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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

Keine gesunde Kunst verschleudert das technische Gut, das frühere Generationen
angesammelt haben. Man predigt doch sonst immer das Evangelium der
Selbständigkeit und Modernität und erklärt z. V. in der Malerei die Nach¬
ahmung der alten Meister für verwerflich. Warum gerade der Holzschnitt
seine Zukunft in der Nachahmung, im Archaismus suchen soll, ist nicht recht
einzusehen.

Im Grunde sind ja auch alle Einwände, die man gegen den malerischen
Tonschnitt erhebt, gar nicht gegen ihn, sondern gegen gewisse Mißbräuche ge¬
richtet, die gewöhnlich mit seiner Ausübung verbunden sind. Wenn z. B. die
Verleger unsrer illustrierten Journale, statt wirklich künstlerische Zeichnungen
zur Vervielfältigung in Tonschnitt anfertigen zu lassen, zu billigeren Preise das
Vervielfältigungsrecht moderner Gemälde erwerben, oder wenn sie den Holz¬
schneider aus Sparsamkeitsgründen statt nach dem Original oder der Natur
nach einer Photographie arbeiten lassen, so ist das ja freilich nicht zu billigen.
Aber dieser Vorwurf trifft den Holzschneider nicht und noch weniger die
malerische Richtung des modernen Holzschnitts. Und wenn der Verleger, um
dem schlechten Geschmacke des Publikums entgegenzukommen, gerade die sü߬
lichsten n"d fadesten Bilder der Ausstellungen, z. B. die bekannten großäugigen
Müdchenköpfe mit den poetischen Namen und die "interessanten" sentimentalen
Genrebilder wählt, so ist das seine Sache und fällt dem Holzschneider nicht zur
Last. Und wenn er schlechte künstlerische Spezialreporter für sich reisen und die
bekannten miserabeln Bilder vom Kriegsschauplatze oder der Einweihung dieses
oder jenes Denkmals u. tgi. anfertigen läßt, so ist wohl der Holzschneider zu
bedauern, der dieses elende Zeug reproduzieren muß, aber es wäre sehr unrecht,
ihm einen Vorwurf aus Mißständen zu machen, die er weder selbst geschaffen
hat, noch auch zu ändern imstande ist. Jede Technik kann natürlich mißbraucht
werden. Aber es gehört nur wenig Überlegung dazu, einzusehen, daß derartige
Mißbräuche nicht zur Grundlage von Urteilen über ihre größere oder geringere
ästhetische Berechtigung gemacht werden können. Gerade diese schlechten Gattungen
des Tonschnitts werden ohne Zweifel mit der Zeit immer mehr von der Moment-
Photographie und Autotypie verdrängt werden, wie wir das ja z. B. in England
sehen. Das ist aber kein Schade, sondern für den künstlerischen Holzschnitt
nur ein Gewinn. Denn gerade dadurch wird er zur Betonung der künstlerischen
Seite gedrängt.

Auch daß der moderne Holzschneider seine höchste Aufgabe in der Repro¬
duktion von Gemälden sieht, ist nicht so tadelswert, wie es meistens dargestellt
wird. Denn der Holzschnitt ist eben von jeher Surrogat für die Malerei
gewesen, und es ist nicht einzusehen, warum er in der Wiedergabe der Gemälde
an einem bestimmten Punkte -- den übrigens noch kein Mensch zu fixieren gewußt
hat -- HM machen soll. Der Radierung laßt man es ruhig hingehn, wenn
sie Gemälde so genau kopiert, daß man die Pinselstriche, den pastosen Farben-


Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

Keine gesunde Kunst verschleudert das technische Gut, das frühere Generationen
angesammelt haben. Man predigt doch sonst immer das Evangelium der
Selbständigkeit und Modernität und erklärt z. V. in der Malerei die Nach¬
ahmung der alten Meister für verwerflich. Warum gerade der Holzschnitt
seine Zukunft in der Nachahmung, im Archaismus suchen soll, ist nicht recht
einzusehen.

Im Grunde sind ja auch alle Einwände, die man gegen den malerischen
Tonschnitt erhebt, gar nicht gegen ihn, sondern gegen gewisse Mißbräuche ge¬
richtet, die gewöhnlich mit seiner Ausübung verbunden sind. Wenn z. B. die
Verleger unsrer illustrierten Journale, statt wirklich künstlerische Zeichnungen
zur Vervielfältigung in Tonschnitt anfertigen zu lassen, zu billigeren Preise das
Vervielfältigungsrecht moderner Gemälde erwerben, oder wenn sie den Holz¬
schneider aus Sparsamkeitsgründen statt nach dem Original oder der Natur
nach einer Photographie arbeiten lassen, so ist das ja freilich nicht zu billigen.
Aber dieser Vorwurf trifft den Holzschneider nicht und noch weniger die
malerische Richtung des modernen Holzschnitts. Und wenn der Verleger, um
dem schlechten Geschmacke des Publikums entgegenzukommen, gerade die sü߬
lichsten n»d fadesten Bilder der Ausstellungen, z. B. die bekannten großäugigen
Müdchenköpfe mit den poetischen Namen und die „interessanten" sentimentalen
Genrebilder wählt, so ist das seine Sache und fällt dem Holzschneider nicht zur
Last. Und wenn er schlechte künstlerische Spezialreporter für sich reisen und die
bekannten miserabeln Bilder vom Kriegsschauplatze oder der Einweihung dieses
oder jenes Denkmals u. tgi. anfertigen läßt, so ist wohl der Holzschneider zu
bedauern, der dieses elende Zeug reproduzieren muß, aber es wäre sehr unrecht,
ihm einen Vorwurf aus Mißständen zu machen, die er weder selbst geschaffen
hat, noch auch zu ändern imstande ist. Jede Technik kann natürlich mißbraucht
werden. Aber es gehört nur wenig Überlegung dazu, einzusehen, daß derartige
Mißbräuche nicht zur Grundlage von Urteilen über ihre größere oder geringere
ästhetische Berechtigung gemacht werden können. Gerade diese schlechten Gattungen
des Tonschnitts werden ohne Zweifel mit der Zeit immer mehr von der Moment-
Photographie und Autotypie verdrängt werden, wie wir das ja z. B. in England
sehen. Das ist aber kein Schade, sondern für den künstlerischen Holzschnitt
nur ein Gewinn. Denn gerade dadurch wird er zur Betonung der künstlerischen
Seite gedrängt.

