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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

Beweis für den Kulturabstand der Griechen zu der Zeit der arabischen von
denen zu der Zeit der türkischen Eroberung!

Dennoch konnten die Griechen den Türken immer noch genug bieten.
Wie begreiflich, deckt sich zwar der griechische Einfluß auf das Türkische nur
zum kleinern Teile mit dem auf die christlichen Balkanvölker. Zunächst war
eine Einwirkung auf das religiöse Leben von vornherein ausgeschlossen. Aber
auch in sonstiger Beziehung war die osmanische Kultur zu exklusiv und fest
gefügt, als daß sie von einem ganz verschiednen, duzn politisch wie geistig
verfallnen Staatswesen wie Byzanz hätte befruchtet werden können. Es bleibt
also nur das übrig, was auch für die Türken in ihrer neuen Heimat nicht zu
entbehren war, und womit sie durch die Griechen bekannt wurden; das aber
war besonders Häuserbau, Landwirtschaft und Seewesen.

Im Häuserbau finden sich aus dem Griechischen entlehnte Worte für:
Hof, Fundament, Keller, Dach, Ziegel, Fenster, Riegel, Schlüssel, auch für
Instrumente wie Steinhämmer und Winkelmaß, sowie sür Möbel wie Bett,
Tisch und Schemel. Der Landwirtschaft gehören an Bezeichnungen für Furche,
Mist, Heubündel, Hürde, Sichel, Hacke, Jochring, sowie mehrere Worte für
Gemüsearten und Früchte wie Artischocke, Bohne, Spinat, Kohl, Pilze, Lauch;
Himbeere und Kirsche; von Blumen nur Melisse, Kamille, Klee, Fünffinger-
kraut. Entlehnungen auf dem Gebiete des Seewesens sind die Worte für
Seemann, Fähre, Galeere, Befrachtung, Nuderpflock, Pfeife; für Strand, Golf,
Hafen, Leuchtturm; Woge, Sturm, Nord-, West- und Südwind, sowie für
sämtliche Fischarten, die den Türken als Steppenvolk unbekannt sein mußten.

Auf diesen drei Gebieten sind also die Griechen für sämtliche Balkan-
Völker, einschließlich die Türken, vorbildlich gewesen, außerdem im Kirchen-,
Staats- und Bildungswesen für die christlichen Balkanvölker. Auffallen muß
daran dem Kenner der heutigen griechischen Verhältnisse der starke Einfluß
auf dem landwirtschaftlichen Gebiete, das doch heute gerade die schwächste Seite
Griechenlands ist, und auf dem die Griechen hinter den Albanesen, der
eigentlich ackerbautreibenden Bevölkerung des Landes, weit zurückstehen. Man
muß also wohl annehmen, daß sich die griechische Landwirtschaft in byzan¬
tinischer Zeit eiuer bessern Pflege erfreute, und daß sie erst nach der mit der
türkischen Eroberung verbundnen Verwüstung und Verarmung des Landes
vernachlässigt wurde, eine Beobachtung, die wir auch sonst gemacht haben.

Wir können jetzt zurückblickend den gesamten, sowohl in das Griechische
eingegangnen wie von ihm ausgegangnen Wortschatz dreifach zusammenfassen,
nämlich danach, von welchen Völkern die Griechen nur Begriffe und Worte
entlehnt, welchen sie nur aus ihrem eignen Wortschatze mitgeteilt, und welchen
gegenüber sie sich sowohl gebend als empfangend verhalten haben. Fast nur
empfangen haben sie in späterer Zeit von Römern und Italienern, fast mir
gegeben haben sie den Albanesen und Rumänen, während sie Slawen und


Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

Beweis für den Kulturabstand der Griechen zu der Zeit der arabischen von
denen zu der Zeit der türkischen Eroberung!

Dennoch konnten die Griechen den Türken immer noch genug bieten.
Wie begreiflich, deckt sich zwar der griechische Einfluß auf das Türkische nur
zum kleinern Teile mit dem auf die christlichen Balkanvölker. Zunächst war
eine Einwirkung auf das religiöse Leben von vornherein ausgeschlossen. Aber
auch in sonstiger Beziehung war die osmanische Kultur zu exklusiv und fest
gefügt, als daß sie von einem ganz verschiednen, duzn politisch wie geistig
verfallnen Staatswesen wie Byzanz hätte befruchtet werden können. Es bleibt
also nur das übrig, was auch für die Türken in ihrer neuen Heimat nicht zu
entbehren war, und womit sie durch die Griechen bekannt wurden; das aber
war besonders Häuserbau, Landwirtschaft und Seewesen.

Im Häuserbau finden sich aus dem Griechischen entlehnte Worte für:
Hof, Fundament, Keller, Dach, Ziegel, Fenster, Riegel, Schlüssel, auch für
Instrumente wie Steinhämmer und Winkelmaß, sowie sür Möbel wie Bett,
Tisch und Schemel. Der Landwirtschaft gehören an Bezeichnungen für Furche,
Mist, Heubündel, Hürde, Sichel, Hacke, Jochring, sowie mehrere Worte für
Gemüsearten und Früchte wie Artischocke, Bohne, Spinat, Kohl, Pilze, Lauch;
Himbeere und Kirsche; von Blumen nur Melisse, Kamille, Klee, Fünffinger-
kraut. Entlehnungen auf dem Gebiete des Seewesens sind die Worte für
Seemann, Fähre, Galeere, Befrachtung, Nuderpflock, Pfeife; für Strand, Golf,
Hafen, Leuchtturm; Woge, Sturm, Nord-, West- und Südwind, sowie für
sämtliche Fischarten, die den Türken als Steppenvolk unbekannt sein mußten.

