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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

schon froh, wenn sie ungeschoren auf ihrem Gütchen wirtschaften durften, und
erhoben auf hohe Ämter und Würden keinen Anspruch. Ganz ebenso hat sich
bekanntlich von der französischen Revolution bis in die sechziger Jahre hinein
die europäische "Rotüre" in ihrem Kampfe gegen "Junker und Pfaffen" der
"Canaille" bedient, bis ihr diese über den Kopf zu wachsen drohte. Eine
weitere Ähnlichkeit mit unsern heutigen Kämpfen würde sich ergeben, wenn
Mommsen mit dein Ausspruche Recht hätte: "Wer Soldat ist, muß auch
Offizier werden können, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten
in Rom jetzt snach der Verfassungsänderung durch Servius Tullius^ auch
Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden, und hiermit war
ihnen sogar der Eintritt in den Rat, dem rechtlich ohnehin nichts im Wege
stand, doch wohl auch faktisch eröffnet." Servius hatte den Staat anstatt auf
die Altbürger auf alle Ansässigen und auf deren Dienstpflicht gegründet. Da¬
durch war die Gleichberechtigung aller Bürger, gleichviel welcher Abstammung,
grundsätzlich ausgesprochen, und im Parteikämpfe handelte es sich also für die
Plebejer nur darum, Schritt für Schritt den thatsächlichen Besitz dessen zu
erstreiten, was ihnen von Rechts wegen schon zustand. Geradeso ist es ja
heute in den modernen Staaten, nur daß nicht zwischen alten und neuen Ge¬
schlechtern, sondern zwischen Berufsstäuden und Vermögensklassen allerlei Gegen¬
sätze obwalten; grundsätzlich, verfassungsgemäß haben alle männlichen Ein¬
wohner dieselben Rechte, aber die thatsächliche Gleichheit haben sich verschiedne
Bevölkerungsdichten und Gruppen erst noch zu erstreiten; nicht etwa bloß die
Lohnarbeiter; auch die ärmern selbständigen, denn kleinbürgerliche und klein¬
bäuerliche Abstammung sind ein Hindernis für den Zugang zu höhern Staats-
ümtern und zum Range des Reserveoffiziers; dann die konfessionellen und die
nationalen Minderheiten.

Grundverschieden von den heutigen Verhältnissen sind dagegen wieder die
militärischen Organisationen des Nömerstaats, die, darf man wohl sagen, der
Plebs die Erreichung des Ziels sicherstellten. Die römischen Heere waren
im vollsten Sinne des Worts das Volk in Waffen, daß die Bürgerschaft nicht
aufhörte, das souveräne Volk zu sein, während sie unter den Waffen stand;
der Fall, daß das Heer gegen eine nicht bewaffnete Bürgerschaft, ein Teil des
Volks gegen den andern Hütte verwandt werden können, war vor des Marius
und Sulla Zeit ganz undenkbar. Nicht, daß die Obrigkeiten keine Gewalt
über das Volk gehabt hätten. Als Anarchie ist die Volkssouveränitüt, die
Selbstregierung des Volkes, in Rom niemals verstanden worden. Das Volk
bestellte' sich selbst Beamte, die die von ihm gegebnen Gesetze auszuführen
hatten -- auch der König war nur ein gewählter oberster Hüter und Voll¬
strecker des Gesetzes --, und es gehorchte den Beamten, die es sich selbst
gesetzt hatte, unbedingt, auch wenn der Beamte verhaßt war, und seine Hand¬
lungen allgemein für ungerecht und ungesetzlich gehalten wurden. Aber -- es


Der Römerstaat

schon froh, wenn sie ungeschoren auf ihrem Gütchen wirtschaften durften, und
erhoben auf hohe Ämter und Würden keinen Anspruch. Ganz ebenso hat sich
bekanntlich von der französischen Revolution bis in die sechziger Jahre hinein
die europäische „Rotüre" in ihrem Kampfe gegen „Junker und Pfaffen" der
„Canaille" bedient, bis ihr diese über den Kopf zu wachsen drohte. Eine
weitere Ähnlichkeit mit unsern heutigen Kämpfen würde sich ergeben, wenn
Mommsen mit dein Ausspruche Recht hätte: „Wer Soldat ist, muß auch
Offizier werden können, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten
in Rom jetzt snach der Verfassungsänderung durch Servius Tullius^ auch
Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden, und hiermit war
ihnen sogar der Eintritt in den Rat, dem rechtlich ohnehin nichts im Wege
stand, doch wohl auch faktisch eröffnet." Servius hatte den Staat anstatt auf
die Altbürger auf alle Ansässigen und auf deren Dienstpflicht gegründet. Da¬
durch war die Gleichberechtigung aller Bürger, gleichviel welcher Abstammung,
grundsätzlich ausgesprochen, und im Parteikämpfe handelte es sich also für die
Plebejer nur darum, Schritt für Schritt den thatsächlichen Besitz dessen zu
erstreiten, was ihnen von Rechts wegen schon zustand. Geradeso ist es ja
heute in den modernen Staaten, nur daß nicht zwischen alten und neuen Ge¬
schlechtern, sondern zwischen Berufsstäuden und Vermögensklassen allerlei Gegen¬
sätze obwalten; grundsätzlich, verfassungsgemäß haben alle männlichen Ein¬
wohner dieselben Rechte, aber die thatsächliche Gleichheit haben sich verschiedne
Bevölkerungsdichten und Gruppen erst noch zu erstreiten; nicht etwa bloß die
Lohnarbeiter; auch die ärmern selbständigen, denn kleinbürgerliche und klein¬
bäuerliche Abstammung sind ein Hindernis für den Zugang zu höhern Staats-
ümtern und zum Range des Reserveoffiziers; dann die konfessionellen und die
nationalen Minderheiten.

