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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ergiebt, wie mit der größten Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, das Knnalbanen
ein wirtschaftliches Fiasko, so bringt es die soliden preußischen Finanzen in eine
schwer heilbare Zerrüttung,"

Das ist seine ganze Weisheit, denn ein dann noch zum besten gegebner Ver¬
gleich mit dem "Panama" der Franzosen ist nichts als ein gedankenloser Zierat.
Man wird in der Tagespresse kaum eine oberflächlichere Behandlung der Sache
finden können, als sie hier vom Standpunkt der Wissenschaft geleistet Wird. Wer
das redliche Bemühen der Wissenschaft -- zu der freilich nicht allein die Universitäts¬
gilde gehört --, darüber zu einem Urteil zu gelangen, ob und unter welchen Voraus¬
setzungen der Kanalbau neben deu Eisenbahnen noch als volkswirtschaftlich vernünftig
gelten kann, seit zwanzig Jahren verfolgt hat, der wird nach gewissenhaftem Studium
der Mittcllaudkaualvorlage die Zerrüttung der preußischen Finanzen am wenigsten
gegen den Entwurf ins Treffen führen können. Es ist selten bei der Begründung
einer Vorlage so gründlich auf die theoretischen Einwendungen gegen den Kanalbau
überhaupt Rücksicht genommen worden, wie in diesem Falle; und die Erlttnteruugen
der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten bei der ersten Lesung im
Abgeordnetenhause und in der Kommission stehn durchaus auf der Höhe der Wissen¬
schaft, gerade auch dnriu, was die volkswirtschaftliche Vorsicht anbetrifft, die in
solchen mit den Fortschritten der Technik zusammenhängenden Fragen ganz besonders
geboten ist. Die wissenschaftlichen und technischen Sachverständigen haben sich ver¬
antwortlich dahin erklärt, daß ein wirtschaftliches Fiasko beim Mittellandkanal, wie
er geplant ist, im höchsten Grade unwahrscheinlich ist. Die Opponenten unter den
Fachleuten sind eine verschwindende Ausnahme. Leider gehört Professor Cohn,
dessen Urteil gewiß Anspruch ans Beachtung macht, mich noch zu ihnen. Aber
selbst wenn er Recht behielte, wäre Delbrücks Prognose immer noch eine ganz un¬
geheure Übertreibung. Vou einer Zerrüttung der preußischen Finanzen konnte auch
in diesem Falle niemals die Rede sein, zumal da der Staat den Kanalbetrieb
ebenso wie die Eisenbahnen in der Hand hat. Auch hier opponiert Herr Delbrück
nur, weil es ihm so gefällt.

Wir unsrerseits halten die Annahme der Kanalvvrlage im preußische" Abge-
ordnetenhause vorläufig noch für ebenso unsicher, wie daß die Reichstagsmchrheit
Ernst nud Einsicht genug haben wird, die Thorheit und das Unrecht der Demon¬
stration vom 19. bis 22. Juni wieder gut zu machen. Das bestehende Partei¬
wesen und die mit ihm in Wechselwirkung stehende Verworrenheit der öffentlichen
Meinung müssen ganz natürlich eine vernünftige Politik der Parlamente vereiteln.
Aber die deutsche Bildung, die deutsche Wissenschaft und der deutsche Volkschnrakter
werden schon noch rechtzeitig mit der Modcnarrheit fertig werden. Je toller sich
treibt, desto eher. Möchten nur die verbündeten Regierungen die Nnrrheit nicht
tragischer nehmen, als sie es verdient. So was muß nnn einmal austoben, und
das beste müssen wir gebildeten Staatsbürger doch selbst dazu thun.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ergiebt, wie mit der größten Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, das Knnalbanen
ein wirtschaftliches Fiasko, so bringt es die soliden preußischen Finanzen in eine
schwer heilbare Zerrüttung,"

Das ist seine ganze Weisheit, denn ein dann noch zum besten gegebner Ver¬
gleich mit dem „Panama" der Franzosen ist nichts als ein gedankenloser Zierat.
Man wird in der Tagespresse kaum eine oberflächlichere Behandlung der Sache
finden können, als sie hier vom Standpunkt der Wissenschaft geleistet Wird. Wer
das redliche Bemühen der Wissenschaft — zu der freilich nicht allein die Universitäts¬
gilde gehört —, darüber zu einem Urteil zu gelangen, ob und unter welchen Voraus¬
setzungen der Kanalbau neben deu Eisenbahnen noch als volkswirtschaftlich vernünftig
gelten kann, seit zwanzig Jahren verfolgt hat, der wird nach gewissenhaftem Studium
der Mittcllaudkaualvorlage die Zerrüttung der preußischen Finanzen am wenigsten
gegen den Entwurf ins Treffen führen können. Es ist selten bei der Begründung
einer Vorlage so gründlich auf die theoretischen Einwendungen gegen den Kanalbau
überhaupt Rücksicht genommen worden, wie in diesem Falle; und die Erlttnteruugen
der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten bei der ersten Lesung im
Abgeordnetenhause und in der Kommission stehn durchaus auf der Höhe der Wissen¬
schaft, gerade auch dnriu, was die volkswirtschaftliche Vorsicht anbetrifft, die in
solchen mit den Fortschritten der Technik zusammenhängenden Fragen ganz besonders
geboten ist. Die wissenschaftlichen und technischen Sachverständigen haben sich ver¬
antwortlich dahin erklärt, daß ein wirtschaftliches Fiasko beim Mittellandkanal, wie
er geplant ist, im höchsten Grade unwahrscheinlich ist. Die Opponenten unter den
Fachleuten sind eine verschwindende Ausnahme. Leider gehört Professor Cohn,
dessen Urteil gewiß Anspruch ans Beachtung macht, mich noch zu ihnen. Aber
selbst wenn er Recht behielte, wäre Delbrücks Prognose immer noch eine ganz un¬
geheure Übertreibung. Vou einer Zerrüttung der preußischen Finanzen konnte auch
in diesem Falle niemals die Rede sein, zumal da der Staat den Kanalbetrieb
ebenso wie die Eisenbahnen in der Hand hat. Auch hier opponiert Herr Delbrück
nur, weil es ihm so gefällt.

