Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Römerstaat zu seinen Gliedern gemacht und im Besitz ihres Bodens oder seines größten Teils Es kann nicht bezweifelt werden, daß sich die Könige auf die Plebs ge¬ Der Römerstaat zu seinen Gliedern gemacht und im Besitz ihres Bodens oder seines größten Teils Es kann nicht bezweifelt werden, daß sich die Könige auf die Plebs ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231484"/> <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> zu seinen Gliedern gemacht und im Besitz ihres Bodens oder seines größten Teils<lb/> gelassen wurden, oder römische Kolonisten diesen Boden in Besitz nahmen.<lb/> Dionhs hat naiverweise auch dieses Geheimnis aus der Weisheit des sagen¬<lb/> haften Gründers erklärt: Romulus habe verordnet, daß keine im Kriege er¬<lb/> oberte Stadt durch mutwilliges niedermetzeln der Erwachsenen verödet, noch<lb/> auch ihre Bewohnerschaft zu Sklaven gemacht ^nur die Kriegsgefangnen wurden<lb/> in der ältern Zeit in die Sklaverei verkauft), noch ihr Gebiet den Tieren zur<lb/> Weide überlassen werden solle; daß vielmehr ein Teil des Landes an römische<lb/> Kolonisten vergeben werden solle, während die Besiegten, die unter Umständen<lb/> das römische Bürgerrecht bekommen könnten, das übrige behielten (2, 16). An<lb/> einer spätern Stelle (6, 19) läßt er nach einem Siege über die Latiner den<lb/> Diktator Titus Lartius diese weise Politik vertreten gegenüber dem Heißsporn<lb/> Spurius Cassius, der die Städte der Besiegten schleifen will. Und 14, 10<lb/> und 11 bekennt er mit Schmerzen, daß seine griechischen Landsleute, die sinn¬<lb/> lose und barbarische Verwüstungs- und Ausrottungskriege gegen einander ge¬<lb/> führt hätten, eigentlich Barbaren, die Römer aber die echten Griechen seien.<lb/> In späterer Zeit haben freilich die Römer diesen Ruhm mitunter arg befleckt.<lb/> Wie stark aber schon gleich von Anfang an der Kollektivweisheit der Nation<lb/> die Selbstsucht der Einzelnen entgegengewirkt haben mag, wird durch mancherlei<lb/> Berichte oder Sagen aus der Königszeit angedeutet. Schon Numa, erzählt<lb/> Dionys, habe zu seinem Leidwesen gefunden, daß die meisten Römer anfingen,<lb/> den Ackerbau zu vernachlässigen, indem sie durch Wucher und Kriegsbeute reich<lb/> werden wollten. Den Servius Tullius aber läßt er die Schuldner gegen ihre<lb/> Gläubiger in Schutz nehmen und in einer Rede an das Volk unter den Gegnern<lb/> seiner Gesetzgebung die Wucherer, die Schacherer und die Räuber des Gemein¬<lb/> guts aufführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_985" next="#ID_986"> Es kann nicht bezweifelt werden, daß sich die Könige auf die Plebs ge¬<lb/> stützt und sie vor Ausbeutung durch die Privilegierten einigermaßen geschützt<lb/> haben; erst der letzte Tarquinier war so thöricht, das gemeine Volk durch<lb/> allerlei Mißhandlungen zu Bundesgenossen der Aristokratie zu machen. So<lb/> war es denn ganz natürlich, daß sofort nach Beseitigung des gemeinsamen<lb/> Feindes die nun schutzlose schwächere Hälfte des Volks den Kampf gegen die<lb/> Privilegierten aufnahm. Dieses Verhältnis der drei Bestandteile des Staats<lb/> zu einander ist bekanntlich nichts eigentümlich römisches und kehrt gerade in<lb/> der neuern Geschichte öfters wieder. Ganz modern mutet es auch an, daß<lb/> sich die reichen Plebejer, die im Wucher nicht hinter den Patriziern zurück¬<lb/> geblieben sein werden, dennoch der verschuldeten armen Bauern annahmen und<lb/> Demagogen wurden, um für sich selbst den Zugang zu den hohen Staats¬<lb/> ämtern, also zur Herrschaft über den Staat, zu erkämpfen, daß sie daher<lb/> jedesmal eine Forderung der Armen mit einer ihrer eignen Forderungen ver¬<lb/> koppelten, an deren Erfüllung den Unterdrückten nichts lag; denn diese waren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0314]
Der Römerstaat
zu seinen Gliedern gemacht und im Besitz ihres Bodens oder seines größten Teils
gelassen wurden, oder römische Kolonisten diesen Boden in Besitz nahmen.
