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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

letzten großen Zeichner des ältern Holzschnitts, Christoph Jegher und Jan
Lievens. Jener übersetzt den Stil des Rubens, dieser den des Rembrandt in
seine Technik. Und die Stiche nach Lievens zeigen schon die sreie, an die
Radierung erinnernde Strichführung, die in unserm Jahrhundert wieder in
dem neuern Faksimileschnitt auflebt. Daß diese beiden Richtungen keine Nach¬
folge fanden, und der Holzschnitt nun auf zwei Jahrhunderte hinaus verfiel,
erklärt sich daraus, daß inzwischen in der Radierung eine Technik erstanden
war, die damals wenigstens die malerische Wirkung besser herausbringen konnte
als der Holzschnitt. Schon damals ist aber der dekorative Charakter des Buchs
so sehr vergessen, daß zur Illustration überhaupt nicht der Holzschnitt, sondern
der Kupferstich verwandt wird.

So ist also der Zug zum Malerischen, den der moderne Tonschnitt zeigt,
nicht etwa ein Abweg, der der innern historischen Notwendigkeit widerspräche,
sondern im Gegenteil die natürliche Konsequenz der bisherigen Entwicklung.
Eine Technik, die von jeher, seit ihrem Auftreten, Surrogat für Malerei und
Zeichnung gewesen ist, mußte sich, nachdem die Malerei einmal den Weg zum
Kolorismus und Realismus gefunden hatte, so und nicht anders entwickeln.
Billige man also diese Entwicklung der Malerei, so muß man folgerichtig auch
die des Holzschnitts billigen. Von dem Augenblick an, wo der Zeichner zum
Pinsel griff und seine Gedanken am liebsten in malerisch lavierten Zeichnungen
aussprach, mußte sich auch im Holzschnitt eine Nachahmung dieser Zeichenweise,
d. h. eben der Tonschnitt entwickeln. Der Tonschnitt repräsentiert nicht nur
die höchste künstlerische und technische Stufe des bisherigen Holzschnitts, sondern
auch die größte Annäherung an die Malerei und somit an die Natur, die
dieser Technik bisher vergönnt war. Und wenn wir von der unzweifelhaften
Thatsache ausgehn, daß der Holzschnitt zu jeder Zeit das geleistet hat, was
er technisch zu leisten imstande war, d. h. der Natur so nahe gekommen ist,
wie es seine jeweilige Entwicklungsstufe erlaubte, so ist der Tonschnitt ohne
Zweifel die eigentliche klassische Form dieser Technik in der Gegenwart.

Darum ist natürlich nicht gesagt, daß die andern Gattungen neben ihm
keine Daseinsberechtigung hätten. Im Gegenteil, der große Reiz und die
eigentliche Stärke des Holzschnitts beruht gerade in seiner außerordentlichen
Vielseitigkeit. Man kultiviere ruhig neben dem Tonschnitt den malerischen
Faksimileschnitt, der ja nun auch eine so ruhmvolle Vergangenheit hinter sich
hat. Und wenn man einmal besondern Wert auf den dekorativen Eindruck einer
Seite oder eines Buchs legen will, so bediene man sich ruhig des ältern Linien¬
schnitts und halte das Ganze im Stil des fünfzehnten oder sechzehnten Jahr¬
hunderts. Nur bilde man sich nicht ein, daß dies das einzig Nichtige sei, und
daß gerade die letzte Art dem Holzschnitt einen Anstoß zu neuer Entwicklung
geben könne. Eine solche ist immer nur in der Richtung der höchsten technischen
Vollendung möglich, nicht in der Richtung vergangner primitiver Formen.


Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

letzten großen Zeichner des ältern Holzschnitts, Christoph Jegher und Jan
Lievens. Jener übersetzt den Stil des Rubens, dieser den des Rembrandt in
seine Technik. Und die Stiche nach Lievens zeigen schon die sreie, an die
Radierung erinnernde Strichführung, die in unserm Jahrhundert wieder in
dem neuern Faksimileschnitt auflebt. Daß diese beiden Richtungen keine Nach¬
folge fanden, und der Holzschnitt nun auf zwei Jahrhunderte hinaus verfiel,
erklärt sich daraus, daß inzwischen in der Radierung eine Technik erstanden
war, die damals wenigstens die malerische Wirkung besser herausbringen konnte
als der Holzschnitt. Schon damals ist aber der dekorative Charakter des Buchs
so sehr vergessen, daß zur Illustration überhaupt nicht der Holzschnitt, sondern
der Kupferstich verwandt wird.

So ist also der Zug zum Malerischen, den der moderne Tonschnitt zeigt,
nicht etwa ein Abweg, der der innern historischen Notwendigkeit widerspräche,
sondern im Gegenteil die natürliche Konsequenz der bisherigen Entwicklung.
Eine Technik, die von jeher, seit ihrem Auftreten, Surrogat für Malerei und
Zeichnung gewesen ist, mußte sich, nachdem die Malerei einmal den Weg zum
Kolorismus und Realismus gefunden hatte, so und nicht anders entwickeln.
Billige man also diese Entwicklung der Malerei, so muß man folgerichtig auch
die des Holzschnitts billigen. Von dem Augenblick an, wo der Zeichner zum
Pinsel griff und seine Gedanken am liebsten in malerisch lavierten Zeichnungen
aussprach, mußte sich auch im Holzschnitt eine Nachahmung dieser Zeichenweise,
d. h. eben der Tonschnitt entwickeln. Der Tonschnitt repräsentiert nicht nur
die höchste künstlerische und technische Stufe des bisherigen Holzschnitts, sondern
auch die größte Annäherung an die Malerei und somit an die Natur, die
dieser Technik bisher vergönnt war. Und wenn wir von der unzweifelhaften
Thatsache ausgehn, daß der Holzschnitt zu jeder Zeit das geleistet hat, was
er technisch zu leisten imstande war, d. h. der Natur so nahe gekommen ist,
wie es seine jeweilige Entwicklungsstufe erlaubte, so ist der Tonschnitt ohne
Zweifel die eigentliche klassische Form dieser Technik in der Gegenwart.

