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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

Photographie und den photomechanischen Verviclfältigungsarten eine unberechtigte
Konkurrenz mache, daß er deshalb sehr bald von der Autotypie (Netz- oder
Kornätzung) verdrängt werden würde. Man spricht ihm geradezu die Daseins¬
berechtigung ab und will unsre Holzschneider zwingen, wieder zu dem alten
derben Linienschnitt des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zurück¬
zukehren.

Diese Bewegung steht in engem Zusammenhang mit der Reform unsers
ganzen Buchgewerbes, die neuerdings im Anschluß an das Vorbild Englands
auch bei uns immer weitere Kreise zieht. Die Vertreter dieser Reform wollen
bekanntlich das Buch vor allem als ein dekoratives Ensemble fassen und meinen
nun, zu diesem dekorativen Ensemble passe nur ein Holzschnitt von kräftigen,
einfachen Linien. Denn nur ein solcher könne sich dem kräftigen Charakter der
Drucktypen anpassen, und die Drucktype bestimme den Eindruck der ganzen
Seite, der Holzschnitt habe sich ihr einfach zu fügen. Das könne aber nur
der alte Linienschnitt, nicht der moderne malerische Schnitt, der Tonschnitt,
bei dem alle Linien in Töne, in einheitliche Schattenflächen aufgelöst seien.
Ja manche Kritiker gehn sogar so weit, zu behaupten, dem Wesen des Holz¬
schnitts, dieser "kräftigen, derben" Kunst, entspreche nur der Linienschuitt, nur
ein Schnitt mit Umrissen und einfachen wenigen Schraffierungen sei dem
Charakter des Materials und der Technik angemessen. Der Tonschnitt da¬
gegen, als Nachahmung der Malerei, sei dem Wesen des Holzschnitts entgegen,
widerspreche seinem Material und seiner Technik, kurz, sei ästhetisch durchans
verwerflich. Da ich fast in allen diesen Punkten der entgegengesetzten Ansicht
bin und einmal die Aufgabe übernommen habe, die verdrehten ästhetischen An¬
schauungen, die wir seit einiger Zeit vom Auslande zu übernehmen Pflegen,
zurückzuweisen, sei es mir erlaubt, diese Frage hier einmal vom deutschen, nicht
vom englischen Standpunkte aus zu behandeln.

Man unterscheidet bekanntlich beim Holzschnitt, abgesehen von den bunten
Gattungen, die uns hier zunächst nicht interessieren, zwei ganz von einander
verschiedne Techniken, den Linien- (oder Faksimile)schnitt und den Ton- (oder
malerischen) Schnitt. Beim Linienschnitt, der nach linearen Federzeichnungen
arbeitet,, wird die Zeichnung faksimiliert, d. h. so wie sie ist, im Holzstock
ausgeschnitten, wobei die Linien, die im Abdruck schwarz erscheinen sollen,
erhaben stehn bleiben und der Grund um sie herum vertieft wird. Beim
Tonschnitt dagegen, der nicht nach Linienzeichnungen, sondern nach königer
Originalen, seien es nun Photographien oder Aquarelle oder Gemälde,
arbeitet, werden die Töne dadurch hergestellt, daß in die Flüche des Holz¬
stocks vertiefte Linien oder Punkte eingekratzt werden, die dann beim Abdruck
weiß auf schwarzem Grunde erscheinen. Je nachdem diese Linien enger oder
weiter auseinander stehn, dünner oder dicker sind, erhält die betreffende
Fläche einen Hellem oder dunklern Ton. Da der Abdruck beim Linienschnitt


Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

Photographie und den photomechanischen Verviclfältigungsarten eine unberechtigte
Konkurrenz mache, daß er deshalb sehr bald von der Autotypie (Netz- oder
Kornätzung) verdrängt werden würde. Man spricht ihm geradezu die Daseins¬
berechtigung ab und will unsre Holzschneider zwingen, wieder zu dem alten
derben Linienschnitt des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zurück¬
zukehren.

Diese Bewegung steht in engem Zusammenhang mit der Reform unsers
ganzen Buchgewerbes, die neuerdings im Anschluß an das Vorbild Englands
auch bei uns immer weitere Kreise zieht. Die Vertreter dieser Reform wollen
bekanntlich das Buch vor allem als ein dekoratives Ensemble fassen und meinen
nun, zu diesem dekorativen Ensemble passe nur ein Holzschnitt von kräftigen,
einfachen Linien. Denn nur ein solcher könne sich dem kräftigen Charakter der
Drucktypen anpassen, und die Drucktype bestimme den Eindruck der ganzen
Seite, der Holzschnitt habe sich ihr einfach zu fügen. Das könne aber nur
der alte Linienschnitt, nicht der moderne malerische Schnitt, der Tonschnitt,
bei dem alle Linien in Töne, in einheitliche Schattenflächen aufgelöst seien.
Ja manche Kritiker gehn sogar so weit, zu behaupten, dem Wesen des Holz¬
schnitts, dieser „kräftigen, derben" Kunst, entspreche nur der Linienschuitt, nur
ein Schnitt mit Umrissen und einfachen wenigen Schraffierungen sei dem
Charakter des Materials und der Technik angemessen. Der Tonschnitt da¬
gegen, als Nachahmung der Malerei, sei dem Wesen des Holzschnitts entgegen,
widerspreche seinem Material und seiner Technik, kurz, sei ästhetisch durchans
verwerflich. Da ich fast in allen diesen Punkten der entgegengesetzten Ansicht
bin und einmal die Aufgabe übernommen habe, die verdrehten ästhetischen An¬
schauungen, die wir seit einiger Zeit vom Auslande zu übernehmen Pflegen,
zurückzuweisen, sei es mir erlaubt, diese Frage hier einmal vom deutschen, nicht
vom englischen Standpunkte aus zu behandeln.