Wir unsrerseits halten die Annahme der Kanalvvrlage im preußische» Abge-
ordnetenhause vorläufig noch für ebenso unsicher, wie daß die Reichstagsmchrheit
Ernst nud Einsicht genug haben wird, die Thorheit und das Unrecht der Demon¬
stration vom 19. bis 22. Juni wieder gut zu machen. Das bestehende Partei¬
wesen und die mit ihm in Wechselwirkung stehende Verworrenheit der öffentlichen
Meinung müssen ganz natürlich eine vernünftige Politik der Parlamente vereiteln.
Aber die deutsche Bildung, die deutsche Wissenschaft und der deutsche Volkschnrakter
werden schon noch rechtzeitig mit der Modcnarrheit fertig werden. Je toller sich
treibt, desto eher. Möchten nur die verbündeten Regierungen die Nnrrheit nicht
tragischer nehmen, als sie es verdient. So was muß nnn einmal austoben, und
das beste müssen wir gebildeten Staatsbürger doch selbst dazu thun.




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[0295] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ergiebt, wie mit der größten Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, das Knnalbanen ein wirtschaftliches Fiasko, so bringt es die soliden preußischen Finanzen in eine schwer heilbare Zerrüttung," Das ist seine ganze Weisheit, denn ein dann noch zum besten gegebner Ver¬ gleich mit dem „Panama" der Franzosen ist nichts als ein gedankenloser Zierat. Man wird in der Tagespresse kaum eine oberflächlichere Behandlung der Sache finden können, als sie hier vom Standpunkt der Wissenschaft geleistet Wird. Wer das redliche Bemühen der Wissenschaft — zu der freilich nicht allein die Universitäts¬ gilde gehört —, darüber zu einem Urteil zu gelangen, ob und unter welchen Voraus¬ setzungen der Kanalbau neben deu Eisenbahnen noch als volkswirtschaftlich vernünftig gelten kann, seit zwanzig Jahren verfolgt hat, der wird nach gewissenhaftem Studium der Mittcllaudkaualvorlage die Zerrüttung der preußischen Finanzen am wenigsten gegen den Entwurf ins Treffen führen können. Es ist selten bei der Begründung einer Vorlage so gründlich auf die theoretischen Einwendungen gegen den Kanalbau überhaupt Rücksicht genommen worden, wie in diesem Falle; und die Erlttnteruugen der Minister des Handels und der öffentlichen Arbeiten bei der ersten Lesung im Abgeordnetenhause und in der Kommission stehn durchaus auf der Höhe der Wissen¬ schaft, gerade auch dnriu, was die volkswirtschaftliche Vorsicht anbetrifft, die in solchen mit den Fortschritten der Technik zusammenhängenden Fragen ganz besonders geboten ist. Die wissenschaftlichen und technischen Sachverständigen haben sich ver¬ antwortlich dahin erklärt, daß ein wirtschaftliches Fiasko beim Mittellandkanal, wie er geplant ist, im höchsten Grade unwahrscheinlich ist. Die Opponenten unter den Fachleuten sind eine verschwindende Ausnahme. Leider gehört Professor Cohn, dessen Urteil gewiß Anspruch ans Beachtung macht, mich noch zu ihnen. Aber selbst wenn er Recht behielte, wäre Delbrücks Prognose immer noch eine ganz un¬ geheure Übertreibung. Vou einer Zerrüttung der preußischen Finanzen konnte auch in diesem Falle niemals die Rede sein, zumal da der Staat den Kanalbetrieb ebenso wie die Eisenbahnen in der Hand hat. Auch hier opponiert Herr Delbrück nur, weil es ihm so gefällt. Wir unsrerseits halten die Annahme der Kanalvvrlage im preußische» Abge- ordnetenhause vorläufig noch für ebenso unsicher, wie daß die Reichstagsmchrheit Ernst nud Einsicht genug haben wird, die Thorheit und das Unrecht der Demon¬ stration vom 19. bis 22. Juni wieder gut zu machen. Das bestehende Partei¬ wesen und die mit ihm in Wechselwirkung stehende Verworrenheit der öffentlichen Meinung müssen ganz natürlich eine vernünftige Politik der Parlamente vereiteln. Aber die deutsche Bildung, die deutsche Wissenschaft und der deutsche Volkschnrakter werden schon noch rechtzeitig mit der Modcnarrheit fertig werden. Je toller sich treibt, desto eher. Möchten nur die verbündeten Regierungen die Nnrrheit nicht tragischer nehmen, als sie es verdient. So was muß nnn einmal austoben, und das beste müssen wir gebildeten Staatsbürger doch selbst dazu thun.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/295>, abgerufen am 15.01.2025.