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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Dies dauerte bis zum Prälimiuärfrieden vou Versailles, wobei die Mili¬
tärs wohl auch besonders deshalb grollten, weil der von ihnen wie vom
Kaiser Wilhelm selbst dringend gewünschte feierliche Einzug in Paris vereitelt
worden war.i) Erschwert wurde das Einvernehmen zwischen beiden "Ressorts"
offenbar noch dadurch, daß ein ähnlicher Streit auch zwischen dem General-
stabe und dem Kriegsministerium bestand, und daß dessen Vertreter Roon
nicht nur mit Bismarck befreundet war, sondern auch in wichtigen Fragen
seine Partei, nicht die des Generalstabs ergriff. Denn während Moltke dem
Generalstabschef allein die militärische Beratung des königlichen Kriegsherrn
im Felde vorbehalten, den Kriegsminister auf die Aufstellung und Ausrüstung
der Armee beschränkt und deshalb während eines Krieges nicht von Berlin
entfernt wissen wollte, betonte Roon die Mitverantwortlichkeit des Kriegs¬
ministers bei allen militärischen Beschlüssen, also die Notwendigkeit seiner An¬
wesenheit im Hauptquartier.

Wenn Bismarck so entschieden auf seiner Mitwirkung an wichtigen mili¬
tärischen Entschlüssen bestand, so that er das, weil er Krieg und Politik für
untrennbar, den Krieg nur für ein Mittel zu politischen Zwecken hielt, die
daher natürlich als die an sich höhern auch die Kriegführung bestimmen müßten
(G. u. E. II, 96). Indem Wilhelm von Blume, damals Major im großen
Generalstabe, zuletzt kommandierender General des XV. Armeekorps in Stra߬
burg, diese Auffassung grundsätzlich anerkennt, sucht er doch nachzuweisen, daß
der Bundeskanzler 1870/71 aus rein sachlichen Gründen nicht zum Generals¬
vortrage zugezogen worden sei, weil die Gerechtigkeit verlangt habe, daß dann
die Militärs umgekehrt auch bei politischen Entschlüssen gehört worden wären,
weil die politischen Verhältnisse 1870 einfacher gelegen hätten als 1866, wo sie
beständig auf die Kriegführung hätten einwirken müssen, und weil endlich auch
der König wohl befürchtet habe, Bismarcks übermächtige Persönlichkeit werde im
Kriegsrat selbst den Generalstabschef in den Hintergrund drängen. Bismarcks
Verstimmung über seine Ausschließung will er nicht nur aus der Erinnerung
an 1866 erklären, sondern auch daraus, daß sein "Thätigkeitsdrang" 1870
nicht voll befriedigt worden sei.'') Der verdiente General wird für diese Aus¬
führungen wenig Glauben finden. Bismarcks politischer "Thätigkeitsdrang"
fand auch 1870/71 vollauf Genüge in den schwierigsten Verhandlungen mit
den Franzosen, den süddeutschen Staaten und den interventionslustigen fremden
Mächten, so sehr Genüge, daß er oft über Mangel an Zeit klagte und seine
Umgebung, indem sie seine ungeheure Arbeitskraft bewunderte, häufig um sein





>) Weken 523, Schneider III, 188. 196. 198 f.
"
) Moltke, Geschichte des deutsch-französischen Kriegs 423, A,, dagegen Graf Waldemar
von Roon in Roons Denkwürdigkeiten III', 499 ff.
") von Blume, Die Beschießung von Paris 1870/71 und die Ursachen ihrer Verzögerung
(1899) 12 ff.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Dies dauerte bis zum Prälimiuärfrieden vou Versailles, wobei die Mili¬
tärs wohl auch besonders deshalb grollten, weil der von ihnen wie vom
Kaiser Wilhelm selbst dringend gewünschte feierliche Einzug in Paris vereitelt
worden war.i) Erschwert wurde das Einvernehmen zwischen beiden „Ressorts"
offenbar noch dadurch, daß ein ähnlicher Streit auch zwischen dem General-
stabe und dem Kriegsministerium bestand, und daß dessen Vertreter Roon
nicht nur mit Bismarck befreundet war, sondern auch in wichtigen Fragen
seine Partei, nicht die des Generalstabs ergriff. Denn während Moltke dem
Generalstabschef allein die militärische Beratung des königlichen Kriegsherrn
im Felde vorbehalten, den Kriegsminister auf die Aufstellung und Ausrüstung
der Armee beschränkt und deshalb während eines Krieges nicht von Berlin
entfernt wissen wollte, betonte Roon die Mitverantwortlichkeit des Kriegs¬
ministers bei allen militärischen Beschlüssen, also die Notwendigkeit seiner An¬
wesenheit im Hauptquartier.

