Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Kritische Studien zu Fürst Lismarcks Gedanken und Erinnerungen Befinden sehr besorgt war.^) Und was er verlangte, das war ja gar nicht Auf dem Grunde dieser Gegensätze erwuchs der harte Kampf um die ') Abeken 433 (vom 20, Oktober). Busch I, 306.
Kritische Studien zu Fürst Lismarcks Gedanken und Erinnerungen Befinden sehr besorgt war.^) Und was er verlangte, das war ja gar nicht Auf dem Grunde dieser Gegensätze erwuchs der harte Kampf um die ') Abeken 433 (vom 20, Oktober). Busch I, 306.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231422"/> <fw type="header" place="top"> Kritische Studien zu Fürst Lismarcks Gedanken und Erinnerungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_797" prev="#ID_796"> Befinden sehr besorgt war.^) Und was er verlangte, das war ja gar nicht<lb/> die regelmäßige Teilnahme am Generalsvortrage, wozu er nicht einmal die<lb/> Zeit gehabt hätte, sondern nur die genaue, amtliche Kenntnis der militärischen<lb/> Ereignisse, um gelegentlich seine politischen Anschauungen bei den zu fassenden<lb/> Beschlüssen zur Geltung bringen zu können. Ihm diese Kenntnis zu versagen,<lb/> dafür kann es keine sachlichen Gründe gegeben haben, das verschuldete lediglich<lb/> die Nessorteifersucht des Generalstabs, nicht Moltkes selbst, und die Berechtigung<lb/> der Beschwerden Bismarcks darüber hat ja auch der König anerkannt, indem<lb/> er sie schließlich abstellte. Schlimme Folgen hat einzig und allein der König<lb/> verhütet, denn er und nur er vereinigte in seiner Hand die politische und die<lb/> militärische Oberleitung, er allein übersah alle diese verwickelten Beziehungen,<lb/> er allein konnte also beurteilen, wie beides aufeinander einwirken mußte, und<lb/> behielt sich die letzte Entscheidung in Politik und Kriegführung in jedem<lb/> Falle vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_798" next="#ID_799"> Auf dem Grunde dieser Gegensätze erwuchs der harte Kampf um die<lb/> Frage, wie der Angriff auf Paris durchzuführen sei. Ihn behandelt der<lb/> zweite und der dritte Abschnitt des Kapitels, ein zuweilen etwas weitschweifiges<lb/> Stück ohne recht präzisen Gedankengang, nicht ohne mannigfache Wieder¬<lb/> holungen und Abschweifungen, das offenbar nicht in einem Zuge entstanden,<lb/> sondern aus einzelnen, zu verschiednen Zeiten niedergeschriebnen Diktaten des<lb/> Fürsten nachträglich zusammengeschweißt worden ist. Militärische und poli¬<lb/> tische Gründe, so führt er aus, empfahlen gleichmäßig eine rasche Entscheidung<lb/> vor Paris, also die Beschießung der Stadt, nicht die langsame Aushungerung.<lb/> An sich schon war die Lage des schwachen deutschen Einschließungsheeres<lb/> zwischen der von viel stärkern Truppenmassen verteidigten Niesenfestung, deren<lb/> schweren Geschützen es dazu nur Feldartillerie entgegenzusetzen hatte, und den<lb/> fortwährend wachsenden französischen Provinzialheeren sehr ungünstig. So¬<lb/> dann erblaßte der Glanz der deutschen Erfolge bei der langen, thaten- und<lb/> entscheidnngslosen Zögerung vor Paris, und das konnte die neutralen Mächte<lb/> zur Einmischung reizen, die den Deutschen den Siegespreis verkümmern und<lb/> die Vollendung der deutschen Einheit verhindern konnte. Eine solche Ein¬<lb/> mischung war zunächst von Italien und Österreich her zu fürchten, aber auch<lb/> Rußlands war man keineswegs ganz sicher, denn hier war zwar Alexander II.