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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

sie Fremden das Bürgerrecht einräumten, ohne nachzuforschen, ob nicht mancher
der so Begnadigten ursprünglich Sklave gewesen und erst später frei geworden
sei, solche aber, die bei ihnen selbst gedient hätten, dieser Gnade unwürdig er¬
achteten. Sie dünkten sich klüger als alle andern Menschen und sähen nicht
einmal ein, was doch auch dem Dümmsten einleuchten müsse, daß die Herren
zwar sichs wohl überlegen müßten, ehe sie einem Knechte das höchste aller
Güter gewährten, daß dagegen die Knechte voller Eifer sein würden, ihren
Herren zu nützen, wenn sie wüßten, daß ihnen nicht allein die Freiheit winke,
sondern auch die Aussicht, sofort nach der Freilassung Bürger einer großen
und glücklichen Stadt zu werden. Und wer es etwa noch nicht wisse, den
wolle er hiermit belehrt haben, daß einer Stadt, die sich zu großem berufen
fühle und nach Herrschaft strebe, nichts mehr not thue als Meuschenreichtum;
sodaß sie alle ihre Kriege mit den Waffen ihrer Bürger durchkämpfen könne
und nicht nötig habe, ihren Schatz durch Besoldung vou Mietliugeu zu er¬
schöpfen; aus diesem Grunde hätten auch seine Vorgänger fremden Anzüglern
das Bürgerrecht erteilt. Rahmen sie seinen Gesetzvorschlag an, so werde es
ihnen niemals an einer kriegstüchtigen Jugend fehlen, und deren Zahl werde
hinreichen, sollte man auch mit aller Welt Krieg zu führen gezwungen sein.
Übrigens werde die Maßregel nicht bloß dem Staate, sondern den einzelnen
reichen Bürgern nützen; denn deren Freigelassene würden aus Dankbarkeit in
der Volksversammlung und bei Wahlen nach ihren Wünschen stimmen, und
die Nachkommen dieser Freigelassenen würden den Nachkommen ihrer frühern
Herren anhänglich bleiben und sich ihnen als Klienten nützlich erweisen.

Durch diese Rede hätten sich die Patrizier überzeugen lassen; das Gesetz
sei angenommen worden und gelte bis auf den heutigen Tag, d. h. bis auf
die Zeit des Augustus. An diese Erzählung knüpft Dionys eine Betrachtung
über die Gegenwart an. Die Römer seien in den ältesten Zeiten auf die ge¬
rechteste Weise zu ihren Sklaven gekommen. Entweder hätten sie sie sud
llastii gekauft, wenn Kriegsgefangne für den Staat versteigert wurden, oder
die Feldherren hätten ihnen erlaubt, die von ihnen selbst Gefangnen nebst der
andern Beute zu behalten. Servius Tullius habe also sicherlich nichts Un¬
ehrenhaftes angeordnet, wenn er gestattete, daß Leute, die im Kampfe für
Freiheit und Vaterland beides verloren hätten, beides von denen wieder¬
erlangten, an die sie es verloren hatten. Den meisten sei die Freiheit ihrer
Bravheit wegen geschenkt worden, und das sei die schönste Art der Freilassung.
Andre zahlten ein Lösegeld, das sie sich mit rechtschaffner und untadelhafter
^o-t'c-^) Arbeit verdient hätten. In der Gegenwart aber sei die Würde des
Nömerstaats so tief gesunken, daß Freiheit und Bürgerrecht mit dem Gewinn
erkauft würden, den die Sklaven durch Straßenrand, gewerbsmäßige Unzucht
und andre Schändlichkeiten erzielt hätten. Andre würden mit dem Bürgerrecht
dafür belohnt, daß sie ihren Herren bei Mord, Giftmischerei und dergleichen


Der Römerstaat

sie Fremden das Bürgerrecht einräumten, ohne nachzuforschen, ob nicht mancher
der so Begnadigten ursprünglich Sklave gewesen und erst später frei geworden
sei, solche aber, die bei ihnen selbst gedient hätten, dieser Gnade unwürdig er¬
achteten. Sie dünkten sich klüger als alle andern Menschen und sähen nicht
einmal ein, was doch auch dem Dümmsten einleuchten müsse, daß die Herren
zwar sichs wohl überlegen müßten, ehe sie einem Knechte das höchste aller
Güter gewährten, daß dagegen die Knechte voller Eifer sein würden, ihren
Herren zu nützen, wenn sie wüßten, daß ihnen nicht allein die Freiheit winke,
sondern auch die Aussicht, sofort nach der Freilassung Bürger einer großen
und glücklichen Stadt zu werden. Und wer es etwa noch nicht wisse, den
wolle er hiermit belehrt haben, daß einer Stadt, die sich zu großem berufen
fühle und nach Herrschaft strebe, nichts mehr not thue als Meuschenreichtum;
sodaß sie alle ihre Kriege mit den Waffen ihrer Bürger durchkämpfen könne
und nicht nötig habe, ihren Schatz durch Besoldung vou Mietliugeu zu er¬
schöpfen; aus diesem Grunde hätten auch seine Vorgänger fremden Anzüglern
das Bürgerrecht erteilt. Rahmen sie seinen Gesetzvorschlag an, so werde es
ihnen niemals an einer kriegstüchtigen Jugend fehlen, und deren Zahl werde
hinreichen, sollte man auch mit aller Welt Krieg zu führen gezwungen sein.
Übrigens werde die Maßregel nicht bloß dem Staate, sondern den einzelnen
reichen Bürgern nützen; denn deren Freigelassene würden aus Dankbarkeit in
der Volksversammlung und bei Wahlen nach ihren Wünschen stimmen, und
die Nachkommen dieser Freigelassenen würden den Nachkommen ihrer frühern
Herren anhänglich bleiben und sich ihnen als Klienten nützlich erweisen.

