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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der RLmerstaat

leitet und suchen Gewinn nicht durch Schädigung ihrer Mitbürger, sondern
durch Überwindung von Feinden. Er machte es aber nicht wie die Lacedä-
monier, bei denen diese Beschäftigungen zwei verschiednen Klassen von Bürgern
zugeteilt sind, da er meinte, daß jede für sich allein unvollkommen sei und zu
mancherlei Tadel Anlaß gebe; sondern dieselben Bürger sollten den Acker be¬
stellen und die Kriege führen. In Friedenszeit gewöhnte er sie, bei ihrer
Ackerarbeit zu bleiben und nur jeden achten Tag (an den Nundinen) des
Marktes wegen in die Stadt zu kommen. So oft aber ein Krieg ausbrach,
leitete er sie an, den Krieg selbst zu führen und weder die Kriegsarbeit noch
die Kriegsbeute andern zu überlassen." Also es gab Handwerker im ältesten
Rom, sogar acht Zünfte werden in der Königszeit erwähnt: Flötenbläser,
Goldschmiede, Kupferschmiede, Zimmerleute, Walker, Färber, Töpfer und
Schuster. Aber sie waren ein so unbedeutender Bestandteil dieses Bauern¬
staats, daß sie keine Gelegenheit hatten, im Ständekampf eine Rolle zu spielen.
Sie werden dabei gewesen sein, so oft die Armen auf dem Markte lärmten,
aber kein Chronist hat sich veranlaßt gesehen, sie zu erwähnen. Aus diesem
Mangel an Bedeutung erklärt es sich auch, daß wir nichts vernehmen von
einem Kampf zwischen Großindustrie und Kleingewerbe, obwohl dieses that¬
sächlich -- allerdings wahrscheinlich erst nach 300 v. Chr., vielleicht sogar erst
nach dem zweiten Punischen Kriege -- von der mit Sklaven betriebnen Manu¬
faktur vernichtet worden ist. In Rom selbst wenigstens, in den kleinen Städten
wohl nicht. Und zwar machte der große Sklavenhalter den Handwerker auf
zweifache Weise brotlos, zunächst ließ er alles, was er selbst brauchte, von
seinen Sklaven anfertigen, dann aber begnügte er sich damit noch nicht, sondern
er ließ auch in seinem Hanse Waren sür den Markt anfertigen. Übrigens
flössen den Reichen zu derselben Zeit, wo sie ihre Manufakturen anlegten, die
Mittel zu, etwa brotlos gewordne freie Handwerker zu entschädigen; diese
wurden ja bekanntlich späterhin teils auf Staatskosten ernährt und amüsiert,
teils von ihren reichen Patronen als Stimmvieh gefüttert und als Parade¬
pferde geputzt. Unter den Kaisern ist dann aus den freigelassenen Handwerks¬
sklaven der großen Unternehmer ein neuer Stand freier Handwerker hervor¬
gegangen, dessen Zünfte im christlichen Mittelalter zu so hoher Blüte gelangt
sind. Aber alle diese Wandlungen des Handwerks sind den Chronisten so
unwichtig erschienen, daß sie sie keiner Erwähnung wert gehalten haben; und
das würde nicht der Fall gewesen sein, wenn die Gewerbtreibenden je einmal
eben als Gewerbtreibende, nicht bloß als arme Leute in die Bewegung ein¬
gegriffen hätten. Als Andeutung einer Teilnahme der Gewerbtreibenden an
den Unruhen kann man die wiederholt vorkommende Notiz auffassen, daß die
Kramläden geschlossen worden seien, was allerdings auch auf Befehl der Obrig¬
keit geschah, wenn in großer Kriegsgefahr alle Mann aufgeboten werden mußten,
wie nach Livius 3, 27 bei einem Überfall der Sabiner.


