Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Branchen wir fremdes Brotkorn? werden könne durch Heranziehung der Vorräte für die Industrie, Brennerei, Wenn übrigens Conrad wirklich glauben sollte, man werde agrarischer- Es ist ja überhaupt ganz ausgeschlossen, daß die Kritik, selbst so ange¬ Branchen wir fremdes Brotkorn? werden könne durch Heranziehung der Vorräte für die Industrie, Brennerei, Wenn übrigens Conrad wirklich glauben sollte, man werde agrarischer- Es ist ja überhaupt ganz ausgeschlossen, daß die Kritik, selbst so ange¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231198"/> <fw type="header" place="top"> Branchen wir fremdes Brotkorn?</fw><lb/> <p xml:id="ID_55" prev="#ID_54"> werden könne durch Heranziehung der Vorräte für die Industrie, Brennerei,<lb/> Brauerei, Stärkefabrikation usw., sowie des großen Viehbestands, der sehr wohl<lb/> im Notfall mehr für Nahrungszwecke hergeben könne als in normalen Zeiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_56"> Wenn übrigens Conrad wirklich glauben sollte, man werde agrarischer-<lb/> scits künftig auf die Brotnot im Kriege nicht mehr zurückkommen, so würde<lb/> er arg irren. Auf ein so treffliches Schlagwort verzichtet man nicht so leicht.<lb/> Wird doch schon ganz im Ernst dafür Propaganda gemacht, daß der Staat<lb/> verpflichtet werden müsse, für den Kriegsfall ständig, auch im Frieden, große<lb/> Massen von Brodgetreide in Magazinen aufgespeichert zu halten, d. h. durch<lb/> Auslaufen einheimischen Korns die Preise in die Höhe zu treiben oder hoch<lb/> zu halten. Daß beim Verbrauch der magazinierten Massen im Frieden ein<lb/> Preisdruck erfolgen muß, daran denkt man nicht. Vielleicht läßt es sich noch<lb/> einmal als zum Schutz der nationalen Arbeit notwendig erweisen, daß das<lb/> magazinierte Getreide, wenn kein Krieg kommt, verfault oder nur als Vieh¬<lb/> futter, als Dungmittel zum Viertelankaufspreis an Landwirte abgegeben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_57" next="#ID_58"> Es ist ja überhaupt ganz ausgeschlossen, daß die Kritik, selbst so ange¬<lb/> sehener und bewährter Fachmänner wie Conrad und Goltz, zunächst irgend<lb/> welche Wirkung auf die agrarische Agitation haben wird. Man wird froh<lb/> sein müssen, wenn wenigstens die Behörden nicht taub dagegen bleiben und<lb/> die gebotne Belehrung daraus ziehn. Dem kommt es vielleicht ein wenig zu<lb/> statten, daß auch das Kaiserliche Statistische Amt in einer seiner neuesten Ar¬<lb/> beiten — den Erläuterungen zu den Ergebnissen der Berufszählung vou<lb/> 1895 — die Frage nach dem Bedarf fremden Brotkorns wenigstens beiläufig<lb/> besprochen und entschieden im Sinne Conrads und von der Goltzs beantwortet<lb/> hat. Es macht nämlich zu der starken Verschiebung des Anteils der Land¬<lb/> wirtschaft und der Industrie an der Gesamtheit der Bevölkerung, die seit 1882<lb/> eingetreten ist, folgende Bemerkung: diese Verschiebung liege in der Natur der<lb/> Sache. Der Boden sei unvermehrbar, es könne sich auf ihm mir eine be¬<lb/> schränkte Anzahl von Menschenhänden bethätigen, sich eine begrenzte Anzahl<lb/> von Personen ernähren. Eine weitere Zersplitterung des Grundbesitzes, der<lb/> Übergang zu neuen Kulturen, die einem neuen Kreis von Personen Be¬<lb/> schäftigung eröffneten, könne hieran wenig ändern, denn solche Reformen seien<lb/> weder rasch noch in größerm Umfang möglich. Was in der Landwirtschaft<lb/> keine Beschäftigung finde, müsse also abwandern, sei es in andre Länder, sei<lb/> es in andre Berufe. Durch diese naturnotwendige Abwanderung sei aber bisher<lb/> die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft nicht wesentlich beeinträchtigt<lb/> worden. Die landwirtschaftliche Produktion sei vielmehr vermehrt worden.<lb/> Sie reiche aber bei der Vermehrung der Bevölkerung keineswegs hin, den<lb/> Bedarf des Inlands vollständig zu decken. Mußten demzufolge noch weitere<lb/> und größere Mengen vom Auslande zugeführt werden, so werde diese Ab¬<lb/> hängigkeit wett gemacht und überwogen durch die Entfaltung, die Gewerbe<lb/> und Handel des Reichs im Laufe der letzten Jahrzehnte genommen hätten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Branchen wir fremdes Brotkorn?