Auf diesen drei Gebieten sind also die Griechen für sämtliche Balkan-
Völker, einschließlich die Türken, vorbildlich gewesen, außerdem im Kirchen-,
Staats- und Bildungswesen für die christlichen Balkanvölker. Auffallen muß
daran dem Kenner der heutigen griechischen Verhältnisse der starke Einfluß
auf dem landwirtschaftlichen Gebiete, das doch heute gerade die schwächste Seite
Griechenlands ist, und auf dem die Griechen hinter den Albanesen, der
eigentlich ackerbautreibenden Bevölkerung des Landes, weit zurückstehen. Man
muß also wohl annehmen, daß sich die griechische Landwirtschaft in byzan¬
tinischer Zeit eiuer bessern Pflege erfreute, und daß sie erst nach der mit der
türkischen Eroberung verbundnen Verwüstung und Verarmung des Landes
vernachlässigt wurde, eine Beobachtung, die wir auch sonst gemacht haben.

Wir können jetzt zurückblickend den gesamten, sowohl in das Griechische
eingegangnen wie von ihm ausgegangnen Wortschatz dreifach zusammenfassen,
nämlich danach, von welchen Völkern die Griechen nur Begriffe und Worte
entlehnt, welchen sie nur aus ihrem eignen Wortschatze mitgeteilt, und welchen
gegenüber sie sich sowohl gebend als empfangend verhalten haben. Fast nur
empfangen haben sie in späterer Zeit von Römern und Italienern, fast mir
gegeben haben sie den Albanesen und Rumänen, während sie Slawen und


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[0226] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen Beweis für den Kulturabstand der Griechen zu der Zeit der arabischen von denen zu der Zeit der türkischen Eroberung! Dennoch konnten die Griechen den Türken immer noch genug bieten. Wie begreiflich, deckt sich zwar der griechische Einfluß auf das Türkische nur zum kleinern Teile mit dem auf die christlichen Balkanvölker. Zunächst war eine Einwirkung auf das religiöse Leben von vornherein ausgeschlossen. Aber auch in sonstiger Beziehung war die osmanische Kultur zu exklusiv und fest gefügt, als daß sie von einem ganz verschiednen, duzn politisch wie geistig verfallnen Staatswesen wie Byzanz hätte befruchtet werden können. Es bleibt also nur das übrig, was auch für die Türken in ihrer neuen Heimat nicht zu entbehren war, und womit sie durch die Griechen bekannt wurden; das aber war besonders Häuserbau, Landwirtschaft und Seewesen. Im Häuserbau finden sich aus dem Griechischen entlehnte Worte für: Hof, Fundament, Keller, Dach, Ziegel, Fenster, Riegel, Schlüssel, auch für Instrumente wie Steinhämmer und Winkelmaß, sowie sür Möbel wie Bett, Tisch und Schemel. Der Landwirtschaft gehören an Bezeichnungen für Furche, Mist, Heubündel, Hürde, Sichel, Hacke, Jochring, sowie mehrere Worte für Gemüsearten und Früchte wie Artischocke, Bohne, Spinat, Kohl, Pilze, Lauch; Himbeere und Kirsche; von Blumen nur Melisse, Kamille, Klee, Fünffinger- kraut. Entlehnungen auf dem Gebiete des Seewesens sind die Worte für Seemann, Fähre, Galeere, Befrachtung, Nuderpflock, Pfeife; für Strand, Golf, Hafen, Leuchtturm; Woge, Sturm, Nord-, West- und Südwind, sowie für sämtliche Fischarten, die den Türken als Steppenvolk unbekannt sein mußten. Auf diesen drei Gebieten sind also die Griechen für sämtliche Balkan- Völker, einschließlich die Türken, vorbildlich gewesen, außerdem im Kirchen-, Staats- und Bildungswesen für die christlichen Balkanvölker. Auffallen muß daran dem Kenner der heutigen griechischen Verhältnisse der starke Einfluß auf dem landwirtschaftlichen Gebiete, das doch heute gerade die schwächste Seite Griechenlands ist, und auf dem die Griechen hinter den Albanesen, der eigentlich ackerbautreibenden Bevölkerung des Landes, weit zurückstehen. Man muß also wohl annehmen, daß sich die griechische Landwirtschaft in byzan¬ tinischer Zeit eiuer bessern Pflege erfreute, und daß sie erst nach der mit der türkischen Eroberung verbundnen Verwüstung und Verarmung des Landes vernachlässigt wurde, eine Beobachtung, die wir auch sonst gemacht haben. Wir können jetzt zurückblickend den gesamten, sowohl in das Griechische eingegangnen wie von ihm ausgegangnen Wortschatz dreifach zusammenfassen, nämlich danach, von welchen Völkern die Griechen nur Begriffe und Worte entlehnt, welchen sie nur aus ihrem eignen Wortschatze mitgeteilt, und welchen gegenüber sie sich sowohl gebend als empfangend verhalten haben. Fast nur empfangen haben sie in späterer Zeit von Römern und Italienern, fast mir gegeben haben sie den Albanesen und Rumänen, während sie Slawen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/226>, abgerufen am 15.01.2025.