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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

Werken der schönen Litteratur, bei denen sie nur ergötzen soll. Natürlich kann
man auch bei jenen, schon wegen der Zugabe besondrer Tafeln, keine Ein¬
heitlichkeit verlangen, und höchstens bei diesen ist von einem geschlossenen
dekorativen Charakter die Rede. Aber auch hier gilt, daß ein Buch zunächst
kein Dekorationsstück, sondern eine Quelle des ästhetischen oder sonstigen geistigen
Genusses ist. Dementsprechend wird die Illustration in den meisten Fällen
dazu dienen, den Inhalt zu veranschaulichen, d. h. was der Text schildert oder
erzählt, im Bilde vorzuführen. Es ist eine ganz willkürliche Behauptung
einiger Hypermodernen, daß die Illustration gar keine Illustration, sondern
eine Dekoration des Blattes oder eine Gelegenheit sür phantastische Einfälle
des Zeichners sei. Die Illustration ist in der Geschichte des Holzschnitts von
jeher Illustration gewesen, von Wolgemut über Dürer und Holbein bis herab
auf Dore und Menzel und wird es auch immer bleiben. Sie hat sich allezeit
bemüht, das, was der Text sagte, anschaulich im Bilde vorzuführen, die bildliche
Phantasie des Lesers dnrch Übersetzung des Wortes in die Form anzuregen.
Deshalb hat sie sich auch jederzeit dem ästhetischen Gesetz der Illusion gefügt,
d. h. immer danach gestrebt, das, was sie darstellte, so deutlich und lebendig
und wahr wie nur irgend möglich darzustellen. Wenn ihr das im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert infolge der Beschränkung der Technik nicht so
recht gelungen ist, wenn der Holzschnitt dieser Zeit zuweilen einen flachen
dekorativen Charakter zeigt, so liegt für uns, die wir eine entwickeltere Technik
haben, kein Grund vor, diese Beschränkung als eine besondre Weisheit an¬
zustaunen und nachzuahmen. Die Illustration wird zu jeder Zeit, und das
ist ein unverbrüchliches ästhetisches Gesetz, die Naturwahrheit anstreben, die
sie mit der jeweilig herrschenden Technik und der jeweilig herrschenden Formen¬
sprache erreichen kaun. Daß uns Moderne" die Leistungen des sechzehnten
Jahrhunderts einen dekorativen, einen stilisierenden Eindruck machen, beweist
natürlich nicht, daß sie einen solchen auch nach der Absicht ihrer Verfertiger
machen sollten. Denn es kommt nicht auf den Eindruck an, den sie uns machen,
sondern auf den, den sie den Zeitgenossen machten. Diese aber sahen, wie
wir bestimmt wissen, in den Illustrationen keine ornamentalen Elemente eines
größern dekorativen Ensembles, sondern bildliche Schilderungen der Wirklichkeit,
die sie um so höher schätzten, je mehr sie in ihnen die Vorstellung dieser
Wirklichkeit erzeugten.

Dies wird auch dnrch die Geschichte der Illustration bestätigt. Ebenso
wie das Einzclblatt Nachahmung einer Zeichnung oder eines Bildes, ist die
Illustration Nachahmung der Miniatur. Das ist jetzt längst nachgewiesen und
wird auch dadurch bestätigt, daß diese ältesten Holzschnitte entweder bemalt
oder wenigstens auf Farbe berechnet waren. Die Miniatur aber hatte, als
der Holzschnitt auftrat, längst realistische Formen angenommen. Sie wollte
nichts andres sein als Darstellung des Lebens, in bunten natürlichen Farben,


Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

Werken der schönen Litteratur, bei denen sie nur ergötzen soll. Natürlich kann
man auch bei jenen, schon wegen der Zugabe besondrer Tafeln, keine Ein¬
heitlichkeit verlangen, und höchstens bei diesen ist von einem geschlossenen
dekorativen Charakter die Rede. Aber auch hier gilt, daß ein Buch zunächst
kein Dekorationsstück, sondern eine Quelle des ästhetischen oder sonstigen geistigen
Genusses ist. Dementsprechend wird die Illustration in den meisten Fällen
dazu dienen, den Inhalt zu veranschaulichen, d. h. was der Text schildert oder
erzählt, im Bilde vorzuführen. Es ist eine ganz willkürliche Behauptung
einiger Hypermodernen, daß die Illustration gar keine Illustration, sondern
eine Dekoration des Blattes oder eine Gelegenheit sür phantastische Einfälle
des Zeichners sei. Die Illustration ist in der Geschichte des Holzschnitts von
jeher Illustration gewesen, von Wolgemut über Dürer und Holbein bis herab
auf Dore und Menzel und wird es auch immer bleiben. Sie hat sich allezeit
bemüht, das, was der Text sagte, anschaulich im Bilde vorzuführen, die bildliche
Phantasie des Lesers dnrch Übersetzung des Wortes in die Form anzuregen.
Deshalb hat sie sich auch jederzeit dem ästhetischen Gesetz der Illusion gefügt,
d. h. immer danach gestrebt, das, was sie darstellte, so deutlich und lebendig
und wahr wie nur irgend möglich darzustellen. Wenn ihr das im fünfzehnten
und sechzehnten Jahrhundert infolge der Beschränkung der Technik nicht so
recht gelungen ist, wenn der Holzschnitt dieser Zeit zuweilen einen flachen
dekorativen Charakter zeigt, so liegt für uns, die wir eine entwickeltere Technik
haben, kein Grund vor, diese Beschränkung als eine besondre Weisheit an¬
zustaunen und nachzuahmen. Die Illustration wird zu jeder Zeit, und das
ist ein unverbrüchliches ästhetisches Gesetz, die Naturwahrheit anstreben, die
sie mit der jeweilig herrschenden Technik und der jeweilig herrschenden Formen¬
sprache erreichen kaun. Daß uns Moderne» die Leistungen des sechzehnten
Jahrhunderts einen dekorativen, einen stilisierenden Eindruck machen, beweist
natürlich nicht, daß sie einen solchen auch nach der Absicht ihrer Verfertiger
machen sollten. Denn es kommt nicht auf den Eindruck an, den sie uns machen,
sondern auf den, den sie den Zeitgenossen machten. Diese aber sahen, wie
wir bestimmt wissen, in den Illustrationen keine ornamentalen Elemente eines
größern dekorativen Ensembles, sondern bildliche Schilderungen der Wirklichkeit,
die sie um so höher schätzten, je mehr sie in ihnen die Vorstellung dieser
Wirklichkeit erzeugten.

