Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.dazu verwandt werden kann, wozu es gebant wird, nämlich zur menschlichen Natürlich machen solche Berechnungen auf den Leser in besonderm Grade Gegen diese wirkungsvolle Statistik des deutschen Landwirtschaftsrats haben Professor Conrad schreibt in den von ihm herausgegebnen Jahrbüchern Conrad bestreitet ganz entschieden, daß man überhaupt imstande sei, den dazu verwandt werden kann, wozu es gebant wird, nämlich zur menschlichen Natürlich machen solche Berechnungen auf den Leser in besonderm Grade Gegen diese wirkungsvolle Statistik des deutschen Landwirtschaftsrats haben Professor Conrad schreibt in den von ihm herausgegebnen Jahrbüchern Conrad bestreitet ganz entschieden, daß man überhaupt imstande sei, den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231193"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_38" prev="#ID_37"> dazu verwandt werden kann, wozu es gebant wird, nämlich zur menschlichen<lb/> Nahrung. Diesen nationalen Schatz zu Hüten, zu wahren und zu mehre»<lb/> sollte die erste und wichtigste Aufgabe unsrer Regierung und gesetzgebende»<lb/> Körperschaften sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_39"> Natürlich machen solche Berechnungen auf den Leser in besonderm Grade<lb/> den Eindruck strenger Objektivität und Zuverlässigkeit, zumal ans die Land¬<lb/> wirte, wenn sie unter der Autorität des deutschen Landwirtschaftsrats ver¬<lb/> öffentlicht werden. In diesem Falle bezweckten sie und erreichten sie die Be¬<lb/> festigung der landwirtschaftlichen Besitzer in der Überzeugung, daß wir die<lb/> wirklich nötig gewesene Einfuhr fremden Brotgetreides durch eine sehr geringe<lb/> Steigerung der Produktion sehr wohl zu decken vermöchten, wenn nur der Staat<lb/> durch höhere Getreidezölle die unnötige Einfuhr abhalten und den Preis im<lb/> Inlande so hoch halten würde, daß Brodgetreide nicht mehr zu Viehfutter<lb/> verwandt werden müßte. Das Verfüttern von Korn und Weizen erscheint als<lb/> Wirkung und Beweis des Notstandes. Der Agrarier schreit nun mit doppelter<lb/> Zuversicht: Es ist bewiesen, daß die Getreidezölle erhöht werden müssen, und<lb/> ebenso, daß sie erhöht werden können. Es liegt nur am bösen Willen des<lb/> Staates, wenn wir zu Grunde gehen!</p><lb/> <p xml:id="ID_40"> Gegen diese wirkungsvolle Statistik des deutschen Landwirtschaftsrats haben<lb/> nun zwei anerkannte Autoritäten auf dem Gebiete der Agrarstatistik und Agrar¬<lb/> politik, Geheimrat Professor Dr. I. Conrad in Halle und Geheimrat Professor<lb/> Dr. Freiherr von der Goltz in Bonn neuerdings ganz entschieden Einspruch<lb/> erhoben. Wird der agrarische große Haufen auch dadurch nicht zur Besinnung<lb/> gebracht werdeu, davon überhaupt nichts hören wollen, so wird es hoffentlich<lb/> für die immerhin nicht geringe Zahl gebildeter, ruhig urteilender und gemein¬<lb/> sinniger Landwirte, die sich inmitten der agrarischen Hochflut noch etwas Selb¬<lb/> ständigkeit bewahrt haben, eine wirksame Mahnung sein, daß sich gerade zwei<lb/> so aufrichtige und bewährte Freunde und Förderer der deutschen Landwirtschaft<lb/> trotz ihrer ganz außerordentlich weitgehenden Friedensliebe zu einem solchen<lb/> Widerspruch für verpflichtet gehalten haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_41"> Professor Conrad schreibt in den von ihm herausgegebnen Jahrbüchern<lb/> für Nationalökonomie und Statistik (ausgegeben am 20. Mai 1899) unter<lb/> anderm folgendes: Man sollte nun allmählich mit dem Versuche aufhören,<lb/> nachzuweisen, daß Deutschland den Bedarf selbst zu decken vermöge. Doch<lb/> habe ihn der Landwirtschaftsrat kürzlich wieder unternommen. Es geschehe in<lb/> der Weise, wie Fürst Bismarck es schon 1879 gethan habe. Es werde der<lb/> Bedarf an Brodgetreide ganz willkürlich ans 171 Kilogramm pro Kopf der<lb/> Bevölkerung angenommen, danach der Gesamtbedarf berechnet und nach Abzug<lb/> der Aussaat die Ernte damit verglichen. Der so herausgerechneteu notwendigen<lb/> Einfuhr stehe dann eine thatsächliche gegenüber, die das Fünffache übersteige.</p><lb/> <p xml:id="ID_42" next="#ID_43"> Conrad bestreitet ganz entschieden, daß man überhaupt imstande sei, den<lb/> Bedarf an menschlicher Nahrung in einem Lande zahlenmäßig festzustellen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
dazu verwandt werden kann, wozu es gebant wird, nämlich zur menschlichen
Nahrung. Diesen nationalen Schatz zu Hüten, zu wahren und zu mehre»
sollte die erste und wichtigste Aufgabe unsrer Regierung und gesetzgebende»
Körperschaften sein."
