Anspruch, den Reichtum auch uur einigermaßen zu erschöpfen, Aber sind sie alle, eine wie die andre, reich daran? Die meisten der fleißigen Wer uun auf seinen Sammelfahrten dieses Glück hat, der kann verhältnis¬ >) Kurt Franko, Über die Volksdichtung im Meißnischen. S. '^7 bis 35 der Festschrift
zum siebzigsten Geburtstage N. H.s herausgegeben von Otto Luon. Leipzig, Teubner, ,1894, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231501"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rinderlieder und Kinderspiele</fw><lb/> <p xml:id="ID_1029" prev="#ID_1028"> und zählt ohne den Anspruch, den Reichtum auch uur einigermaßen zu erschöpfen,<lb/> gegen 1400 kürzere und längere Stücke, die aus allen Gegenden des deutschen<lb/> Vaterlands zusammengetragen sind, leider ohne jede Angabe darüber, aus welchen<lb/> Landschaften die einzelnen herrühren. Denn dies wäre für jeden in hohem Maße<lb/> lehrreich, der sich von dem, was er da findet, etwa verlockt fühlt, zu vergleichen<lb/> und zu fragen; und zu fragen giebt es da genug. Der Freund des volkstümlichen<lb/> Lebens und Geistes muß daher die Meuge der übrigen Sammlungen zu Hilfe<lb/> rufen, die auf engere Kreise beschränkt sind, aber innerhalb dieser nach Vollständig¬<lb/> keit und zugleich uach genauer Wiedergabe der Überlieferung streben. Und da sind<lb/> denn um alle deutschen Landschaften vertreten, von den Alpen bis zur Meeresküste,<lb/> vom Wasgeuwalde bis an den Memelstrcind fehlt keine.</p><lb/> <p xml:id="ID_1030"> Aber sind sie alle, eine wie die andre, reich daran? Die meisten der fleißigen<lb/> Sammler behaupten es für ihre Heimat. Aber freilich die Früchte ihres Sammel¬<lb/> eifers sind von recht verschiednen Umfange, und ganz neuerdings habe ich einer<lb/> bestimmten Landschaft, dem Meißner Lande, eine verhältnismäßig große Armut an<lb/> Kinderliebem von einem gelehrten und kundigen Manne ausdrücklich zusprechen<lb/> hören. Und diese für das Meißner Land gewissermaßen beschämende Behauptung<lb/> ist nicht leicht hiugesprochen worden, sondern ans eine fleißige mehrjährige Sammel¬<lb/> arbeit gestützt, deren Ergebnis in einer Festschrift für den verstorbnen liebens¬<lb/> würdigen Gelehrten und Fortscher des Grimmschen Geistes, Rudolf Hildebrand,<lb/> niedergelegt ist. ^) In der That ist dieses Ergebnis sehr dürftig, und wenn es auch<lb/> nur einigermaßen den Umfang der Kinderdichtung des Elbestrandes im Sachsenland<lb/> darstellen sollte, so müßte dieses Land hinter allen andern Himmelsstrichen, die die<lb/> deutsche Sonne bescheint, an dichterischer Neigung weit zurückgeblieben sein. Aber<lb/> das wäre wirklich sehr wunderbar, und ich kann es so wenig glauben, wie ich<lb/> andrerseits keine, auch nicht die sorgsamste Sammlung irgend einer Landschaft für<lb/> vollständig ansehen möchte. Denn dieses Sammeln ist eine Glückssache. Es muß<lb/> unsäglich mühsam sein und sehr unvollständige Erfolge bringen, wenn man diese<lb/> Liedchen alle einzeln ans dem Kindermunde sozusagen auffangen will. Freilich<lb/> in Berlin, denn auch da ist Kinderlieb und -spiel noch nicht ausgestorben, ver¬<lb/> mutlich auch in andern Großstädten nicht, da läßt sich ein spielender Kreis durch<lb/> einen herantretenden Zuhörer wenig stören; und es wird mit gepreßter gellender<lb/> Stimme, die den Straßenlärm zu durchdringen gewohnt ist, vergnügt weiter ge¬<lb/> sungen. Aber tritt man in einer kleinen Stadt oder auf dem Lande lauschend an<lb/> das Kindervolk, sofort verstummt Wort und Weise, und auf Kommando giebt nur<lb/> selten eins etwas heraus. Mehr könnte wohl erforschen, wer selbst Kinder hat.<lb/> Aber wer aus dem gebildeten Stande läßt sie heutzutage noch frei unter den Gassen¬<lb/> jungen herumlaufen. Auch in der kleinen Stadt hat man ja leider Gottes ange¬<lb/> fangen, sie in Watte zu wickeln, weil man sie vor dem Ostwind und der Roheit<lb/> niederer Stunde bewahren zu müssen meint. Vielen aber hat ehedem diese so<lb/> wenig wie jener dauerhaften Schaden eingebracht; und solche Leute muß man<lb/> finden, die im täglichen freien Umgange auch mit den Geringen in der Schule, auf<lb/> der Straße, im Feld, im Wald Kinder gewesen find, um mit leichter Mühe ganze<lb/> Schätze jener Kinderlieder zu gewinnen, wenn sie in treuem Gedächtnisse aufbewahrt<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1031" next="#ID_1032"> Wer uun auf seinen Sammelfahrten dieses Glück hat, der kann verhältnis¬<lb/> mäßig leicht und schnell reichen Gewinn einheimsen, wie ja auch die Brüder Grimm</p><lb/> <note xml:id="FID_109" place="foot"> >) Kurt Franko, Über die Volksdichtung im Meißnischen. S. '^7 bis 35 der Festschrift<lb/> zum siebzigsten Geburtstage N. H.s herausgegeben von Otto Luon. Leipzig, Teubner, ,1894,</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
