Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Römerstaat Beamten, die er wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt nicht verurteilen kann, Von diesem stärksten Unterschiede zwischen dem altrömischen und dem Der Römerstaat Beamten, die er wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt nicht verurteilen kann, Von diesem stärksten Unterschiede zwischen dem altrömischen und dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231489"/> <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_993" prev="#ID_992"> Beamten, die er wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt nicht verurteilen kann,<lb/> nicht gehorcht, so stehn dem Beamten die Mittel der Staatsgewalt gegen ihn<lb/> zur Verfügung. Das einzige England erkennt den Widerspruch zwischen<lb/> Bttrgerfreiheit und Militärhoheit wenigstens symbolisch an, indem sich dort die<lb/> Regierung alljährlich durch die Mutiny Act von der LiU ok Rig'IiK dispensieren<lb/> läßt, die die Unterhaltung eines stehenden Heeres im Frieden sür ungesetzlich<lb/> erklärt. Sonach sind, von einigen ganz unbedeutenden modernen Staatswesen<lb/> abgesehen, nur die Staaten des klassischen Altertums wirkliche Freistaaten ge¬<lb/> wesen; unter ihnen aber war Rom der einzige, der sich nicht allein zu halten<lb/> vermocht hat, sondern auch groß und mächtig geworden ist. Niemand weiß,<lb/> ob die politische Freiheit noch einmal auf Erden einkehren wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_994" next="#ID_995"> Von diesem stärksten Unterschiede zwischen dem altrömischen und dem<lb/> heutigen politischen Leben wenden wir uns zu der stärksten Ähnlichkeit, zu dem,<lb/> was sich überhaupt in allen Zeiten gleich bleibt, der Stimmung der kämpfenden<lb/> Parteien und dem Urteil der einen über die andern. Die Reden, aus denen<lb/> beides hervorgeht, sollen nun freilich, soweit die ersten beiden Jahrhunderte<lb/> der Republik in Betracht kommen, teils Stilübungen der Geschichtschreiber,<lb/> teils Erzeugnis fälschender Parteitraditionen sein. Wir erkennen selbstver¬<lb/> ständlich an, daß der moderne Geschichtsforscher, soweit er Thatsachen festzu¬<lb/> stellen hat, nur Urkunden als Quellen gelten lassen darf, und daß es für die<lb/> Zeit vor dem gallischen Brande außer einigen Denkmälern und dem auf eine<lb/> Erztafel eingegrabnen Handelsvertrage mit Karthago vom Jahre 509, d. h. seiner<lb/> Inhaltsangabe bei Polybius 3, 22 keine Urkunden giebt. Aber für völlig wertlos<lb/> vermögen wir die fraglichen Erzählungen und Reden nicht zu halten- Mommsen<lb/> selbst schreibt: „Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel<lb/> an Dokumenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen,<lb/> sondern die Unfähigkeit der spätern Historiker, die archivalischen Nachrichten zu<lb/> verarbeiten und ihre Verkehrheit nach Schilderungen von Motiven und Charak¬<lb/> teren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzähluugeu in der Tradition zu<lb/> suchen, und darüber das zu verkeimen, was sie dem ernsten und entsagende»<lb/> Forscher nicht verweigert haben würde." Die Tradition muß in Rom sehr<lb/> ausführlich und sehr zuverlässig gewesen sein, denn bei der bekannten Art des<lb/> römischen Hauses, wo die politischen Grundsätze des Ahnen von den Nach¬<lb/> kommen jahrhundertelang festgehalten wurden, und die Thaten und Ehrenämter<lb/> der Väter Gegenstand eines förmlichen Kultus waren, ist es gar nicht denkbar,<lb/> daß nicht vieles davon schriftlich aufgezeichnet worden sein sollte; und diese<lb/> Familienchroniken werden beim gallischen Brande nicht sämtlich zu Grunde ge¬<lb/> gangen sein; mit den Göttern wird man auch manches schriftliche Heiligtum<lb/> aufs Kapitol oder in die Nachbarstädte gerettet haben. Und sind in den er-<lb/> haltnen Überresten solcher Aufzeichnungen und in den mündlich fortgepflanzten<lb/> Berichten die Thatsachen mannigfach verschoben und vielleicht durch schmückende</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