Auch daß der moderne Holzschneider seine höchste Aufgabe in der Repro¬
duktion von Gemälden sieht, ist nicht so tadelswert, wie es meistens dargestellt
wird. Denn der Holzschnitt ist eben von jeher Surrogat für die Malerei
gewesen, und es ist nicht einzusehen, warum er in der Wiedergabe der Gemälde
an einem bestimmten Punkte — den übrigens noch kein Mensch zu fixieren gewußt
hat — HM machen soll. Der Radierung laßt man es ruhig hingehn, wenn
sie Gemälde so genau kopiert, daß man die Pinselstriche, den pastosen Farben-


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[0283] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft Keine gesunde Kunst verschleudert das technische Gut, das frühere Generationen angesammelt haben. Man predigt doch sonst immer das Evangelium der Selbständigkeit und Modernität und erklärt z. V. in der Malerei die Nach¬ ahmung der alten Meister für verwerflich. Warum gerade der Holzschnitt seine Zukunft in der Nachahmung, im Archaismus suchen soll, ist nicht recht einzusehen. Im Grunde sind ja auch alle Einwände, die man gegen den malerischen Tonschnitt erhebt, gar nicht gegen ihn, sondern gegen gewisse Mißbräuche ge¬ richtet, die gewöhnlich mit seiner Ausübung verbunden sind. Wenn z. B. die Verleger unsrer illustrierten Journale, statt wirklich künstlerische Zeichnungen zur Vervielfältigung in Tonschnitt anfertigen zu lassen, zu billigeren Preise das Vervielfältigungsrecht moderner Gemälde erwerben, oder wenn sie den Holz¬ schneider aus Sparsamkeitsgründen statt nach dem Original oder der Natur nach einer Photographie arbeiten lassen, so ist das ja freilich nicht zu billigen. Aber dieser Vorwurf trifft den Holzschneider nicht und noch weniger die malerische Richtung des modernen Holzschnitts. Und wenn der Verleger, um dem schlechten Geschmacke des Publikums entgegenzukommen, gerade die sü߬ lichsten n»d fadesten Bilder der Ausstellungen, z. B. die bekannten großäugigen Müdchenköpfe mit den poetischen Namen und die „interessanten" sentimentalen Genrebilder wählt, so ist das seine Sache und fällt dem Holzschneider nicht zur Last. Und wenn er schlechte künstlerische Spezialreporter für sich reisen und die bekannten miserabeln Bilder vom Kriegsschauplatze oder der Einweihung dieses oder jenes Denkmals u. tgi. anfertigen läßt, so ist wohl der Holzschneider zu bedauern, der dieses elende Zeug reproduzieren muß, aber es wäre sehr unrecht, ihm einen Vorwurf aus Mißständen zu machen, die er weder selbst geschaffen hat, noch auch zu ändern imstande ist. Jede Technik kann natürlich mißbraucht werden. Aber es gehört nur wenig Überlegung dazu, einzusehen, daß derartige Mißbräuche nicht zur Grundlage von Urteilen über ihre größere oder geringere ästhetische Berechtigung gemacht werden können. Gerade diese schlechten Gattungen des Tonschnitts werden ohne Zweifel mit der Zeit immer mehr von der Moment- Photographie und Autotypie verdrängt werden, wie wir das ja z. B. in England sehen. Das ist aber kein Schade, sondern für den künstlerischen Holzschnitt nur ein Gewinn. Denn gerade dadurch wird er zur Betonung der künstlerischen Seite gedrängt. Auch daß der moderne Holzschneider seine höchste Aufgabe in der Repro¬ duktion von Gemälden sieht, ist nicht so tadelswert, wie es meistens dargestellt wird. Denn der Holzschnitt ist eben von jeher Surrogat für die Malerei gewesen, und es ist nicht einzusehen, warum er in der Wiedergabe der Gemälde an einem bestimmten Punkte — den übrigens noch kein Mensch zu fixieren gewußt hat — HM machen soll. Der Radierung laßt man es ruhig hingehn, wenn sie Gemälde so genau kopiert, daß man die Pinselstriche, den pastosen Farben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/283>, abgerufen am 15.01.2025.