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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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ver moderne Holzschnitt und seine Ankunft

schwarze, beim Tonschnitt dagegen Weiße Linien und Punkte zeigt, wird jener
auch wohl Schwarzlinien-, dieser Weißlinienschnitt genannt. Auf die Art der
Einschwärzung und des Abdrucks hat das natürlich keinen Einfluß. Beide
male haftet die Schwärze beim Einwalzen auf den erhaben stehngebliebnen
Teilen und druckt sich von diesen auf das Papier ab. Der Unterschied ist nur
der, daß beim Linienschnitt die Zeichnung, beim Touschuitt dagegen der Grund
erhaben stehn bleibt. Beim Linienschnitt erscheint also die Zeichnung schwarz
auf weißem, beim Tonschnitt weiß auf schwarzem Grunde. Der Tonschnitt
ist von dem Engländer Thomas Bewick zu Ende des vorigen Jahrhunderts
erfunden worden, aber erst seit einigen Jahrzehnten zuerst in England, Amerika
und Frankreich, dann auch in Deutschland zur Herrschaft gelangt. In Deutsch¬
land war sein Bahnbrecher Adolf Cloß in Stuttgart. Diese Technik konnte
erst ausgebildet werden, als man sich statt des bis dahin gebräuchlichen Lang¬
holzes (aus Birnbaum) des Hirnholzes (aus Buchsbaum) und statt des bis
dahin üblichen Schneidemessers des Grabstichels bediente.

Schon diese kurze Schilderung der beiden Techniken zeigt, daß der mo¬
derne Tonschnitt bedeutend höhere Ansprüche an die technische Geschicklichkeit
und das künstlerische Verständnis des Arbeiters stellt als der alte Linienschnitt.
Denn während es bei diesem nur darauf ankam, die von dem Zeichner vor-
gezeichneten Linien genau so, wie sie waren, in Holz auszuschneiden, muß der
Holzschneider bei jenem die Form der Linien und Punkte, mit denen er die
schwarzen Flüchen ausheilen will, selbständig bestimmen. Giebt doch die Vor¬
lage ihm nur eine einheitliche Fläche, einen gleichmäßigen Ton, und es ist
nun seine Aufgabe, diesen Ton mit seinem spezifischen Charakter in die Technik
des Holzschnitts zu übersetzen. Zu diesem Zweck muß er die Linien und
Punkte, die er in den Grund einschneidet, so bilden und so anordnen, daß da¬
durch nicht nur der Eindruck einer bestimmten Schattentiefe, sondern auch
eines bestimmten Stoffes erzeugt wird. Es ist ein großer Unterschied, ob
eine auf dem Holzstock darzustellende Fläche der Zeichnung Fleisch oder Haar,
Gewand oder Gras, Himmel oder Wasser darstellt. Die Art der Behandlung
wird in jedem Fall anders sein, und es ist klar, daß eine richtige und wirk¬
same Charakteristik der Flächen in diesem Sinne ein viel feineres Verständnis
für die Intentionen des erfindenden Meisters voraussetzt als das mechanische
Nachschreiben von Linien, die eben nur so wie sie sind nachgeschritten werden
müssen.

Dabei kann man durchaus nicht sagen, daß der Tonschnitt den Bedingungen
des Materials und der Technik nicht oder auch nur weniger entspräche als
der Linienschnitt. Im Gegenteil, viel eher könnte man behaupten, daß er
den Bedingungen der Technik in besonders hohem Maße Rechnung trägt,
daß der Holzschnitt niemals in höherm und reinerm Sinne Holzschnitt gewesen
ist als gerade jetzt, wo er in der Form des Tonschnitts ausgeübt wird.


ver moderne Holzschnitt und seine Ankunft

schwarze, beim Tonschnitt dagegen Weiße Linien und Punkte zeigt, wird jener
auch wohl Schwarzlinien-, dieser Weißlinienschnitt genannt. Auf die Art der
Einschwärzung und des Abdrucks hat das natürlich keinen Einfluß. Beide
male haftet die Schwärze beim Einwalzen auf den erhaben stehngebliebnen
Teilen und druckt sich von diesen auf das Papier ab. Der Unterschied ist nur
der, daß beim Linienschnitt die Zeichnung, beim Touschuitt dagegen der Grund
erhaben stehn bleibt. Beim Linienschnitt erscheint also die Zeichnung schwarz
auf weißem, beim Tonschnitt weiß auf schwarzem Grunde. Der Tonschnitt
ist von dem Engländer Thomas Bewick zu Ende des vorigen Jahrhunderts
erfunden worden, aber erst seit einigen Jahrzehnten zuerst in England, Amerika
und Frankreich, dann auch in Deutschland zur Herrschaft gelangt. In Deutsch¬
land war sein Bahnbrecher Adolf Cloß in Stuttgart. Diese Technik konnte
erst ausgebildet werden, als man sich statt des bis dahin gebräuchlichen Lang¬
holzes (aus Birnbaum) des Hirnholzes (aus Buchsbaum) und statt des bis
dahin üblichen Schneidemessers des Grabstichels bediente.