Wenn Bismarck so entschieden auf seiner Mitwirkung an wichtigen mili¬
tärischen Entschlüssen bestand, so that er das, weil er Krieg und Politik für
untrennbar, den Krieg nur für ein Mittel zu politischen Zwecken hielt, die
daher natürlich als die an sich höhern auch die Kriegführung bestimmen müßten
(G. u. E. II, 96). Indem Wilhelm von Blume, damals Major im großen
Generalstabe, zuletzt kommandierender General des XV. Armeekorps in Stra߬
burg, diese Auffassung grundsätzlich anerkennt, sucht er doch nachzuweisen, daß
der Bundeskanzler 1870/71 aus rein sachlichen Gründen nicht zum Generals¬
vortrage zugezogen worden sei, weil die Gerechtigkeit verlangt habe, daß dann
die Militärs umgekehrt auch bei politischen Entschlüssen gehört worden wären,
weil die politischen Verhältnisse 1870 einfacher gelegen hätten als 1866, wo sie
beständig auf die Kriegführung hätten einwirken müssen, und weil endlich auch
der König wohl befürchtet habe, Bismarcks übermächtige Persönlichkeit werde im
Kriegsrat selbst den Generalstabschef in den Hintergrund drängen. Bismarcks
Verstimmung über seine Ausschließung will er nicht nur aus der Erinnerung
an 1866 erklären, sondern auch daraus, daß sein „Thätigkeitsdrang" 1870
nicht voll befriedigt worden sei.'') Der verdiente General wird für diese Aus¬
führungen wenig Glauben finden. Bismarcks politischer „Thätigkeitsdrang"
fand auch 1870/71 vollauf Genüge in den schwierigsten Verhandlungen mit
den Franzosen, den süddeutschen Staaten und den interventionslustigen fremden
Mächten, so sehr Genüge, daß er oft über Mangel an Zeit klagte und seine
Umgebung, indem sie seine ungeheure Arbeitskraft bewunderte, häufig um sein





>) Weken 523, Schneider III, 188. 196. 198 f.
"
) Moltke, Geschichte des deutsch-französischen Kriegs 423, A,, dagegen Graf Waldemar
von Roon in Roons Denkwürdigkeiten III', 499 ff.
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[0251] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Dies dauerte bis zum Prälimiuärfrieden vou Versailles, wobei die Mili¬ tärs wohl auch besonders deshalb grollten, weil der von ihnen wie vom Kaiser Wilhelm selbst dringend gewünschte feierliche Einzug in Paris vereitelt worden war.i) Erschwert wurde das Einvernehmen zwischen beiden „Ressorts" offenbar noch dadurch, daß ein ähnlicher Streit auch zwischen dem General- stabe und dem Kriegsministerium bestand, und daß dessen Vertreter Roon nicht nur mit Bismarck befreundet war, sondern auch in wichtigen Fragen seine Partei, nicht die des Generalstabs ergriff. Denn während Moltke dem Generalstabschef allein die militärische Beratung des königlichen Kriegsherrn im Felde vorbehalten, den Kriegsminister auf die Aufstellung und Ausrüstung der Armee beschränkt und deshalb während eines Krieges nicht von Berlin entfernt wissen wollte, betonte Roon die Mitverantwortlichkeit des Kriegs¬ ministers bei allen militärischen Beschlüssen, also die Notwendigkeit seiner An¬ wesenheit im Hauptquartier. Wenn Bismarck so entschieden auf seiner Mitwirkung an wichtigen mili¬ tärischen Entschlüssen bestand, so that er das, weil er Krieg und Politik für untrennbar, den Krieg nur für ein Mittel zu politischen Zwecken hielt, die daher natürlich als die an sich höhern auch die Kriegführung bestimmen müßten (G. u. E. II, 96). Indem Wilhelm von Blume, damals Major im großen Generalstabe, zuletzt kommandierender General des XV. Armeekorps in Stra߬ burg, diese Auffassung grundsätzlich anerkennt, sucht er doch nachzuweisen, daß der Bundeskanzler 1870/71 aus rein sachlichen Gründen nicht zum Generals¬ vortrage zugezogen worden sei, weil die Gerechtigkeit verlangt habe, daß dann die Militärs umgekehrt auch bei politischen Entschlüssen gehört worden wären, weil die politischen Verhältnisse 1870 einfacher gelegen hätten als 1866, wo sie beständig auf die Kriegführung hätten einwirken müssen, und weil endlich auch der König wohl befürchtet habe, Bismarcks übermächtige Persönlichkeit werde im Kriegsrat selbst den Generalstabschef in den Hintergrund drängen. Bismarcks Verstimmung über seine Ausschließung will er nicht nur aus der Erinnerung an 1866 erklären, sondern auch daraus, daß sein „Thätigkeitsdrang" 1870 nicht voll befriedigt worden sei.'') Der verdiente General wird für diese Aus¬ führungen wenig Glauben finden. Bismarcks politischer „Thätigkeitsdrang" fand auch 1870/71 vollauf Genüge in den schwierigsten Verhandlungen mit den Franzosen, den süddeutschen Staaten und den interventionslustigen fremden Mächten, so sehr Genüge, daß er oft über Mangel an Zeit klagte und seine Umgebung, indem sie seine ungeheure Arbeitskraft bewunderte, häufig um sein >) Weken 523, Schneider III, 188. 196. 198 f. " ) Moltke, Geschichte des deutsch-französischen Kriegs 423, A,, dagegen Graf Waldemar von Roon in Roons Denkwürdigkeiten III', 499 ff. ") von Blume, Die Beschießung von Paris 1870/71 und die Ursachen ihrer Verzögerung (1899) 12 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/251>, abgerufen am 15.01.2025.