Grundverschieden von den heutigen Verhältnissen sind dagegen wieder die
militärischen Organisationen des Nömerstaats, die, darf man wohl sagen, der
Plebs die Erreichung des Ziels sicherstellten. Die römischen Heere waren
im vollsten Sinne des Worts das Volk in Waffen, daß die Bürgerschaft nicht
aufhörte, das souveräne Volk zu sein, während sie unter den Waffen stand;
der Fall, daß das Heer gegen eine nicht bewaffnete Bürgerschaft, ein Teil des
Volks gegen den andern Hütte verwandt werden können, war vor des Marius
und Sulla Zeit ganz undenkbar. Nicht, daß die Obrigkeiten keine Gewalt
über das Volk gehabt hätten. Als Anarchie ist die Volkssouveränitüt, die
Selbstregierung des Volkes, in Rom niemals verstanden worden. Das Volk
bestellte' sich selbst Beamte, die die von ihm gegebnen Gesetze auszuführen
hatten — auch der König war nur ein gewählter oberster Hüter und Voll¬
strecker des Gesetzes —, und es gehorchte den Beamten, die es sich selbst
gesetzt hatte, unbedingt, auch wenn der Beamte verhaßt war, und seine Hand¬
lungen allgemein für ungerecht und ungesetzlich gehalten wurden. Aber — es


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[0315] Der Römerstaat schon froh, wenn sie ungeschoren auf ihrem Gütchen wirtschaften durften, und erhoben auf hohe Ämter und Würden keinen Anspruch. Ganz ebenso hat sich bekanntlich von der französischen Revolution bis in die sechziger Jahre hinein die europäische „Rotüre" in ihrem Kampfe gegen „Junker und Pfaffen" der „Canaille" bedient, bis ihr diese über den Kopf zu wachsen drohte. Eine weitere Ähnlichkeit mit unsern heutigen Kämpfen würde sich ergeben, wenn Mommsen mit dein Ausspruche Recht hätte: „Wer Soldat ist, muß auch Offizier werden können, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt snach der Verfassungsänderung durch Servius Tullius^ auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden, und hiermit war ihnen sogar der Eintritt in den Rat, dem rechtlich ohnehin nichts im Wege stand, doch wohl auch faktisch eröffnet." Servius hatte den Staat anstatt auf die Altbürger auf alle Ansässigen und auf deren Dienstpflicht gegründet. Da¬ durch war die Gleichberechtigung aller Bürger, gleichviel welcher Abstammung, grundsätzlich ausgesprochen, und im Parteikämpfe handelte es sich also für die Plebejer nur darum, Schritt für Schritt den thatsächlichen Besitz dessen zu erstreiten, was ihnen von Rechts wegen schon zustand. Geradeso ist es ja heute in den modernen Staaten, nur daß nicht zwischen alten und neuen Ge¬ schlechtern, sondern zwischen Berufsstäuden und Vermögensklassen allerlei Gegen¬ sätze obwalten; grundsätzlich, verfassungsgemäß haben alle männlichen Ein¬ wohner dieselben Rechte, aber die thatsächliche Gleichheit haben sich verschiedne Bevölkerungsdichten und Gruppen erst noch zu erstreiten; nicht etwa bloß die Lohnarbeiter; auch die ärmern selbständigen, denn kleinbürgerliche und klein¬ bäuerliche Abstammung sind ein Hindernis für den Zugang zu höhern Staats- ümtern und zum Range des Reserveoffiziers; dann die konfessionellen und die nationalen Minderheiten. Grundverschieden von den heutigen Verhältnissen sind dagegen wieder die militärischen Organisationen des Nömerstaats, die, darf man wohl sagen, der Plebs die Erreichung des Ziels sicherstellten. Die römischen Heere waren im vollsten Sinne des Worts das Volk in Waffen, daß die Bürgerschaft nicht aufhörte, das souveräne Volk zu sein, während sie unter den Waffen stand; der Fall, daß das Heer gegen eine nicht bewaffnete Bürgerschaft, ein Teil des Volks gegen den andern Hütte verwandt werden können, war vor des Marius und Sulla Zeit ganz undenkbar. Nicht, daß die Obrigkeiten keine Gewalt über das Volk gehabt hätten. Als Anarchie ist die Volkssouveränitüt, die Selbstregierung des Volkes, in Rom niemals verstanden worden. Das Volk bestellte' sich selbst Beamte, die die von ihm gegebnen Gesetze auszuführen hatten — auch der König war nur ein gewählter oberster Hüter und Voll¬ strecker des Gesetzes —, und es gehorchte den Beamten, die es sich selbst gesetzt hatte, unbedingt, auch wenn der Beamte verhaßt war, und seine Hand¬ lungen allgemein für ungerecht und ungesetzlich gehalten wurden. Aber — es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/315>, abgerufen am 15.01.2025.