Schon diese kurze Schilderung der beiden Techniken zeigt, daß der mo¬
derne Tonschnitt bedeutend höhere Ansprüche an die technische Geschicklichkeit
und das künstlerische Verständnis des Arbeiters stellt als der alte Linienschnitt.
Denn während es bei diesem nur darauf ankam, die von dem Zeichner vor-
gezeichneten Linien genau so, wie sie waren, in Holz auszuschneiden, muß der
Holzschneider bei jenem die Form der Linien und Punkte, mit denen er die
schwarzen Flüchen ausheilen will, selbständig bestimmen. Giebt doch die Vor¬
lage ihm nur eine einheitliche Fläche, einen gleichmäßigen Ton, und es ist
nun seine Aufgabe, diesen Ton mit seinem spezifischen Charakter in die Technik
des Holzschnitts zu übersetzen. Zu diesem Zweck muß er die Linien und
Punkte, die er in den Grund einschneidet, so bilden und so anordnen, daß da¬
durch nicht nur der Eindruck einer bestimmten Schattentiefe, sondern auch
eines bestimmten Stoffes erzeugt wird. Es ist ein großer Unterschied, ob
eine auf dem Holzstock darzustellende Fläche der Zeichnung Fleisch oder Haar,
Gewand oder Gras, Himmel oder Wasser darstellt. Die Art der Behandlung
wird in jedem Fall anders sein, und es ist klar, daß eine richtige und wirk¬
same Charakteristik der Flächen in diesem Sinne ein viel feineres Verständnis
für die Intentionen des erfindenden Meisters voraussetzt als das mechanische
Nachschreiben von Linien, die eben nur so wie sie sind nachgeschritten werden
müssen.

Dabei kann man durchaus nicht sagen, daß der Tonschnitt den Bedingungen
des Materials und der Technik nicht oder auch nur weniger entspräche als
der Linienschnitt. Im Gegenteil, viel eher könnte man behaupten, daß er
den Bedingungen der Technik in besonders hohem Maße Rechnung trägt,
daß der Holzschnitt niemals in höherm und reinerm Sinne Holzschnitt gewesen
ist als gerade jetzt, wo er in der Form des Tonschnitts ausgeübt wird.


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[0230] ver moderne Holzschnitt und seine Ankunft schwarze, beim Tonschnitt dagegen Weiße Linien und Punkte zeigt, wird jener auch wohl Schwarzlinien-, dieser Weißlinienschnitt genannt. Auf die Art der Einschwärzung und des Abdrucks hat das natürlich keinen Einfluß. Beide male haftet die Schwärze beim Einwalzen auf den erhaben stehngebliebnen Teilen und druckt sich von diesen auf das Papier ab. Der Unterschied ist nur der, daß beim Linienschnitt die Zeichnung, beim Touschuitt dagegen der Grund erhaben stehn bleibt. Beim Linienschnitt erscheint also die Zeichnung schwarz auf weißem, beim Tonschnitt weiß auf schwarzem Grunde. Der Tonschnitt ist von dem Engländer Thomas Bewick zu Ende des vorigen Jahrhunderts erfunden worden, aber erst seit einigen Jahrzehnten zuerst in England, Amerika und Frankreich, dann auch in Deutschland zur Herrschaft gelangt. In Deutsch¬ land war sein Bahnbrecher Adolf Cloß in Stuttgart. Diese Technik konnte erst ausgebildet werden, als man sich statt des bis dahin gebräuchlichen Lang¬ holzes (aus Birnbaum) des Hirnholzes (aus Buchsbaum) und statt des bis dahin üblichen Schneidemessers des Grabstichels bediente. Schon diese kurze Schilderung der beiden Techniken zeigt, daß der mo¬ derne Tonschnitt bedeutend höhere Ansprüche an die technische Geschicklichkeit und das künstlerische Verständnis des Arbeiters stellt als der alte Linienschnitt. Denn während es bei diesem nur darauf ankam, die von dem Zeichner vor- gezeichneten Linien genau so, wie sie waren, in Holz auszuschneiden, muß der Holzschneider bei jenem die Form der Linien und Punkte, mit denen er die schwarzen Flüchen ausheilen will, selbständig bestimmen. Giebt doch die Vor¬ lage ihm nur eine einheitliche Fläche, einen gleichmäßigen Ton, und es ist nun seine Aufgabe, diesen Ton mit seinem spezifischen Charakter in die Technik des Holzschnitts zu übersetzen. Zu diesem Zweck muß er die Linien und Punkte, die er in den Grund einschneidet, so bilden und so anordnen, daß da¬ durch nicht nur der Eindruck einer bestimmten Schattentiefe, sondern auch eines bestimmten Stoffes erzeugt wird. Es ist ein großer Unterschied, ob eine auf dem Holzstock darzustellende Fläche der Zeichnung Fleisch oder Haar, Gewand oder Gras, Himmel oder Wasser darstellt. Die Art der Behandlung wird in jedem Fall anders sein, und es ist klar, daß eine richtige und wirk¬ same Charakteristik der Flächen in diesem Sinne ein viel feineres Verständnis für die Intentionen des erfindenden Meisters voraussetzt als das mechanische Nachschreiben von Linien, die eben nur so wie sie sind nachgeschritten werden müssen. Dabei kann man durchaus nicht sagen, daß der Tonschnitt den Bedingungen des Materials und der Technik nicht oder auch nur weniger entspräche als der Linienschnitt. Im Gegenteil, viel eher könnte man behaupten, daß er den Bedingungen der Technik in besonders hohem Maße Rechnung trägt, daß der Holzschnitt niemals in höherm und reinerm Sinne Holzschnitt gewesen ist als gerade jetzt, wo er in der Form des Tonschnitts ausgeübt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/230>, abgerufen am 15.01.2025.