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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft
Konrad Lange von(Schlus;)

le ältesten Holzschnitte, die "Inkunabeln der Holzschnittkunst,"
waren keine Illustrationen, sondern Einzelblätter. Diese Einzel¬
blätter waren Vervielfältigungen von Zeichnungen, die man,
meist wohl in Nachahmung berühmter oder wunderthätiger
Heiligenbilder, in Masse anfertigte und auf den Messen, an
den Thüren der Wallfahrtskirchen usw. an die gläubige Menge verkaufte.
Solche Zeichnungen pflegte man mit der Feder auszuführen und zu bemalen,
damit sie dem Eindruck der Malerei möglichst nahe kamen. Noch im sech¬
zehnten Jahrhundert hat man Heiligenbilder in Holzschnitt kopiert, wie Alt-
dorfers schöne Marie von Regensburg zeigt. Und die größten und schönsten
Holzschnitte Dürers sind nicht Illustrationen, soudern Einzelblätter. Daß diese
Einzelblütter oft serienweise zusammengefaßt und als Bücher gebunden, anch
wohl auf der Rückseite mit einem gedruckten Texte oder auf der Vorderseite
mit einer kurzen Unterschrift versehen wurden, ändert nichts an der Sache.
Künstlerisch wirkten sie als Einzelblätter, nicht als Teil eines Ensembles, in
dem der Druck eine wesentliche Rolle spielte. Die Illustration dagegen wird
immer in kleinerm Maßstabe ausgeführt, zeigt folglich eine vereinfachte abge¬
kürzte Technik und kann schon deshalb, wenigstens in der frühern Zeit, nicht
der Träger der Entwicklung sein. Die technisch vollendetsten Blätter sind immer
die großen Holzschnitte ohne Text, die Illustration -- obwohl der Masse nach
überwiegend -- bildet sich immer nach ihnen, folgt ihnen auch zeitlich meistens
nach. Für Dürers Holzschnitttechnik sind die großen Blätter der Apokalypse
wichtiger als die Illustrationen zu den Werken des Celtes, das große Blatt der
Dreieinigkeit wichtiger als die kleine Passion. Auch die Blätter in Schmorrs
Vilderbibel und Rethels Totentanz sind ihrem Charakter nach Einzelblätter,
ebenso wie die modernen Gemäldeholzschnitte unsrer illustrierte" Zeitungen.

Wenn also unsre Modernen fordern, daß der Holzschnitt sich in seinem
Stil dem Charakter des Buches anpassen müsse, so könnte das, falls es über¬
haupt Geltung hätte, nur für die Illustration, nicht für den selbständigen
Holzschnitt gelten. Oder mit andern Worten, es könnte aus dieser Forderung




Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft
Konrad Lange von(Schlus;)

le ältesten Holzschnitte, die „Inkunabeln der Holzschnittkunst,"
waren keine Illustrationen, sondern Einzelblätter. Diese Einzel¬
blätter waren Vervielfältigungen von Zeichnungen, die man,
meist wohl in Nachahmung berühmter oder wunderthätiger
Heiligenbilder, in Masse anfertigte und auf den Messen, an
den Thüren der Wallfahrtskirchen usw. an die gläubige Menge verkaufte.
Solche Zeichnungen pflegte man mit der Feder auszuführen und zu bemalen,
damit sie dem Eindruck der Malerei möglichst nahe kamen. Noch im sech¬
zehnten Jahrhundert hat man Heiligenbilder in Holzschnitt kopiert, wie Alt-
dorfers schöne Marie von Regensburg zeigt. Und die größten und schönsten
Holzschnitte Dürers sind nicht Illustrationen, soudern Einzelblätter. Daß diese
Einzelblütter oft serienweise zusammengefaßt und als Bücher gebunden, anch
wohl auf der Rückseite mit einem gedruckten Texte oder auf der Vorderseite
mit einer kurzen Unterschrift versehen wurden, ändert nichts an der Sache.
Künstlerisch wirkten sie als Einzelblätter, nicht als Teil eines Ensembles, in
dem der Druck eine wesentliche Rolle spielte. Die Illustration dagegen wird
immer in kleinerm Maßstabe ausgeführt, zeigt folglich eine vereinfachte abge¬
kürzte Technik und kann schon deshalb, wenigstens in der frühern Zeit, nicht
der Träger der Entwicklung sein. Die technisch vollendetsten Blätter sind immer
die großen Holzschnitte ohne Text, die Illustration — obwohl der Masse nach
überwiegend — bildet sich immer nach ihnen, folgt ihnen auch zeitlich meistens
nach. Für Dürers Holzschnitttechnik sind die großen Blätter der Apokalypse
wichtiger als die Illustrationen zu den Werken des Celtes, das große Blatt der
Dreieinigkeit wichtiger als die kleine Passion. Auch die Blätter in Schmorrs
Vilderbibel und Rethels Totentanz sind ihrem Charakter nach Einzelblätter,
ebenso wie die modernen Gemäldeholzschnitte unsrer illustrierte» Zeitungen.