Man unterscheidet bekanntlich beim Holzschnitt, abgesehen von den bunten
Gattungen, die uns hier zunächst nicht interessieren, zwei ganz von einander
verschiedne Techniken, den Linien- (oder Faksimile)schnitt und den Ton- (oder
malerischen) Schnitt. Beim Linienschnitt, der nach linearen Federzeichnungen
arbeitet,, wird die Zeichnung faksimiliert, d. h. so wie sie ist, im Holzstock
ausgeschnitten, wobei die Linien, die im Abdruck schwarz erscheinen sollen,
erhaben stehn bleiben und der Grund um sie herum vertieft wird. Beim
Tonschnitt dagegen, der nicht nach Linienzeichnungen, sondern nach königer
Originalen, seien es nun Photographien oder Aquarelle oder Gemälde,
arbeitet, werden die Töne dadurch hergestellt, daß in die Flüche des Holz¬
stocks vertiefte Linien oder Punkte eingekratzt werden, die dann beim Abdruck
weiß auf schwarzem Grunde erscheinen. Je nachdem diese Linien enger oder
weiter auseinander stehn, dünner oder dicker sind, erhält die betreffende
Fläche einen Hellem oder dunklern Ton. Da der Abdruck beim Linienschnitt


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[0229] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft Photographie und den photomechanischen Verviclfältigungsarten eine unberechtigte Konkurrenz mache, daß er deshalb sehr bald von der Autotypie (Netz- oder Kornätzung) verdrängt werden würde. Man spricht ihm geradezu die Daseins¬ berechtigung ab und will unsre Holzschneider zwingen, wieder zu dem alten derben Linienschnitt des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zurück¬ zukehren. Diese Bewegung steht in engem Zusammenhang mit der Reform unsers ganzen Buchgewerbes, die neuerdings im Anschluß an das Vorbild Englands auch bei uns immer weitere Kreise zieht. Die Vertreter dieser Reform wollen bekanntlich das Buch vor allem als ein dekoratives Ensemble fassen und meinen nun, zu diesem dekorativen Ensemble passe nur ein Holzschnitt von kräftigen, einfachen Linien. Denn nur ein solcher könne sich dem kräftigen Charakter der Drucktypen anpassen, und die Drucktype bestimme den Eindruck der ganzen Seite, der Holzschnitt habe sich ihr einfach zu fügen. Das könne aber nur der alte Linienschnitt, nicht der moderne malerische Schnitt, der Tonschnitt, bei dem alle Linien in Töne, in einheitliche Schattenflächen aufgelöst seien. Ja manche Kritiker gehn sogar so weit, zu behaupten, dem Wesen des Holz¬ schnitts, dieser „kräftigen, derben" Kunst, entspreche nur der Linienschuitt, nur ein Schnitt mit Umrissen und einfachen wenigen Schraffierungen sei dem Charakter des Materials und der Technik angemessen. Der Tonschnitt da¬ gegen, als Nachahmung der Malerei, sei dem Wesen des Holzschnitts entgegen, widerspreche seinem Material und seiner Technik, kurz, sei ästhetisch durchans verwerflich. Da ich fast in allen diesen Punkten der entgegengesetzten Ansicht bin und einmal die Aufgabe übernommen habe, die verdrehten ästhetischen An¬ schauungen, die wir seit einiger Zeit vom Auslande zu übernehmen Pflegen, zurückzuweisen, sei es mir erlaubt, diese Frage hier einmal vom deutschen, nicht vom englischen Standpunkte aus zu behandeln. Man unterscheidet bekanntlich beim Holzschnitt, abgesehen von den bunten Gattungen, die uns hier zunächst nicht interessieren, zwei ganz von einander verschiedne Techniken, den Linien- (oder Faksimile)schnitt und den Ton- (oder malerischen) Schnitt. Beim Linienschnitt, der nach linearen Federzeichnungen arbeitet,, wird die Zeichnung faksimiliert, d. h. so wie sie ist, im Holzstock ausgeschnitten, wobei die Linien, die im Abdruck schwarz erscheinen sollen, erhaben stehn bleiben und der Grund um sie herum vertieft wird. Beim Tonschnitt dagegen, der nicht nach Linienzeichnungen, sondern nach königer Originalen, seien es nun Photographien oder Aquarelle oder Gemälde, arbeitet, werden die Töne dadurch hergestellt, daß in die Flüche des Holz¬ stocks vertiefte Linien oder Punkte eingekratzt werden, die dann beim Abdruck weiß auf schwarzem Grunde erscheinen. Je nachdem diese Linien enger oder weiter auseinander stehn, dünner oder dicker sind, erhält die betreffende Fläche einen Hellem oder dunklern Ton. Da der Abdruck beim Linienschnitt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/229>, abgerufen am 15.01.2025.