Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Römerstaat war dafür gesorgt, daß der Volkswille niemals dauernd von einem Beamten- Der Römerstaat war dafür gesorgt, daß der Volkswille niemals dauernd von einem Beamten- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231486"/> <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_988" prev="#ID_987" next="#ID_989"> war dafür gesorgt, daß der Volkswille niemals dauernd von einem Beamten-<lb/> Willen unterdrückt werden konnte. Die Machtvollkommenheit des hohen Be¬<lb/> amten dauerte nur ein Jahr, und nach dessen Ablauf konnte der Mann vom<lb/> Volke zur Verantwortung gezogen und wegen Mißbrauchs seiner Gewalt be¬<lb/> straft werden. Die ganz unumschränkte Gewalt des Diktators ließ man sich<lb/> sogar nur sechs Monate gefallen, bei der regelmäßigen höchsten Gewalt aber,<lb/> dem Konsulat, war noch außerdem durch die Verteilung auf zwei Personen<lb/> dafür gesorgt, daß die höchste Gewalt nicht in Tyrannei ausarten konnte; ge¬<lb/> wöhnlich wählte man zwei Männer von entgegengesetzter Parteirichtung, Familien-<lb/> tradition und Gemütsart, sodaß sie einander bei Parteistreitigkeiten paralysierten.<lb/> Und da die höchsten Zivilbeamten zugleich auch die Generale waren, so unter¬<lb/> lag die Militürleitung ganz derselben Aufsicht des souveränen Volks wie alle<lb/> andern Zweige des öffentlichen Dienstes. Freilich galt im Lager das Kriegs¬<lb/> recht; vom Urteil des Feldherrn konnte nicht an die Volksversammlung<lb/> appelliert werden. Aber das Lager war eben nicht die Stadt. In der Stadt<lb/> durfte sich der Konsul keine Beile von den Viktoren vorantragen lassen, da<lb/> galt das Provokationsrecht, „das das Haupt und den Rücken auch des ärmsten<lb/> Bürgers vor dem allgewaltigen Herrn des Volks schützte." Die Stadt durste<lb/> der Feldherr mit seinem Heere nicht betreten, ausgenommen als Triumphator.<lb/> Kam er vor dem Triumph ohne Soldaten in die Stadt, so war damit sein<lb/> Feldherrnamt erloschen, und er durfte für diesesmal nicht wieder an die Spitze<lb/> seines Heeres treten: der Triumph war verloren. Obwohl von Marius und<lb/> Sulla gröblich verletzt, wurde dieses Gesetz auch noch von Cäsar respektiert,<lb/> der im Jahre 58 auf den schon vorbereiteten Triumph (über Spanien) ver¬<lb/> zichtete, um als Kandidat für das Konsulat die Stadt betreten zu können, da<lb/> ihm der Senat seine Bitte, sich abwesend durch Freunde bewerben zu dürfen,<lb/> nicht gewährte. Aber noch mehr! So oft die Plebs der Regierung grollte,<lb/> weigerte sie sich, der Aushebung Folge zu leisten. Solche Weigerungen<lb/> werden sehr häufig berichtet. Die Patrizier mußten dann jedesmal viel gute<lb/> Worte geben, um die ärmer« Bürger, oder wenigstens einen Teil von ihnen,<lb/> unter die Fahnen zu bringen. Nach Einsetzung von Volkstribunen kam es vor,<lb/> daß einer dieser „Hetzer" die Bürger auch dann noch von den Fahnen zurück¬<lb/> zuhalten suchte, wenn sie selbst bereit waren, ihre eignen Beschwerden hinter<lb/> die Not des Vaterlands zurückzustellen. Es ist bekannt, wie die Patrizier<lb/> Meister in der Kunst waren, die im Innern angesammelte elektrische Spannung<lb/> sich nach außen entladen zu lassen, und wie jedesmal, wenn sie sich vor dem<lb/> Drängen des Volks mit unbequemen Forderungen nicht mehr zu helfen wußten,<lb/> die Volsker oder die Sabiner oder die Etrusker vor den Thoren erschienen.<lb/> Dionys läßt im Jahre 478 den Konsul Anilins die Väter schmähen, sie<lb/> wollten nur darum nicht Frieden schließen, daß sie sich der versprochnen Acker¬<lb/> verteilung noch länger entziehen könnten, und läßt drei Jahre darauf den an-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
