Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Line Weltgeschichte auf ethnographischer Grundlage Zunahme ihrer Beziehungen dazu nötigt, die Zeitabschnitte immer kürzer zu Die eigentümlichen Folgen dieser Anordnung zeigt schon der vorliegende Line Weltgeschichte auf ethnographischer Grundlage Zunahme ihrer Beziehungen dazu nötigt, die Zeitabschnitte immer kürzer zu Die eigentümlichen Folgen dieser Anordnung zeigt schon der vorliegende <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231432"/> <fw type="header" place="top"> Line Weltgeschichte auf ethnographischer Grundlage</fw><lb/> <p xml:id="ID_819" prev="#ID_818"> Zunahme ihrer Beziehungen dazu nötigt, die Zeitabschnitte immer kürzer zu<lb/> machen, um das, was thatsächlich zusammenhängt, auch in der Darstellung<lb/> zusammenzufassen. Diese Methode der Weltgeschichtschreibung spaltet also ge¬<lb/> wissermaßen den Stamm der Menschheitsentwicklung in seinem obern Teil in<lb/> Querschnitte, die nach oben immer dünner werden, nur den untersten Teil in<lb/> Längsschnitte, Helmolt aber spaltet den ganzen Baum von oben nach unten<lb/> in Längsschnitte.</p><lb/> <p xml:id="ID_820" next="#ID_821"> Die eigentümlichen Folgen dieser Anordnung zeigt schon der vorliegende<lb/> erste Band. Wenn er Amerika voranstellt, so mag dies damit begründet<lb/> werden, daß auch dieses den Grundstock seiner Bevölkerung dereinst von Asten<lb/> her erhalten hat, und daß uns dort die Reste der prähistorischen Zeit nicht<lb/> nur vollständiger entgegentreten als irgendwo sonst, sondern daß auch diese<lb/> uralte Vorkultur dort vielfach bis zur Gegenwart dauert, sodaß wir also hier<lb/> Zustände der Menschheit noch mit Augen sehen, die bei uns längst ver¬<lb/> schwunden sind. Aber diese Begründung reicht doch nur aus für die selb¬<lb/> ständige Entwicklung Amerikas, also für die Zeit bis zur Entdeckung des Erd¬<lb/> teils durch die Europäer. Die Darstellung ist jedoch bis auf die Gegenwart<lb/> herabgeführt, behandelt also auch die Geschichte der europäischen Kolonial- und<lb/> Staatenbildungen in der Neuen Welt. Dies ist, historisch betrachtet, völlig un¬<lb/> organisch. Einmal hat diese spätere Entwicklung mit der selbständigen Vorzeit<lb/> des Erdteils gar keinen innern Zusammenhang; sodann ist die dorthin fertig<lb/> hinüber getragne europäische Kultur ohne die Geschichte Europas, von der sie<lb/> ausging, gar nicht verständlich, denn das moderne Amerika ist trotz aller<lb/> politischen Selbständigkeit und trotz der bei jungen Gemeinwesen üblichen Selbst¬<lb/> überhebung nichts weiter als eine große europäische Kolonie; die Vergangen¬<lb/> heit, auf der es erwuchs, liegt also gar nicht in Amerika, sondern in Europa,<lb/> und es bedeutet nicht einmal eine höhere Entwicklungsstufe der europäischen<lb/> Gesittung, sondern es zeigt die echt koloniale Verbindung jugendlicher Unreife<lb/> und greisenhafter Überkultur. So reißt diese neue Gliederung des Stoffs<lb/> schon hier das innerlich Zusammengehörige aus einander und berichtet das<lb/> Spätere vor dem Frühern. Das wird sich nach der vorliegenden Disposition<lb/> in dem ganzen Werke beständig wiederholen; nirgends werden wir zu einer<lb/> Gesamtanschanung irgend welcher Periode kommen, niemals wird es möglich<lb/> fein, den großartigen Gang der Weltgeschichte von der Barbarei zur Kultur,<lb/> von dem Nebeneinander isolierter Völkerkreise zur lebendigen Verbindung aller<lb/> Teile der Erde und der Menschheit zu verfolgen, niemals wird die trotz aller<lb/> mehr oder weniger interessanter schwarzer und brauner Naturvölker nun einmal<lb/> nicht wegzuleugnende Herrscherstellung des mittelmeerländischen Völkerkreises<lb/> und des kleinen Europa, die gerade in der Gegenwart zum überwältigenden<lb/> Ausdruck kommt, auf diese Weise klar hervortreten. Unzweifelhaft wird das<lb/> Werk eine Reihe trefflicher Sondergeschichten einzelner Völkergruppen und damit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
Line Weltgeschichte auf ethnographischer Grundlage
Zunahme ihrer Beziehungen dazu nötigt, die Zeitabschnitte immer kürzer zu
machen, um das, was thatsächlich zusammenhängt, auch in der Darstellung
zusammenzufassen. Diese Methode der Weltgeschichtschreibung spaltet also ge¬
wissermaßen den Stamm der Menschheitsentwicklung in seinem obern Teil in
Querschnitte, die nach oben immer dünner werden, nur den untersten Teil in
Längsschnitte, Helmolt aber spaltet den ganzen Baum von oben nach unten
in Längsschnitte.