Der RLmerstaat

leitet und suchen Gewinn nicht durch Schädigung ihrer Mitbürger, sondern
durch Überwindung von Feinden. Er machte es aber nicht wie die Lacedä-
monier, bei denen diese Beschäftigungen zwei verschiednen Klassen von Bürgern
zugeteilt sind, da er meinte, daß jede für sich allein unvollkommen sei und zu
mancherlei Tadel Anlaß gebe; sondern dieselben Bürger sollten den Acker be¬
stellen und die Kriege führen. In Friedenszeit gewöhnte er sie, bei ihrer
Ackerarbeit zu bleiben und nur jeden achten Tag (an den Nundinen) des
Marktes wegen in die Stadt zu kommen. So oft aber ein Krieg ausbrach,
leitete er sie an, den Krieg selbst zu führen und weder die Kriegsarbeit noch
die Kriegsbeute andern zu überlassen." Also es gab Handwerker im ältesten
Rom, sogar acht Zünfte werden in der Königszeit erwähnt: Flötenbläser,
Goldschmiede, Kupferschmiede, Zimmerleute, Walker, Färber, Töpfer und
Schuster. Aber sie waren ein so unbedeutender Bestandteil dieses Bauern¬
staats, daß sie keine Gelegenheit hatten, im Ständekampf eine Rolle zu spielen.
Sie werden dabei gewesen sein, so oft die Armen auf dem Markte lärmten,
aber kein Chronist hat sich veranlaßt gesehen, sie zu erwähnen. Aus diesem
Mangel an Bedeutung erklärt es sich auch, daß wir nichts vernehmen von
einem Kampf zwischen Großindustrie und Kleingewerbe, obwohl dieses that¬
sächlich — allerdings wahrscheinlich erst nach 300 v. Chr., vielleicht sogar erst
nach dem zweiten Punischen Kriege — von der mit Sklaven betriebnen Manu¬
faktur vernichtet worden ist. In Rom selbst wenigstens, in den kleinen Städten
wohl nicht. Und zwar machte der große Sklavenhalter den Handwerker auf
zweifache Weise brotlos, zunächst ließ er alles, was er selbst brauchte, von
seinen Sklaven anfertigen, dann aber begnügte er sich damit noch nicht, sondern
er ließ auch in seinem Hanse Waren sür den Markt anfertigen. Übrigens
flössen den Reichen zu derselben Zeit, wo sie ihre Manufakturen anlegten, die
Mittel zu, etwa brotlos gewordne freie Handwerker zu entschädigen; diese
wurden ja bekanntlich späterhin teils auf Staatskosten ernährt und amüsiert,
teils von ihren reichen Patronen als Stimmvieh gefüttert und als Parade¬
pferde geputzt. Unter den Kaisern ist dann aus den freigelassenen Handwerks¬
sklaven der großen Unternehmer ein neuer Stand freier Handwerker hervor¬
gegangen, dessen Zünfte im christlichen Mittelalter zu so hoher Blüte gelangt
sind. Aber alle diese Wandlungen des Handwerks sind den Chronisten so
unwichtig erschienen, daß sie sie keiner Erwähnung wert gehalten haben; und
das würde nicht der Fall gewesen sein, wenn die Gewerbtreibenden je einmal
eben als Gewerbtreibende, nicht bloß als arme Leute in die Bewegung ein¬
gegriffen hätten. Als Andeutung einer Teilnahme der Gewerbtreibenden an
den Unruhen kann man die wiederholt vorkommende Notiz auffassen, daß die
Kramläden geschlossen worden seien, was allerdings auch auf Befehl der Obrig¬
keit geschah, wenn in großer Kriegsgefahr alle Mann aufgeboten werden mußten,
wie nach Livius 3, 27 bei einem Überfall der Sabiner.


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[0266] Der RLmerstaat leitet und suchen Gewinn nicht durch Schädigung ihrer Mitbürger, sondern durch Überwindung von Feinden. Er machte es aber nicht wie die Lacedä- monier, bei denen diese Beschäftigungen zwei verschiednen Klassen von Bürgern zugeteilt sind, da er meinte, daß jede für sich allein unvollkommen sei und zu mancherlei Tadel Anlaß gebe; sondern dieselben Bürger sollten den Acker be¬ stellen und die Kriege führen. In Friedenszeit gewöhnte er sie, bei ihrer Ackerarbeit zu bleiben und nur jeden achten Tag (an den Nundinen) des Marktes wegen in die Stadt zu kommen. So oft aber ein Krieg ausbrach, leitete er sie an, den Krieg selbst zu führen und weder die Kriegsarbeit noch die Kriegsbeute andern zu überlassen." Also es gab Handwerker im ältesten Rom, sogar acht Zünfte werden in der Königszeit erwähnt: Flötenbläser, Goldschmiede, Kupferschmiede, Zimmerleute, Walker, Färber, Töpfer und Schuster. Aber sie waren ein so unbedeutender Bestandteil dieses Bauern¬ staats, daß sie keine Gelegenheit hatten, im Ständekampf eine Rolle zu spielen. Sie werden dabei gewesen sein, so oft die Armen auf dem Markte lärmten, aber kein Chronist hat sich veranlaßt gesehen, sie zu erwähnen. Aus diesem Mangel an Bedeutung erklärt es sich auch, daß wir nichts vernehmen von einem Kampf zwischen Großindustrie und Kleingewerbe, obwohl dieses that¬ sächlich — allerdings wahrscheinlich erst nach 300 v. Chr., vielleicht sogar erst nach dem zweiten Punischen Kriege — von der mit Sklaven betriebnen Manu¬ faktur vernichtet worden ist. In Rom selbst wenigstens, in den kleinen Städten wohl nicht. Und zwar machte der große Sklavenhalter den Handwerker auf zweifache Weise brotlos, zunächst ließ er alles, was er selbst brauchte, von seinen Sklaven anfertigen, dann aber begnügte er sich damit noch nicht, sondern er ließ auch in seinem Hanse Waren sür den Markt anfertigen. Übrigens flössen den Reichen zu derselben Zeit, wo sie ihre Manufakturen anlegten, die Mittel zu, etwa brotlos gewordne freie Handwerker zu entschädigen; diese wurden ja bekanntlich späterhin teils auf Staatskosten ernährt und amüsiert, teils von ihren reichen Patronen als Stimmvieh gefüttert und als Parade¬ pferde geputzt. Unter den Kaisern ist dann aus den freigelassenen Handwerks¬ sklaven der großen Unternehmer ein neuer Stand freier Handwerker hervor¬ gegangen, dessen Zünfte im christlichen Mittelalter zu so hoher Blüte gelangt sind. Aber alle diese Wandlungen des Handwerks sind den Chronisten so unwichtig erschienen, daß sie sie keiner Erwähnung wert gehalten haben; und das würde nicht der Fall gewesen sein, wenn die Gewerbtreibenden je einmal eben als Gewerbtreibende, nicht bloß als arme Leute in die Bewegung ein¬ gegriffen hätten. Als Andeutung einer Teilnahme der Gewerbtreibenden an den Unruhen kann man die wiederholt vorkommende Notiz auffassen, daß die Kramläden geschlossen worden seien, was allerdings auch auf Befehl der Obrig¬ keit geschah, wenn in großer Kriegsgefahr alle Mann aufgeboten werden mußten, wie nach Livius 3, 27 bei einem Überfall der Sabiner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/266>, abgerufen am 15.01.2025.