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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Das deutsche Rönigsdranui

den idealen Anlagen der Persönlichkeit entsprechend gestalte -- was, beiläufig
bemerkt, much Grundforderung Nietzsches ist --, muß das Drama am Helden
durch die Mittel der Kunst dem Zuschauer vorzauberu. Dieser Aufgabe ist
Shakespeare im höchsten Maße gerecht geworden, eben weil sein Gemüt, wie
es dem persönlichkeitsbcwußten Aristokratismus der Renaissance entsprach, frei
war von jeder Rücksicht auf geschichtliche Zwecke und Ideen, und weil in der
Elisabethischen Zeit auch das Publikum der Dichterphantasie erlaubte, mit dein
Historischen in kindlicher Unbefangenheit, möchte man fast sagen, ihr Spiel
zu treiben-

In unserm Zeitalter, das von der Einsicht durchdrungen ist, daß an allen
Großthaten des künstlerischen wie des staatlichen Schaffens und Gestaltens
immer die kollektive Energie des Volksgeistes einen wesentlichen Anteil hat,
wird sich das Verlangen nicht abweisen lassen, im geschichtlichen Drama das
innere Leben und das daraus hervorgehende Handeln des Helden in bedeutungs¬
vollen Zusammenhang gebracht zu sehen mit den historischen Vorgängen und
Ideen, die sein Leben bestimmten und wiederum durch sein Leben und Wirken
bestimmt wurden. Und neben diesem dramatischen Interesse behauptet sicherlich
auch die Forderung der nationalen Erziehung ihr Recht, den idealen Gehalt
der geschichtlichen Vorgänge, deren Ergebnis die Begründung des Deutschen
Reiches ist, in lebendigster Verkörperung und ausgestattet mit der Zaubermacht
der Poesie dem Volksgemüt nahe gebracht zu sehen.

Wie groß indessen der Reichtum unsrer preußischen Geschichte sein mag,
so wird doch der Natur der Sache nach die Zahl der heldenhaften Persönlich¬
keiten, an denen die Idee des von der Zeit geforderten historischen Schauspiels
zur vollen Erscheinung gebracht werden könnte, beschränkt sein. Ein Bühnen¬
dichter, der sich, wie Schiller, an das Höchste wagen wollte, würde wohl den
einzigen seiner Aufgabe genügenden, aber auch wirklich einen von der Geschichte
Prächtig vorbereiteten Stoff in den Thaten des Großen Kurfürsten finden, des
ersten Dieners der preußischen Staatsidee, der aber zugleich ihr Schöpfer war.
Weit großartiger als Wallenstein, der ehrsüchtige Führer einer plündernde"
Soldateska, müßte auf der Bühne der Herrscher erscheinen, der mit der Macht
seines Willens die schlummernden Kräfte eines Staates beseelte, dem in der
Fülle der Zeiten das große Werk gelingen sollte, die deutsche Nation zu einigen
und die Herrlichkeit ihres alten Reiches wieder herzustellen. Aber freilich,
damit die Beschwörung gelinge, müssen die Götter das Eine, was not thut,
gewähren -- einen der Größe des Helden ebenbürtigen Dichter.


Karl Trost


Das deutsche Rönigsdranui

den idealen Anlagen der Persönlichkeit entsprechend gestalte — was, beiläufig
bemerkt, much Grundforderung Nietzsches ist —, muß das Drama am Helden
durch die Mittel der Kunst dem Zuschauer vorzauberu. Dieser Aufgabe ist
Shakespeare im höchsten Maße gerecht geworden, eben weil sein Gemüt, wie
es dem persönlichkeitsbcwußten Aristokratismus der Renaissance entsprach, frei
war von jeder Rücksicht auf geschichtliche Zwecke und Ideen, und weil in der
Elisabethischen Zeit auch das Publikum der Dichterphantasie erlaubte, mit dein
Historischen in kindlicher Unbefangenheit, möchte man fast sagen, ihr Spiel
zu treiben-

In unserm Zeitalter, das von der Einsicht durchdrungen ist, daß an allen
Großthaten des künstlerischen wie des staatlichen Schaffens und Gestaltens
immer die kollektive Energie des Volksgeistes einen wesentlichen Anteil hat,
wird sich das Verlangen nicht abweisen lassen, im geschichtlichen Drama das
innere Leben und das daraus hervorgehende Handeln des Helden in bedeutungs¬
vollen Zusammenhang gebracht zu sehen mit den historischen Vorgängen und
Ideen, die sein Leben bestimmten und wiederum durch sein Leben und Wirken
bestimmt wurden. Und neben diesem dramatischen Interesse behauptet sicherlich
auch die Forderung der nationalen Erziehung ihr Recht, den idealen Gehalt
der geschichtlichen Vorgänge, deren Ergebnis die Begründung des Deutschen
Reiches ist, in lebendigster Verkörperung und ausgestattet mit der Zaubermacht
der Poesie dem Volksgemüt nahe gebracht zu sehen.

Wie groß indessen der Reichtum unsrer preußischen Geschichte sein mag,
so wird doch der Natur der Sache nach die Zahl der heldenhaften Persönlich¬
keiten, an denen die Idee des von der Zeit geforderten historischen Schauspiels
zur vollen Erscheinung gebracht werden könnte, beschränkt sein. Ein Bühnen¬
dichter, der sich, wie Schiller, an das Höchste wagen wollte, würde wohl den
einzigen seiner Aufgabe genügenden, aber auch wirklich einen von der Geschichte
Prächtig vorbereiteten Stoff in den Thaten des Großen Kurfürsten finden, des
ersten Dieners der preußischen Staatsidee, der aber zugleich ihr Schöpfer war.
Weit großartiger als Wallenstein, der ehrsüchtige Führer einer plündernde»
Soldateska, müßte auf der Bühne der Herrscher erscheinen, der mit der Macht
seines Willens die schlummernden Kräfte eines Staates beseelte, dem in der
Fülle der Zeiten das große Werk gelingen sollte, die deutsche Nation zu einigen
und die Herrlichkeit ihres alten Reiches wieder herzustellen. Aber freilich,
damit die Beschwörung gelinge, müssen die Götter das Eine, was not thut,
gewähren — einen der Größe des Helden ebenbürtigen Dichter.


Karl Trost


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/277>, abgerufen am 15.01.2025.