Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen warten. Wenn somit eilte sachlichen Gründe für die Beschleunigung der Ein¬ Diese Darstellung wird nun durch eine Fülle von gleichzeitigen, also nicht Zur Bezwingung von Paris kamen an sich drei Mittel in Betracht: die Bismarck selbst war, wenn man nicht sofort am 19. September einen ') Busch I, 274 (7, Oktober), 424 (28, November), 441 (28, November). ') Busch 1, LÜ0 (4, November), Los f, (7, November),
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen warten. Wenn somit eilte sachlichen Gründe für die Beschleunigung der Ein¬ Diese Darstellung wird nun durch eine Fülle von gleichzeitigen, also nicht Zur Bezwingung von Paris kamen an sich drei Mittel in Betracht: die Bismarck selbst war, wenn man nicht sofort am 19. September einen ') Busch I, 274 (7, Oktober), 424 (28, November), 441 (28, November). ') Busch 1, LÜ0 (4, November), Los f, (7, November),
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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
warten. Wenn somit eilte sachlichen Gründe für die Beschleunigung der Ein¬
nahme von Paris durch „Beschießung" rieten, so konnten die Generale gegen
eine solche keine sachlichen Einwendungen erheben, konnten nicht anders denken
als Roon, der hier ganz mit Bismarck übereinstimmte. Was dagegen geltend
gemacht wurde, das waren also Scheingründe oder selbstbereitete Hindernisse,
die Verlangsamung der artilleristischen Eisenbahntransporte durch Lebensmittel¬
transporte für Paris, für den Fall, daß dieses durch Aushungerung bezwungen
werde, und die Zögerung in der nötigen Beschaffung eines leistungsfähigen
deutschen Fuhrparks für die Anfuhr der Geschützmuuition. Der wahre Grund
lag in einer falschen Humanität, die der Beschießung dieses „Mekka der Zivi¬
lisation" die Aushungerung durch Einschließung vorzog und vor allem von
fürstlichen Damen in Deutschland und England beim Kronprinzen vertreten
wurde. Als jene Scheingründe durch Bismarcks und Novus Energie endlich
beseitigt worden waren, wurden die Vorbereitungen zur Beschießung sehr rasch
beendigt, und der Erfolg blieb nicht aus.
Diese Darstellung wird nun durch eine Fülle von gleichzeitigen, also nicht
in der Rückerinnerung gefärbten Äußerungen teils bestätigt, teils erläutert,
in einigen Punkten auch berichtigt. Von der einen Seite sind Bismarcks
Meinungen und Urteile in den Tagebüchern von Busch, die sich hier wieder
als eine der allerwichtigsten Geschichtsquellen erweisen, fast Woche für Woche,
zuweilen Tag für Tag zu verfolgen und Novus Anschauungen aus seinen
Briefen urkundlich festzustellen. Von der andern haben wir das Kriegstagebuch
des Kronprinzen, die amtlichen Schriftstücke Moltkes und Blumenthals, die
Aufzeichnungen Verdys und Blumes; auch Schneider, der Vorleser, und Wil-
mowski, der Kabinettsrat des Königs, bieten hier und da Wertvolles, nament¬
lich über die persönliche Stellung ihres Herrn.
Zur Bezwingung von Paris kamen an sich drei Mittel in Betracht: die
Aushungerung der Stadt durch Einschließung, die Beschießung und der regel¬
mäßige gewaltsame Angriff auf eine oder mehrere Fronten der Festungswerke,
also die förmliche Belagerung, die ganz etwas andres war als die Beschießung,
mit der sie doch oft zusammengeworfen worden ist.
Bismarck selbst war, wenn man nicht sofort am 19. September einen
Sturmangriff wagen wollte, der im Augenblick der ersten Verwirrung vielleicht
nicht ohne Aussicht gewesen wäre, überhaupt nicht dafür, Paris einzuschließen,
sondern für die möglichst rasche Vernichtung der sich damals erst langsam
bildenden Provinzialheere, um im Hinblick auf die sonst drohende Einmischung
der Neutralen möglichst bald den Frieden zu erzwingend) Sehr lebhaft äußerte
er dann seinen Unmut, daß ganz anders verfahren wurde, und verwahrte sich
mehrfach dagegen, daß etwa er daran schuld sei. y Die Schuld schrieb er auch
') Busch I, 274 (7, Oktober), 424 (28, November), 441 (28, November).
') Busch 1, LÜ0 (4, November), Los f, (7, November),
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