Durch diese Rede hätten sich die Patrizier überzeugen lassen; das Gesetz
sei angenommen worden und gelte bis auf den heutigen Tag, d. h. bis auf
die Zeit des Augustus. An diese Erzählung knüpft Dionys eine Betrachtung
über die Gegenwart an. Die Römer seien in den ältesten Zeiten auf die ge¬
rechteste Weise zu ihren Sklaven gekommen. Entweder hätten sie sie sud
llastii gekauft, wenn Kriegsgefangne für den Staat versteigert wurden, oder
die Feldherren hätten ihnen erlaubt, die von ihnen selbst Gefangnen nebst der
andern Beute zu behalten. Servius Tullius habe also sicherlich nichts Un¬
ehrenhaftes angeordnet, wenn er gestattete, daß Leute, die im Kampfe für
Freiheit und Vaterland beides verloren hätten, beides von denen wieder¬
erlangten, an die sie es verloren hatten. Den meisten sei die Freiheit ihrer
Bravheit wegen geschenkt worden, und das sei die schönste Art der Freilassung.
Andre zahlten ein Lösegeld, das sie sich mit rechtschaffner und untadelhafter
^o-t'c-^) Arbeit verdient hätten. In der Gegenwart aber sei die Würde des
Nömerstaats so tief gesunken, daß Freiheit und Bürgerrecht mit dem Gewinn
erkauft würden, den die Sklaven durch Straßenrand, gewerbsmäßige Unzucht
und andre Schändlichkeiten erzielt hätten. Andre würden mit dem Bürgerrecht
dafür belohnt, daß sie ihren Herren bei Mord, Giftmischerei und dergleichen


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[0270] Der Römerstaat sie Fremden das Bürgerrecht einräumten, ohne nachzuforschen, ob nicht mancher der so Begnadigten ursprünglich Sklave gewesen und erst später frei geworden sei, solche aber, die bei ihnen selbst gedient hätten, dieser Gnade unwürdig er¬ achteten. Sie dünkten sich klüger als alle andern Menschen und sähen nicht einmal ein, was doch auch dem Dümmsten einleuchten müsse, daß die Herren zwar sichs wohl überlegen müßten, ehe sie einem Knechte das höchste aller Güter gewährten, daß dagegen die Knechte voller Eifer sein würden, ihren Herren zu nützen, wenn sie wüßten, daß ihnen nicht allein die Freiheit winke, sondern auch die Aussicht, sofort nach der Freilassung Bürger einer großen und glücklichen Stadt zu werden. Und wer es etwa noch nicht wisse, den wolle er hiermit belehrt haben, daß einer Stadt, die sich zu großem berufen fühle und nach Herrschaft strebe, nichts mehr not thue als Meuschenreichtum; sodaß sie alle ihre Kriege mit den Waffen ihrer Bürger durchkämpfen könne und nicht nötig habe, ihren Schatz durch Besoldung vou Mietliugeu zu er¬ schöpfen; aus diesem Grunde hätten auch seine Vorgänger fremden Anzüglern das Bürgerrecht erteilt. Rahmen sie seinen Gesetzvorschlag an, so werde es ihnen niemals an einer kriegstüchtigen Jugend fehlen, und deren Zahl werde hinreichen, sollte man auch mit aller Welt Krieg zu führen gezwungen sein. Übrigens werde die Maßregel nicht bloß dem Staate, sondern den einzelnen reichen Bürgern nützen; denn deren Freigelassene würden aus Dankbarkeit in der Volksversammlung und bei Wahlen nach ihren Wünschen stimmen, und die Nachkommen dieser Freigelassenen würden den Nachkommen ihrer frühern Herren anhänglich bleiben und sich ihnen als Klienten nützlich erweisen. Durch diese Rede hätten sich die Patrizier überzeugen lassen; das Gesetz sei angenommen worden und gelte bis auf den heutigen Tag, d. h. bis auf die Zeit des Augustus. An diese Erzählung knüpft Dionys eine Betrachtung über die Gegenwart an. Die Römer seien in den ältesten Zeiten auf die ge¬ rechteste Weise zu ihren Sklaven gekommen. Entweder hätten sie sie sud llastii gekauft, wenn Kriegsgefangne für den Staat versteigert wurden, oder die Feldherren hätten ihnen erlaubt, die von ihnen selbst Gefangnen nebst der andern Beute zu behalten. Servius Tullius habe also sicherlich nichts Un¬ ehrenhaftes angeordnet, wenn er gestattete, daß Leute, die im Kampfe für Freiheit und Vaterland beides verloren hätten, beides von denen wieder¬ erlangten, an die sie es verloren hatten. Den meisten sei die Freiheit ihrer Bravheit wegen geschenkt worden, und das sei die schönste Art der Freilassung. Andre zahlten ein Lösegeld, das sie sich mit rechtschaffner und untadelhafter ^o-t'c-^) Arbeit verdient hätten. In der Gegenwart aber sei die Würde des Nömerstaats so tief gesunken, daß Freiheit und Bürgerrecht mit dem Gewinn erkauft würden, den die Sklaven durch Straßenrand, gewerbsmäßige Unzucht und andre Schändlichkeiten erzielt hätten. Andre würden mit dem Bürgerrecht dafür belohnt, daß sie ihren Herren bei Mord, Giftmischerei und dergleichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/270>, abgerufen am 15.01.2025.