Dies wird auch dnrch die Geschichte der Illustration bestätigt. Ebenso
wie das Einzclblatt Nachahmung einer Zeichnung oder eines Bildes, ist die
Illustration Nachahmung der Miniatur. Das ist jetzt längst nachgewiesen und
wird auch dadurch bestätigt, daß diese ältesten Holzschnitte entweder bemalt
oder wenigstens auf Farbe berechnet waren. Die Miniatur aber hatte, als
der Holzschnitt auftrat, längst realistische Formen angenommen. Sie wollte
nichts andres sein als Darstellung des Lebens, in bunten natürlichen Farben,


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[0280] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft Werken der schönen Litteratur, bei denen sie nur ergötzen soll. Natürlich kann man auch bei jenen, schon wegen der Zugabe besondrer Tafeln, keine Ein¬ heitlichkeit verlangen, und höchstens bei diesen ist von einem geschlossenen dekorativen Charakter die Rede. Aber auch hier gilt, daß ein Buch zunächst kein Dekorationsstück, sondern eine Quelle des ästhetischen oder sonstigen geistigen Genusses ist. Dementsprechend wird die Illustration in den meisten Fällen dazu dienen, den Inhalt zu veranschaulichen, d. h. was der Text schildert oder erzählt, im Bilde vorzuführen. Es ist eine ganz willkürliche Behauptung einiger Hypermodernen, daß die Illustration gar keine Illustration, sondern eine Dekoration des Blattes oder eine Gelegenheit sür phantastische Einfälle des Zeichners sei. Die Illustration ist in der Geschichte des Holzschnitts von jeher Illustration gewesen, von Wolgemut über Dürer und Holbein bis herab auf Dore und Menzel und wird es auch immer bleiben. Sie hat sich allezeit bemüht, das, was der Text sagte, anschaulich im Bilde vorzuführen, die bildliche Phantasie des Lesers dnrch Übersetzung des Wortes in die Form anzuregen. Deshalb hat sie sich auch jederzeit dem ästhetischen Gesetz der Illusion gefügt, d. h. immer danach gestrebt, das, was sie darstellte, so deutlich und lebendig und wahr wie nur irgend möglich darzustellen. Wenn ihr das im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert infolge der Beschränkung der Technik nicht so recht gelungen ist, wenn der Holzschnitt dieser Zeit zuweilen einen flachen dekorativen Charakter zeigt, so liegt für uns, die wir eine entwickeltere Technik haben, kein Grund vor, diese Beschränkung als eine besondre Weisheit an¬ zustaunen und nachzuahmen. Die Illustration wird zu jeder Zeit, und das ist ein unverbrüchliches ästhetisches Gesetz, die Naturwahrheit anstreben, die sie mit der jeweilig herrschenden Technik und der jeweilig herrschenden Formen¬ sprache erreichen kaun. Daß uns Moderne» die Leistungen des sechzehnten Jahrhunderts einen dekorativen, einen stilisierenden Eindruck machen, beweist natürlich nicht, daß sie einen solchen auch nach der Absicht ihrer Verfertiger machen sollten. Denn es kommt nicht auf den Eindruck an, den sie uns machen, sondern auf den, den sie den Zeitgenossen machten. Diese aber sahen, wie wir bestimmt wissen, in den Illustrationen keine ornamentalen Elemente eines größern dekorativen Ensembles, sondern bildliche Schilderungen der Wirklichkeit, die sie um so höher schätzten, je mehr sie in ihnen die Vorstellung dieser Wirklichkeit erzeugten. Dies wird auch dnrch die Geschichte der Illustration bestätigt. Ebenso wie das Einzclblatt Nachahmung einer Zeichnung oder eines Bildes, ist die Illustration Nachahmung der Miniatur. Das ist jetzt längst nachgewiesen und wird auch dadurch bestätigt, daß diese ältesten Holzschnitte entweder bemalt oder wenigstens auf Farbe berechnet waren. Die Miniatur aber hatte, als der Holzschnitt auftrat, längst realistische Formen angenommen. Sie wollte nichts andres sein als Darstellung des Lebens, in bunten natürlichen Farben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/280>, abgerufen am 15.01.2025.