werden könne durch Heranziehung der Vorräte für die Industrie, Brennerei,
Brauerei, Stärkefabrikation usw., sowie des großen Viehbestands, der sehr wohl
im Notfall mehr für Nahrungszwecke hergeben könne als in normalen Zeiten.
Wenn übrigens Conrad wirklich glauben sollte, man werde agrarischer-
scits künftig auf die Brotnot im Kriege nicht mehr zurückkommen, so würde
er arg irren. Auf ein so treffliches Schlagwort verzichtet man nicht so leicht.
Wird doch schon ganz im Ernst dafür Propaganda gemacht, daß der Staat
verpflichtet werden müsse, für den Kriegsfall ständig, auch im Frieden, große
Massen von Brodgetreide in Magazinen aufgespeichert zu halten, d. h. durch
Auslaufen einheimischen Korns die Preise in die Höhe zu treiben oder hoch
zu halten. Daß beim Verbrauch der magazinierten Massen im Frieden ein
Preisdruck erfolgen muß, daran denkt man nicht. Vielleicht läßt es sich noch
einmal als zum Schutz der nationalen Arbeit notwendig erweisen, daß das
magazinierte Getreide, wenn kein Krieg kommt, verfault oder nur als Vieh¬
futter, als Dungmittel zum Viertelankaufspreis an Landwirte abgegeben wird.
Es ist ja überhaupt ganz ausgeschlossen, daß die Kritik, selbst so ange¬
sehener und bewährter Fachmänner wie Conrad und Goltz, zunächst irgend
welche Wirkung auf die agrarische Agitation haben wird. Man wird froh
sein müssen, wenn wenigstens die Behörden nicht taub dagegen bleiben und
die gebotne Belehrung daraus ziehn. Dem kommt es vielleicht ein wenig zu
statten, daß auch das Kaiserliche Statistische Amt in einer seiner neuesten Ar¬
beiten — den Erläuterungen zu den Ergebnissen der Berufszählung vou
1895 — die Frage nach dem Bedarf fremden Brotkorns wenigstens beiläufig
besprochen und entschieden im Sinne Conrads und von der Goltzs beantwortet
hat. Es macht nämlich zu der starken Verschiebung des Anteils der Land¬
wirtschaft und der Industrie an der Gesamtheit der Bevölkerung, die seit 1882
eingetreten ist, folgende Bemerkung: diese Verschiebung liege in der Natur der
Sache. Der Boden sei unvermehrbar, es könne sich auf ihm mir eine be¬
schränkte Anzahl von Menschenhänden bethätigen, sich eine begrenzte Anzahl
von Personen ernähren. Eine weitere Zersplitterung des Grundbesitzes, der
Übergang zu neuen Kulturen, die einem neuen Kreis von Personen Be¬
schäftigung eröffneten, könne hieran wenig ändern, denn solche Reformen seien
weder rasch noch in größerm Umfang möglich. Was in der Landwirtschaft
keine Beschäftigung finde, müsse also abwandern, sei es in andre Länder, sei
es in andre Berufe. Durch diese naturnotwendige Abwanderung sei aber bisher
die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft nicht wesentlich beeinträchtigt
worden. Die landwirtschaftliche Produktion sei vielmehr vermehrt worden.
Sie reiche aber bei der Vermehrung der Bevölkerung keineswegs hin, den
Bedarf des Inlands vollständig zu decken. Mußten demzufolge noch weitere
und größere Mengen vom Auslande zugeführt werden, so werde diese Ab¬
hängigkeit wett gemacht und überwogen durch die Entfaltung, die Gewerbe
und Handel des Reichs im Laufe der letzten Jahrzehnte genommen hätten,
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