Der Römerstaat
Beamten, die er wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt nicht verurteilen kann,
nicht gehorcht, so stehn dem Beamten die Mittel der Staatsgewalt gegen ihn
zur Verfügung. Das einzige England erkennt den Widerspruch zwischen
Bttrgerfreiheit und Militärhoheit wenigstens symbolisch an, indem sich dort die
Regierung alljährlich durch die Mutiny Act von der LiU ok Rig'IiK dispensieren
läßt, die die Unterhaltung eines stehenden Heeres im Frieden sür ungesetzlich
erklärt. Sonach sind, von einigen ganz unbedeutenden modernen Staatswesen
abgesehen, nur die Staaten des klassischen Altertums wirkliche Freistaaten ge¬
wesen; unter ihnen aber war Rom der einzige, der sich nicht allein zu halten
vermocht hat, sondern auch groß und mächtig geworden ist. Niemand weiß,
ob die politische Freiheit noch einmal auf Erden einkehren wird.
Von diesem stärksten Unterschiede zwischen dem altrömischen und dem
heutigen politischen Leben wenden wir uns zu der stärksten Ähnlichkeit, zu dem,
was sich überhaupt in allen Zeiten gleich bleibt, der Stimmung der kämpfenden
Parteien und dem Urteil der einen über die andern. Die Reden, aus denen
beides hervorgeht, sollen nun freilich, soweit die ersten beiden Jahrhunderte
der Republik in Betracht kommen, teils Stilübungen der Geschichtschreiber,
teils Erzeugnis fälschender Parteitraditionen sein. Wir erkennen selbstver¬
ständlich an, daß der moderne Geschichtsforscher, soweit er Thatsachen festzu¬
stellen hat, nur Urkunden als Quellen gelten lassen darf, und daß es für die
Zeit vor dem gallischen Brande außer einigen Denkmälern und dem auf eine
Erztafel eingegrabnen Handelsvertrage mit Karthago vom Jahre 509, d. h. seiner
Inhaltsangabe bei Polybius 3, 22 keine Urkunden giebt. Aber für völlig wertlos
vermögen wir die fraglichen Erzählungen und Reden nicht zu halten- Mommsen
selbst schreibt: „Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel
an Dokumenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen,
sondern die Unfähigkeit der spätern Historiker, die archivalischen Nachrichten zu
verarbeiten und ihre Verkehrheit nach Schilderungen von Motiven und Charak¬
teren, nach Schlachtberichten und Revolutionserzähluugeu in der Tradition zu
suchen, und darüber das zu verkeimen, was sie dem ernsten und entsagende»
Forscher nicht verweigert haben würde." Die Tradition muß in Rom sehr
ausführlich und sehr zuverlässig gewesen sein, denn bei der bekannten Art des
römischen Hauses, wo die politischen Grundsätze des Ahnen von den Nach¬
kommen jahrhundertelang festgehalten wurden, und die Thaten und Ehrenämter
der Väter Gegenstand eines förmlichen Kultus waren, ist es gar nicht denkbar,
daß nicht vieles davon schriftlich aufgezeichnet worden sein sollte; und diese
Familienchroniken werden beim gallischen Brande nicht sämtlich zu Grunde ge¬
gangen sein; mit den Göttern wird man auch manches schriftliche Heiligtum
aufs Kapitol oder in die Nachbarstädte gerettet haben. Und sind in den er-
haltnen Überresten solcher Aufzeichnungen und in den mündlich fortgepflanzten
Berichten die Thatsachen mannigfach verschoben und vielleicht durch schmückende
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