Dionhs hat naiverweise auch dieses Geheimnis aus der Weisheit des sagen¬
haften Gründers erklärt: Romulus habe verordnet, daß keine im Kriege er¬
oberte Stadt durch mutwilliges niedermetzeln der Erwachsenen verödet, noch
auch ihre Bewohnerschaft zu Sklaven gemacht ^nur die Kriegsgefangnen wurden
in der ältern Zeit in die Sklaverei verkauft), noch ihr Gebiet den Tieren zur
Weide überlassen werden solle; daß vielmehr ein Teil des Landes an römische
Kolonisten vergeben werden solle, während die Besiegten, die unter Umständen
das römische Bürgerrecht bekommen könnten, das übrige behielten (2, 16). An
einer spätern Stelle (6, 19) läßt er nach einem Siege über die Latiner den
Diktator Titus Lartius diese weise Politik vertreten gegenüber dem Heißsporn
Spurius Cassius, der die Städte der Besiegten schleifen will. Und 14, 10
und 11 bekennt er mit Schmerzen, daß seine griechischen Landsleute, die sinn¬
lose und barbarische Verwüstungs- und Ausrottungskriege gegen einander ge¬
führt hätten, eigentlich Barbaren, die Römer aber die echten Griechen seien.
In späterer Zeit haben freilich die Römer diesen Ruhm mitunter arg befleckt.
Wie stark aber schon gleich von Anfang an der Kollektivweisheit der Nation
die Selbstsucht der Einzelnen entgegengewirkt haben mag, wird durch mancherlei
Berichte oder Sagen aus der Königszeit angedeutet. Schon Numa, erzählt
Dionys, habe zu seinem Leidwesen gefunden, daß die meisten Römer anfingen,
den Ackerbau zu vernachlässigen, indem sie durch Wucher und Kriegsbeute reich
werden wollten. Den Servius Tullius aber läßt er die Schuldner gegen ihre
Gläubiger in Schutz nehmen und in einer Rede an das Volk unter den Gegnern
seiner Gesetzgebung die Wucherer, die Schacherer und die Räuber des Gemein¬
guts aufführen.
Es kann nicht bezweifelt werden, daß sich die Könige auf die Plebs ge¬
stützt und sie vor Ausbeutung durch die Privilegierten einigermaßen geschützt
haben; erst der letzte Tarquinier war so thöricht, das gemeine Volk durch
allerlei Mißhandlungen zu Bundesgenossen der Aristokratie zu machen. So
war es denn ganz natürlich, daß sofort nach Beseitigung des gemeinsamen
Feindes die nun schutzlose schwächere Hälfte des Volks den Kampf gegen die
Privilegierten aufnahm. Dieses Verhältnis der drei Bestandteile des Staats
zu einander ist bekanntlich nichts eigentümlich römisches und kehrt gerade in
der neuern Geschichte öfters wieder. Ganz modern mutet es auch an, daß
sich die reichen Plebejer, die im Wucher nicht hinter den Patriziern zurück¬
geblieben sein werden, dennoch der verschuldeten armen Bauern annahmen und
Demagogen wurden, um für sich selbst den Zugang zu den hohen Staats¬
ämtern, also zur Herrschaft über den Staat, zu erkämpfen, daß sie daher
jedesmal eine Forderung der Armen mit einer ihrer eignen Forderungen ver¬
koppelten, an deren Erfüllung den Unterdrückten nichts lag; denn diese waren
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