<lb/> der deutschen Sache freundlich, Gortschakow aber ihr feindlich und bestrebt,<lb/> Deutschland und Nußland von einander zu trennen, wie er das spater auf<lb/> dem Berliner Kongreß 1878 bewiesen hat. So bot sich die Poutusfrage als<lb/> „eine Gunst des Schicksals," um Rußland einen für Deutschland unschäd¬<lb/> lichen Dienst zu erweisen, wobei der russische Militürbevollmächtigte Graf<lb/> Kutusow und der Großherzog von Weimar die Verbindung mit dem russische»<lb/> Hofe vermittelten. Von England vollends war nichts als Mißgunst zu er-</p><lb/> <note xml:id="FID_55" place="foot"> ') Abeken 433 (vom 20, Oktober). Busch I, 306.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Kritische Studien zu Fürst Lismarcks Gedanken und Erinnerungen
Befinden sehr besorgt war.^) Und was er verlangte, das war ja gar nicht
die regelmäßige Teilnahme am Generalsvortrage, wozu er nicht einmal die
Zeit gehabt hätte, sondern nur die genaue, amtliche Kenntnis der militärischen
Ereignisse, um gelegentlich seine politischen Anschauungen bei den zu fassenden
Beschlüssen zur Geltung bringen zu können. Ihm diese Kenntnis zu versagen,
dafür kann es keine sachlichen Gründe gegeben haben, das verschuldete lediglich
die Nessorteifersucht des Generalstabs, nicht Moltkes selbst, und die Berechtigung
der Beschwerden Bismarcks darüber hat ja auch der König anerkannt, indem
er sie schließlich abstellte. Schlimme Folgen hat einzig und allein der König
verhütet, denn er und nur er vereinigte in seiner Hand die politische und die
militärische Oberleitung, er allein übersah alle diese verwickelten Beziehungen,
er allein konnte also beurteilen, wie beides aufeinander einwirken mußte, und
behielt sich die letzte Entscheidung in Politik und Kriegführung in jedem
Falle vor.
Auf dem Grunde dieser Gegensätze erwuchs der harte Kampf um die
Frage, wie der Angriff auf Paris durchzuführen sei. Ihn behandelt der
zweite und der dritte Abschnitt des Kapitels, ein zuweilen etwas weitschweifiges
Stück ohne recht präzisen Gedankengang, nicht ohne mannigfache Wieder¬
holungen und Abschweifungen, das offenbar nicht in einem Zuge entstanden,
sondern aus einzelnen, zu verschiednen Zeiten niedergeschriebnen Diktaten des
Fürsten nachträglich zusammengeschweißt worden ist. Militärische und poli¬
tische Gründe, so führt er aus, empfahlen gleichmäßig eine rasche Entscheidung
vor Paris, also die Beschießung der Stadt, nicht die langsame Aushungerung.
An sich schon war die Lage des schwachen deutschen Einschließungsheeres
zwischen der von viel stärkern Truppenmassen verteidigten Niesenfestung, deren
schweren Geschützen es dazu nur Feldartillerie entgegenzusetzen hatte, und den
fortwährend wachsenden französischen Provinzialheeren sehr ungünstig. So¬
dann erblaßte der Glanz der deutschen Erfolge bei der langen, thaten- und
entscheidnngslosen Zögerung vor Paris, und das konnte die neutralen Mächte
zur Einmischung reizen, die den Deutschen den Siegespreis verkümmern und
die Vollendung der deutschen Einheit verhindern konnte. Eine solche Ein¬
mischung war zunächst von Italien und Österreich her zu fürchten, aber auch
Rußlands war man keineswegs ganz sicher, denn hier war zwar Alexander II.
der deutschen Sache freundlich, Gortschakow aber ihr feindlich und bestrebt,
Deutschland und Nußland von einander zu trennen, wie er das spater auf
dem Berliner Kongreß 1878 bewiesen hat. So bot sich die Poutusfrage als
„eine Gunst des Schicksals," um Rußland einen für Deutschland unschäd¬
lichen Dienst zu erweisen, wobei der russische Militürbevollmächtigte Graf
Kutusow und der Großherzog von Weimar die Verbindung mit dem russische»
Hofe vermittelten. Von England vollends war nichts als Mißgunst zu er-
') Abeken 433 (vom 20, Oktober). Busch I, 306.
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