Natürlich machen solche Berechnungen auf den Leser in besonderm Grade
den Eindruck strenger Objektivität und Zuverlässigkeit, zumal ans die Land¬
wirte, wenn sie unter der Autorität des deutschen Landwirtschaftsrats ver¬
öffentlicht werden. In diesem Falle bezweckten sie und erreichten sie die Be¬
festigung der landwirtschaftlichen Besitzer in der Überzeugung, daß wir die
wirklich nötig gewesene Einfuhr fremden Brotgetreides durch eine sehr geringe
Steigerung der Produktion sehr wohl zu decken vermöchten, wenn nur der Staat
durch höhere Getreidezölle die unnötige Einfuhr abhalten und den Preis im
Inlande so hoch halten würde, daß Brodgetreide nicht mehr zu Viehfutter
verwandt werden müßte. Das Verfüttern von Korn und Weizen erscheint als
Wirkung und Beweis des Notstandes. Der Agrarier schreit nun mit doppelter
Zuversicht: Es ist bewiesen, daß die Getreidezölle erhöht werden müssen, und
ebenso, daß sie erhöht werden können. Es liegt nur am bösen Willen des
Staates, wenn wir zu Grunde gehen!
Gegen diese wirkungsvolle Statistik des deutschen Landwirtschaftsrats haben
nun zwei anerkannte Autoritäten auf dem Gebiete der Agrarstatistik und Agrar¬
politik, Geheimrat Professor Dr. I. Conrad in Halle und Geheimrat Professor
Dr. Freiherr von der Goltz in Bonn neuerdings ganz entschieden Einspruch
erhoben. Wird der agrarische große Haufen auch dadurch nicht zur Besinnung
gebracht werdeu, davon überhaupt nichts hören wollen, so wird es hoffentlich
für die immerhin nicht geringe Zahl gebildeter, ruhig urteilender und gemein¬
sinniger Landwirte, die sich inmitten der agrarischen Hochflut noch etwas Selb¬
ständigkeit bewahrt haben, eine wirksame Mahnung sein, daß sich gerade zwei
so aufrichtige und bewährte Freunde und Förderer der deutschen Landwirtschaft
trotz ihrer ganz außerordentlich weitgehenden Friedensliebe zu einem solchen
Widerspruch für verpflichtet gehalten haben.
Professor Conrad schreibt in den von ihm herausgegebnen Jahrbüchern
für Nationalökonomie und Statistik (ausgegeben am 20. Mai 1899) unter
anderm folgendes: Man sollte nun allmählich mit dem Versuche aufhören,
nachzuweisen, daß Deutschland den Bedarf selbst zu decken vermöge. Doch
habe ihn der Landwirtschaftsrat kürzlich wieder unternommen. Es geschehe in
der Weise, wie Fürst Bismarck es schon 1879 gethan habe. Es werde der
Bedarf an Brodgetreide ganz willkürlich ans 171 Kilogramm pro Kopf der
Bevölkerung angenommen, danach der Gesamtbedarf berechnet und nach Abzug
der Aussaat die Ernte damit verglichen. Der so herausgerechneteu notwendigen
Einfuhr stehe dann eine thatsächliche gegenüber, die das Fünffache übersteige.
Conrad bestreitet ganz entschieden, daß man überhaupt imstande sei, den
Bedarf an menschlicher Nahrung in einem Lande zahlenmäßig festzustellen.
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