Wenn also unsre Modernen fordern, daß der Holzschnitt sich in seinem
Stil dem Charakter des Buches anpassen müsse, so könnte das, falls es über¬
haupt Geltung hätte, nur für die Illustration, nicht für den selbständigen
Holzschnitt gelten. Oder mit andern Worten, es könnte aus dieser Forderung


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[0278] [Abbildung] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft Konrad Lange von(Schlus;) le ältesten Holzschnitte, die „Inkunabeln der Holzschnittkunst," waren keine Illustrationen, sondern Einzelblätter. Diese Einzel¬ blätter waren Vervielfältigungen von Zeichnungen, die man, meist wohl in Nachahmung berühmter oder wunderthätiger Heiligenbilder, in Masse anfertigte und auf den Messen, an den Thüren der Wallfahrtskirchen usw. an die gläubige Menge verkaufte. Solche Zeichnungen pflegte man mit der Feder auszuführen und zu bemalen, damit sie dem Eindruck der Malerei möglichst nahe kamen. Noch im sech¬ zehnten Jahrhundert hat man Heiligenbilder in Holzschnitt kopiert, wie Alt- dorfers schöne Marie von Regensburg zeigt. Und die größten und schönsten Holzschnitte Dürers sind nicht Illustrationen, soudern Einzelblätter. Daß diese Einzelblütter oft serienweise zusammengefaßt und als Bücher gebunden, anch wohl auf der Rückseite mit einem gedruckten Texte oder auf der Vorderseite mit einer kurzen Unterschrift versehen wurden, ändert nichts an der Sache. Künstlerisch wirkten sie als Einzelblätter, nicht als Teil eines Ensembles, in dem der Druck eine wesentliche Rolle spielte. Die Illustration dagegen wird immer in kleinerm Maßstabe ausgeführt, zeigt folglich eine vereinfachte abge¬ kürzte Technik und kann schon deshalb, wenigstens in der frühern Zeit, nicht der Träger der Entwicklung sein. Die technisch vollendetsten Blätter sind immer die großen Holzschnitte ohne Text, die Illustration — obwohl der Masse nach überwiegend — bildet sich immer nach ihnen, folgt ihnen auch zeitlich meistens nach. Für Dürers Holzschnitttechnik sind die großen Blätter der Apokalypse wichtiger als die Illustrationen zu den Werken des Celtes, das große Blatt der Dreieinigkeit wichtiger als die kleine Passion. Auch die Blätter in Schmorrs Vilderbibel und Rethels Totentanz sind ihrem Charakter nach Einzelblätter, ebenso wie die modernen Gemäldeholzschnitte unsrer illustrierte» Zeitungen. Wenn also unsre Modernen fordern, daß der Holzschnitt sich in seinem Stil dem Charakter des Buches anpassen müsse, so könnte das, falls es über¬ haupt Geltung hätte, nur für die Illustration, nicht für den selbständigen Holzschnitt gelten. Oder mit andern Worten, es könnte aus dieser Forderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/278>, abgerufen am 15.01.2025.