Darum ist natürlich nicht gesagt, daß die andern Gattungen neben ihm
keine Daseinsberechtigung hätten. Im Gegenteil, der große Reiz und die
eigentliche Stärke des Holzschnitts beruht gerade in seiner außerordentlichen
Vielseitigkeit. Man kultiviere ruhig neben dem Tonschnitt den malerischen
Faksimileschnitt, der ja nun auch eine so ruhmvolle Vergangenheit hinter sich
hat. Und wenn man einmal besondern Wert auf den dekorativen Eindruck einer
Seite oder eines Buchs legen will, so bediene man sich ruhig des ältern Linien¬
schnitts und halte das Ganze im Stil des fünfzehnten oder sechzehnten Jahr¬
hunderts. Nur bilde man sich nicht ein, daß dies das einzig Nichtige sei, und
daß gerade die letzte Art dem Holzschnitt einen Anstoß zu neuer Entwicklung
geben könne. Eine solche ist immer nur in der Richtung der höchsten technischen
Vollendung möglich, nicht in der Richtung vergangner primitiver Formen.


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[0282] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft letzten großen Zeichner des ältern Holzschnitts, Christoph Jegher und Jan Lievens. Jener übersetzt den Stil des Rubens, dieser den des Rembrandt in seine Technik. Und die Stiche nach Lievens zeigen schon die sreie, an die Radierung erinnernde Strichführung, die in unserm Jahrhundert wieder in dem neuern Faksimileschnitt auflebt. Daß diese beiden Richtungen keine Nach¬ folge fanden, und der Holzschnitt nun auf zwei Jahrhunderte hinaus verfiel, erklärt sich daraus, daß inzwischen in der Radierung eine Technik erstanden war, die damals wenigstens die malerische Wirkung besser herausbringen konnte als der Holzschnitt. Schon damals ist aber der dekorative Charakter des Buchs so sehr vergessen, daß zur Illustration überhaupt nicht der Holzschnitt, sondern der Kupferstich verwandt wird. So ist also der Zug zum Malerischen, den der moderne Tonschnitt zeigt, nicht etwa ein Abweg, der der innern historischen Notwendigkeit widerspräche, sondern im Gegenteil die natürliche Konsequenz der bisherigen Entwicklung. Eine Technik, die von jeher, seit ihrem Auftreten, Surrogat für Malerei und Zeichnung gewesen ist, mußte sich, nachdem die Malerei einmal den Weg zum Kolorismus und Realismus gefunden hatte, so und nicht anders entwickeln. Billige man also diese Entwicklung der Malerei, so muß man folgerichtig auch die des Holzschnitts billigen. Von dem Augenblick an, wo der Zeichner zum Pinsel griff und seine Gedanken am liebsten in malerisch lavierten Zeichnungen aussprach, mußte sich auch im Holzschnitt eine Nachahmung dieser Zeichenweise, d. h. eben der Tonschnitt entwickeln. Der Tonschnitt repräsentiert nicht nur die höchste künstlerische und technische Stufe des bisherigen Holzschnitts, sondern auch die größte Annäherung an die Malerei und somit an die Natur, die dieser Technik bisher vergönnt war. Und wenn wir von der unzweifelhaften Thatsache ausgehn, daß der Holzschnitt zu jeder Zeit das geleistet hat, was er technisch zu leisten imstande war, d. h. der Natur so nahe gekommen ist, wie es seine jeweilige Entwicklungsstufe erlaubte, so ist der Tonschnitt ohne Zweifel die eigentliche klassische Form dieser Technik in der Gegenwart. Darum ist natürlich nicht gesagt, daß die andern Gattungen neben ihm keine Daseinsberechtigung hätten. Im Gegenteil, der große Reiz und die eigentliche Stärke des Holzschnitts beruht gerade in seiner außerordentlichen Vielseitigkeit. Man kultiviere ruhig neben dem Tonschnitt den malerischen Faksimileschnitt, der ja nun auch eine so ruhmvolle Vergangenheit hinter sich hat. Und wenn man einmal besondern Wert auf den dekorativen Eindruck einer Seite oder eines Buchs legen will, so bediene man sich ruhig des ältern Linien¬ schnitts und halte das Ganze im Stil des fünfzehnten oder sechzehnten Jahr¬ hunderts. Nur bilde man sich nicht ein, daß dies das einzig Nichtige sei, und daß gerade die letzte Art dem Holzschnitt einen Anstoß zu neuer Entwicklung geben könne. Eine solche ist immer nur in der Richtung der höchsten technischen Vollendung möglich, nicht in der Richtung vergangner primitiver Formen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/282>, abgerufen am 15.01.2025.