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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

einer patrizischen Jungfrau Gewalt anthun, obwohl patrizische Lüsternheit das
Umgekehrte schon oft verbrochen hat; aber durch Gesetz die ordentliche Ehe
zwischen beiden Ständen verbieten, das ist eine Schmach für uns. Wollt ihr
nicht vielleicht auch die Ehe zwischen Reichen und Armen verbieten? So zer¬
reißt ihr die bürgerliche Gemeinschaft und macht zwei Städte aus einer! Ver¬
bietet uns doch auch vollends das Wohnen in der Nachbarschaft eines Patriziers,
das Reisen mit einem solchen, die gemeinsame Mahlzeit, den Ausenthalt auf
dem Markte! Was wir fordern ist doch weiter nichts, als daß man uns zu
den Menschen, zu den Bürgern rechne. Und schließlich: wer ist denn der recht¬
mäßige Herr in Rom, das römische Volk oder ihr Patrizier? usw." Als im
Jahre 405 unter den Patriziern selbst wegen der Wahl von Kriegstribuneu
mit Konsulargewalt Streit ausbrach, und von der einen Partei die Volks-
tribunen angerufen wurden, da sagten diese mit boshafter Ironie, von ihnen
könne man doch keine Hilfe erwarten; sie seien ja nicht einmal Menschen, ge¬
schweige denn Bürger; wenn dereinst alle am Staat und an den Ehrenstellen
teil haben würden, dann würden sie, die Tribunen, dafür sorgen, daß nicht ein
übermütiger Beamter Staatsbeschlüsse entkräfte; einstweilen möchten sie nur so
gesetzlos weiter regieren. Man schütze vor, die Plebejer könnten keine Auspizien
anstellen, deshalb dürfe man sie weder zum Konsulat zulassen, noch zum Connu-
bium, denn Bastarde könnten die Auspizien ungiltig machen; das sei das aller-
beleidigendste, die Plebejer als Menschen hinzustellen, die den unsterblichen
Göttern verhaßt seien.

So wertlos diese Reden für die Ermittlung dessen sein mögen, was der
Gelehrte historische Wahrheit nennt, so wichtig scheinen sie uns für den Poli¬
tiker, für den Staatsmann zu sein. Denn wir erfahren aus ihnen, daß schon
vor mehr als zweitausend Jahren alles gesagt worden ist, was die Parteien
der Reichen und der Armen, der Privilegierten und der Zurückgesetzten ein¬
ander zu sagen haben, und wir erfahren zugleich, daß die Meinung, die jede
der beiden von der andern hat, ein für allemal feststeht. Die drunten sind
und bleiben drunten, weil sie nichts taugen, sagen die oben, die da oben sind
nur oben, weil sie das Glück oben hat geboren werden lassen oder ihre Un¬
gerechtigkeit sie hinaufgebracht hat, sagen die unten. Wenig verschlüge es, daß
die uralte Meinung jeder der beiden Parteien heute von den Soziologen beider
Lager naturwissenschaftlich begründet wird; die wissenschaftlichen Beweise der
neuen Zeit machen auf die Gegenpartei noch weniger Eindruck als die drastischen
Beweise alter Zeiten. Daraus folgt für den Staatsmann, daß es ein eitles
und thörichtes Beginnen wäre, wenn er beide Parteien zu einer mittlern An¬
sicht überreden oder gar eine von ihnen zur Ansicht der andern bekehren wollte.
Seine Aufgabe besteht immer nur darin, beide Parteien zu Maßregeln zu be¬
stimmen, durch die der Gegensatz thatsächlich gemildert und die Zahl der
Streitpunkte vermindert wird. Aus dem ganzen Verlauf des römischen Stunde-


Der Römerstaat

einer patrizischen Jungfrau Gewalt anthun, obwohl patrizische Lüsternheit das
Umgekehrte schon oft verbrochen hat; aber durch Gesetz die ordentliche Ehe
zwischen beiden Ständen verbieten, das ist eine Schmach für uns. Wollt ihr
nicht vielleicht auch die Ehe zwischen Reichen und Armen verbieten? So zer¬
reißt ihr die bürgerliche Gemeinschaft und macht zwei Städte aus einer! Ver¬
bietet uns doch auch vollends das Wohnen in der Nachbarschaft eines Patriziers,
das Reisen mit einem solchen, die gemeinsame Mahlzeit, den Ausenthalt auf
dem Markte! Was wir fordern ist doch weiter nichts, als daß man uns zu
den Menschen, zu den Bürgern rechne. Und schließlich: wer ist denn der recht¬
mäßige Herr in Rom, das römische Volk oder ihr Patrizier? usw." Als im
Jahre 405 unter den Patriziern selbst wegen der Wahl von Kriegstribuneu
mit Konsulargewalt Streit ausbrach, und von der einen Partei die Volks-
tribunen angerufen wurden, da sagten diese mit boshafter Ironie, von ihnen
könne man doch keine Hilfe erwarten; sie seien ja nicht einmal Menschen, ge¬
schweige denn Bürger; wenn dereinst alle am Staat und an den Ehrenstellen
teil haben würden, dann würden sie, die Tribunen, dafür sorgen, daß nicht ein
übermütiger Beamter Staatsbeschlüsse entkräfte; einstweilen möchten sie nur so
gesetzlos weiter regieren. Man schütze vor, die Plebejer könnten keine Auspizien
anstellen, deshalb dürfe man sie weder zum Konsulat zulassen, noch zum Connu-
bium, denn Bastarde könnten die Auspizien ungiltig machen; das sei das aller-
beleidigendste, die Plebejer als Menschen hinzustellen, die den unsterblichen
Göttern verhaßt seien.