Deutsche Rinderlieder und Kinderspiele
und zählt ohne den Anspruch, den Reichtum auch uur einigermaßen zu erschöpfen,
gegen 1400 kürzere und längere Stücke, die aus allen Gegenden des deutschen
Vaterlands zusammengetragen sind, leider ohne jede Angabe darüber, aus welchen
Landschaften die einzelnen herrühren. Denn dies wäre für jeden in hohem Maße
lehrreich, der sich von dem, was er da findet, etwa verlockt fühlt, zu vergleichen
und zu fragen; und zu fragen giebt es da genug. Der Freund des volkstümlichen
Lebens und Geistes muß daher die Meuge der übrigen Sammlungen zu Hilfe
rufen, die auf engere Kreise beschränkt sind, aber innerhalb dieser nach Vollständig¬
keit und zugleich uach genauer Wiedergabe der Überlieferung streben. Und da sind
denn um alle deutschen Landschaften vertreten, von den Alpen bis zur Meeresküste,
vom Wasgeuwalde bis an den Memelstrcind fehlt keine.
Aber sind sie alle, eine wie die andre, reich daran? Die meisten der fleißigen
Sammler behaupten es für ihre Heimat. Aber freilich die Früchte ihres Sammel¬
eifers sind von recht verschiednen Umfange, und ganz neuerdings habe ich einer
bestimmten Landschaft, dem Meißner Lande, eine verhältnismäßig große Armut an
Kinderliebem von einem gelehrten und kundigen Manne ausdrücklich zusprechen
hören. Und diese für das Meißner Land gewissermaßen beschämende Behauptung
ist nicht leicht hiugesprochen worden, sondern ans eine fleißige mehrjährige Sammel¬
arbeit gestützt, deren Ergebnis in einer Festschrift für den verstorbnen liebens¬
würdigen Gelehrten und Fortscher des Grimmschen Geistes, Rudolf Hildebrand,
niedergelegt ist. ^) In der That ist dieses Ergebnis sehr dürftig, und wenn es auch
nur einigermaßen den Umfang der Kinderdichtung des Elbestrandes im Sachsenland
darstellen sollte, so müßte dieses Land hinter allen andern Himmelsstrichen, die die
deutsche Sonne bescheint, an dichterischer Neigung weit zurückgeblieben sein. Aber
das wäre wirklich sehr wunderbar, und ich kann es so wenig glauben, wie ich
andrerseits keine, auch nicht die sorgsamste Sammlung irgend einer Landschaft für
vollständig ansehen möchte. Denn dieses Sammeln ist eine Glückssache. Es muß
unsäglich mühsam sein und sehr unvollständige Erfolge bringen, wenn man diese
Liedchen alle einzeln ans dem Kindermunde sozusagen auffangen will. Freilich
in Berlin, denn auch da ist Kinderlieb und -spiel noch nicht ausgestorben, ver¬
mutlich auch in andern Großstädten nicht, da läßt sich ein spielender Kreis durch
einen herantretenden Zuhörer wenig stören; und es wird mit gepreßter gellender
Stimme, die den Straßenlärm zu durchdringen gewohnt ist, vergnügt weiter ge¬
sungen. Aber tritt man in einer kleinen Stadt oder auf dem Lande lauschend an
das Kindervolk, sofort verstummt Wort und Weise, und auf Kommando giebt nur
selten eins etwas heraus. Mehr könnte wohl erforschen, wer selbst Kinder hat.
Aber wer aus dem gebildeten Stande läßt sie heutzutage noch frei unter den Gassen¬
jungen herumlaufen. Auch in der kleinen Stadt hat man ja leider Gottes ange¬
fangen, sie in Watte zu wickeln, weil man sie vor dem Ostwind und der Roheit
niederer Stunde bewahren zu müssen meint. Vielen aber hat ehedem diese so
wenig wie jener dauerhaften Schaden eingebracht; und solche Leute muß man
finden, die im täglichen freien Umgange auch mit den Geringen in der Schule, auf
der Straße, im Feld, im Wald Kinder gewesen find, um mit leichter Mühe ganze
Schätze jener Kinderlieder zu gewinnen, wenn sie in treuem Gedächtnisse aufbewahrt
werden.
Wer uun auf seinen Sammelfahrten dieses Glück hat, der kann verhältnis¬
mäßig leicht und schnell reichen Gewinn einheimsen, wie ja auch die Brüder Grimm
>) Kurt Franko, Über die Volksdichtung im Meißnischen. S. '^7 bis 35 der Festschrift
zum siebzigsten Geburtstage N. H.s herausgegeben von Otto Luon. Leipzig, Teubner, ,1894,
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