Die eigentümlichen Folgen dieser Anordnung zeigt schon der vorliegende
erste Band. Wenn er Amerika voranstellt, so mag dies damit begründet
werden, daß auch dieses den Grundstock seiner Bevölkerung dereinst von Asten
her erhalten hat, und daß uns dort die Reste der prähistorischen Zeit nicht
nur vollständiger entgegentreten als irgendwo sonst, sondern daß auch diese
uralte Vorkultur dort vielfach bis zur Gegenwart dauert, sodaß wir also hier
Zustände der Menschheit noch mit Augen sehen, die bei uns längst ver¬
schwunden sind. Aber diese Begründung reicht doch nur aus für die selb¬
ständige Entwicklung Amerikas, also für die Zeit bis zur Entdeckung des Erd¬
teils durch die Europäer. Die Darstellung ist jedoch bis auf die Gegenwart
herabgeführt, behandelt also auch die Geschichte der europäischen Kolonial- und
Staatenbildungen in der Neuen Welt. Dies ist, historisch betrachtet, völlig un¬
organisch. Einmal hat diese spätere Entwicklung mit der selbständigen Vorzeit
des Erdteils gar keinen innern Zusammenhang; sodann ist die dorthin fertig
hinüber getragne europäische Kultur ohne die Geschichte Europas, von der sie
ausging, gar nicht verständlich, denn das moderne Amerika ist trotz aller
politischen Selbständigkeit und trotz der bei jungen Gemeinwesen üblichen Selbst¬
überhebung nichts weiter als eine große europäische Kolonie; die Vergangen¬
heit, auf der es erwuchs, liegt also gar nicht in Amerika, sondern in Europa,
und es bedeutet nicht einmal eine höhere Entwicklungsstufe der europäischen
Gesittung, sondern es zeigt die echt koloniale Verbindung jugendlicher Unreife
und greisenhafter Überkultur. So reißt diese neue Gliederung des Stoffs
schon hier das innerlich Zusammengehörige aus einander und berichtet das
Spätere vor dem Frühern. Das wird sich nach der vorliegenden Disposition
in dem ganzen Werke beständig wiederholen; nirgends werden wir zu einer
Gesamtanschanung irgend welcher Periode kommen, niemals wird es möglich
fein, den großartigen Gang der Weltgeschichte von der Barbarei zur Kultur,
von dem Nebeneinander isolierter Völkerkreise zur lebendigen Verbindung aller
Teile der Erde und der Menschheit zu verfolgen, niemals wird die trotz aller
mehr oder weniger interessanter schwarzer und brauner Naturvölker nun einmal
nicht wegzuleugnende Herrscherstellung des mittelmeerländischen Völkerkreises
und des kleinen Europa, die gerade in der Gegenwart zum überwältigenden
Ausdruck kommt, auf diese Weise klar hervortreten. Unzweifelhaft wird das
Werk eine Reihe trefflicher Sondergeschichten einzelner Völkergruppen und damit
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