So wertlos diese Reden für die Ermittlung dessen sein mögen, was der
Gelehrte historische Wahrheit nennt, so wichtig scheinen sie uns für den Poli¬
tiker, für den Staatsmann zu sein. Denn wir erfahren aus ihnen, daß schon
vor mehr als zweitausend Jahren alles gesagt worden ist, was die Parteien
der Reichen und der Armen, der Privilegierten und der Zurückgesetzten ein¬
ander zu sagen haben, und wir erfahren zugleich, daß die Meinung, die jede
der beiden von der andern hat, ein für allemal feststeht. Die drunten sind
und bleiben drunten, weil sie nichts taugen, sagen die oben, die da oben sind
nur oben, weil sie das Glück oben hat geboren werden lassen oder ihre Un¬
gerechtigkeit sie hinaufgebracht hat, sagen die unten. Wenig verschlüge es, daß
die uralte Meinung jeder der beiden Parteien heute von den Soziologen beider
Lager naturwissenschaftlich begründet wird; die wissenschaftlichen Beweise der
neuen Zeit machen auf die Gegenpartei noch weniger Eindruck als die drastischen
Beweise alter Zeiten. Daraus folgt für den Staatsmann, daß es ein eitles
und thörichtes Beginnen wäre, wenn er beide Parteien zu einer mittlern An¬
sicht überreden oder gar eine von ihnen zur Ansicht der andern bekehren wollte.
Seine Aufgabe besteht immer nur darin, beide Parteien zu Maßregeln zu be¬
stimmen, durch die der Gegensatz thatsächlich gemildert und die Zahl der
Streitpunkte vermindert wird. Aus dem ganzen Verlauf des römischen Stunde-


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[0324] Der Römerstaat einer patrizischen Jungfrau Gewalt anthun, obwohl patrizische Lüsternheit das Umgekehrte schon oft verbrochen hat; aber durch Gesetz die ordentliche Ehe zwischen beiden Ständen verbieten, das ist eine Schmach für uns. Wollt ihr nicht vielleicht auch die Ehe zwischen Reichen und Armen verbieten? So zer¬ reißt ihr die bürgerliche Gemeinschaft und macht zwei Städte aus einer! Ver¬ bietet uns doch auch vollends das Wohnen in der Nachbarschaft eines Patriziers, das Reisen mit einem solchen, die gemeinsame Mahlzeit, den Ausenthalt auf dem Markte! Was wir fordern ist doch weiter nichts, als daß man uns zu den Menschen, zu den Bürgern rechne. Und schließlich: wer ist denn der recht¬ mäßige Herr in Rom, das römische Volk oder ihr Patrizier? usw." Als im Jahre 405 unter den Patriziern selbst wegen der Wahl von Kriegstribuneu mit Konsulargewalt Streit ausbrach, und von der einen Partei die Volks- tribunen angerufen wurden, da sagten diese mit boshafter Ironie, von ihnen könne man doch keine Hilfe erwarten; sie seien ja nicht einmal Menschen, ge¬ schweige denn Bürger; wenn dereinst alle am Staat und an den Ehrenstellen teil haben würden, dann würden sie, die Tribunen, dafür sorgen, daß nicht ein übermütiger Beamter Staatsbeschlüsse entkräfte; einstweilen möchten sie nur so gesetzlos weiter regieren. Man schütze vor, die Plebejer könnten keine Auspizien anstellen, deshalb dürfe man sie weder zum Konsulat zulassen, noch zum Connu- bium, denn Bastarde könnten die Auspizien ungiltig machen; das sei das aller- beleidigendste, die Plebejer als Menschen hinzustellen, die den unsterblichen Göttern verhaßt seien. So wertlos diese Reden für die Ermittlung dessen sein mögen, was der Gelehrte historische Wahrheit nennt, so wichtig scheinen sie uns für den Poli¬ tiker, für den Staatsmann zu sein. Denn wir erfahren aus ihnen, daß schon vor mehr als zweitausend Jahren alles gesagt worden ist, was die Parteien der Reichen und der Armen, der Privilegierten und der Zurückgesetzten ein¬ ander zu sagen haben, und wir erfahren zugleich, daß die Meinung, die jede der beiden von der andern hat, ein für allemal feststeht. Die drunten sind und bleiben drunten, weil sie nichts taugen, sagen die oben, die da oben sind nur oben, weil sie das Glück oben hat geboren werden lassen oder ihre Un¬ gerechtigkeit sie hinaufgebracht hat, sagen die unten. Wenig verschlüge es, daß die uralte Meinung jeder der beiden Parteien heute von den Soziologen beider Lager naturwissenschaftlich begründet wird; die wissenschaftlichen Beweise der neuen Zeit machen auf die Gegenpartei noch weniger Eindruck als die drastischen Beweise alter Zeiten. Daraus folgt für den Staatsmann, daß es ein eitles und thörichtes Beginnen wäre, wenn er beide Parteien zu einer mittlern An¬ sicht überreden oder gar eine von ihnen zur Ansicht der andern bekehren wollte. Seine Aufgabe besteht immer nur darin, beide Parteien zu Maßregeln zu be¬ stimmen, durch die der Gegensatz thatsächlich gemildert und die Zahl der Streitpunkte vermindert wird. Aus dem ganzen Verlauf des römischen Stunde-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/324>, abgerufen am 15.01.2025.