Der Römerstaat
war dafür gesorgt, daß der Volkswille niemals dauernd von einem Beamten-
Willen unterdrückt werden konnte. Die Machtvollkommenheit des hohen Be¬
amten dauerte nur ein Jahr, und nach dessen Ablauf konnte der Mann vom
Volke zur Verantwortung gezogen und wegen Mißbrauchs seiner Gewalt be¬
straft werden. Die ganz unumschränkte Gewalt des Diktators ließ man sich
sogar nur sechs Monate gefallen, bei der regelmäßigen höchsten Gewalt aber,
dem Konsulat, war noch außerdem durch die Verteilung auf zwei Personen
dafür gesorgt, daß die höchste Gewalt nicht in Tyrannei ausarten konnte; ge¬
wöhnlich wählte man zwei Männer von entgegengesetzter Parteirichtung, Familien-
tradition und Gemütsart, sodaß sie einander bei Parteistreitigkeiten paralysierten.
Und da die höchsten Zivilbeamten zugleich auch die Generale waren, so unter¬
lag die Militürleitung ganz derselben Aufsicht des souveränen Volks wie alle
andern Zweige des öffentlichen Dienstes. Freilich galt im Lager das Kriegs¬
recht; vom Urteil des Feldherrn konnte nicht an die Volksversammlung
appelliert werden. Aber das Lager war eben nicht die Stadt. In der Stadt
durfte sich der Konsul keine Beile von den Viktoren vorantragen lassen, da
galt das Provokationsrecht, „das das Haupt und den Rücken auch des ärmsten
Bürgers vor dem allgewaltigen Herrn des Volks schützte." Die Stadt durste
der Feldherr mit seinem Heere nicht betreten, ausgenommen als Triumphator.
Kam er vor dem Triumph ohne Soldaten in die Stadt, so war damit sein
Feldherrnamt erloschen, und er durfte für diesesmal nicht wieder an die Spitze
seines Heeres treten: der Triumph war verloren. Obwohl von Marius und
Sulla gröblich verletzt, wurde dieses Gesetz auch noch von Cäsar respektiert,
der im Jahre 58 auf den schon vorbereiteten Triumph (über Spanien) ver¬
zichtete, um als Kandidat für das Konsulat die Stadt betreten zu können, da
ihm der Senat seine Bitte, sich abwesend durch Freunde bewerben zu dürfen,
nicht gewährte. Aber noch mehr! So oft die Plebs der Regierung grollte,
weigerte sie sich, der Aushebung Folge zu leisten. Solche Weigerungen
werden sehr häufig berichtet. Die Patrizier mußten dann jedesmal viel gute
Worte geben, um die ärmer« Bürger, oder wenigstens einen Teil von ihnen,
unter die Fahnen zu bringen. Nach Einsetzung von Volkstribunen kam es vor,
daß einer dieser „Hetzer" die Bürger auch dann noch von den Fahnen zurück¬
zuhalten suchte, wenn sie selbst bereit waren, ihre eignen Beschwerden hinter
die Not des Vaterlands zurückzustellen. Es ist bekannt, wie die Patrizier
Meister in der Kunst waren, die im Innern angesammelte elektrische Spannung
sich nach außen entladen zu lassen, und wie jedesmal, wenn sie sich vor dem
Drängen des Volks mit unbequemen Forderungen nicht mehr zu helfen wußten,
die Volsker oder die Sabiner oder die Etrusker vor den Thoren erschienen.
Dionys läßt im Jahre 478 den Konsul Anilins die Väter schmähen, sie
wollten nur darum nicht Frieden schließen, daß sie sich der versprochnen Acker¬
verteilung noch länger entziehen könnten, und läßt drei Jahre darauf den an-
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