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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutige" Griechen

Bezeichnend für die große Umwälzung in der Tracht ist es, daß sämtliche
Bekleidungsstücke fremde Namen tragen, und zwar Hemd, Hose, Tuch, Pelz,
Ärmel lateinische; Hut, Mütze, Kragen, Beinkleider, Überrock, Strumpf, Futter
italienische; Frauenkleid, Weste, Tasche, Schuh türkische. Dagegen ist das
Wort für "Anzug" im allgemeinen und für "Schneider" griechisch geblieben.
Von andern Berufsnamen sind griechisch: Bueler, Müller, Gärtner, Fischer,
Schiffer, Kutscher, Glaser, Maler, Lehrer, Arzt, Kaufmann. Lateinisch:
Fleischer, Handwerksmann. Italienisch: Tischler, Stiefelputzer, Henker. Türkisch:
Lastträger, Gemüsehändler, Gerber, Blechschmied, Schuster, Schlächter. Je
mehr wir aus dem Kreise des höhern Kulturlebens hinabsteigen in die Niede¬
rungen des physischen, des Tier- und Pflanzenlebens, um so geringer wird
die Mischung, um so stärker herrscht das griechische Element, ein deutlicher
Beweis -- wenn es eines solchen noch bedarf --, daß das griechische Volk
zwar seit dem Beginn des Mittelalters aus der Reihe der Kulturvölker immer
mehr ausgeschieden ist, ohne aber seine physische Existenz einzubüßen; vielmehr
lebte es mit der Zähigkeit eines gesunden Naturvolks ungeschwücht weiter.
Es erinnert, um einen Vergleich zu gebrauchen, an einen antiken Tempel, dessen
Säulen, Gebälk und plastischen Schmuck zwar die Jahrhunderte zerstört haben,
dessen Grundmauern aber noch fest und unerschüttert in der Erde ruhn, und
die stark genug geblieben waren, einen neuen Oberbau aus fremdem Material
zu tragen.

Eine wie starke Physische Kraft das griechische Volk auch noch im Mittel¬
alter hatte, zeigt sich nicht nur daran, daß es so jugendkrnftige Völker wie
Slawen und Albanesen assimilierte und schließlich aufsog, sondern noch mehr
darin, daß es auf diese selben Völker einen guten Teil seines angestammten
Sprachguts übertrug und sie somit aus der gänzlichen Unkultur zu einer ge¬
wissen Höhe primitiver Kultur führte. Alle nichtgriechischen Stämme der
Valkanhalbinsel waren ja ursprünglich Glieder des großen byzantinischen Reichs
und mußten daher an dessen Kultur Anteil haben. Es ist nun begreiflich,
wenn sich in den Sprachen aller dieser Völker griechische Elemente als Zeug-
nisse einer höhern Kultur festgesetzt und erhalten haben. Selbst die später
eingefallnen Türken konnten sich diesem Einfluß nicht ganz entziehen, und so
zeigt sich auch ihre Sprache mit griechischen Wörtern durchsetzt.

sämtlichen christlichen Valkanvölkern gemein sind zunächst alle sich auf
den kirchlichen Ritus beziehenden Wörter, da sie ja von Byzanz aus dem
Christentum zugeführt wurden und mit den Kulturformen auch deren Bezeich¬
nungen übernahmen.

In die engste Berührung mit den Griechen und infolge ihrer niedrigen
Kulturstufe stärkste Abhängigkeit von ihnen gerieten die -- übrigens urver¬
wandten -- Albanesen, die seit dem vierzehnten Jahrhundert in großer Zahl
in Griechenland eindrangen. Ihre Sprache zählt gegen neunhundert neu-


Die kulturgeschichtliche Stellung der heutige« Griechen

Bezeichnend für die große Umwälzung in der Tracht ist es, daß sämtliche
Bekleidungsstücke fremde Namen tragen, und zwar Hemd, Hose, Tuch, Pelz,
Ärmel lateinische; Hut, Mütze, Kragen, Beinkleider, Überrock, Strumpf, Futter
italienische; Frauenkleid, Weste, Tasche, Schuh türkische. Dagegen ist das
Wort für „Anzug" im allgemeinen und für „Schneider" griechisch geblieben.
Von andern Berufsnamen sind griechisch: Bueler, Müller, Gärtner, Fischer,
Schiffer, Kutscher, Glaser, Maler, Lehrer, Arzt, Kaufmann. Lateinisch:
Fleischer, Handwerksmann. Italienisch: Tischler, Stiefelputzer, Henker. Türkisch:
Lastträger, Gemüsehändler, Gerber, Blechschmied, Schuster, Schlächter. Je
mehr wir aus dem Kreise des höhern Kulturlebens hinabsteigen in die Niede¬
rungen des physischen, des Tier- und Pflanzenlebens, um so geringer wird
die Mischung, um so stärker herrscht das griechische Element, ein deutlicher
Beweis — wenn es eines solchen noch bedarf —, daß das griechische Volk
zwar seit dem Beginn des Mittelalters aus der Reihe der Kulturvölker immer
mehr ausgeschieden ist, ohne aber seine physische Existenz einzubüßen; vielmehr
lebte es mit der Zähigkeit eines gesunden Naturvolks ungeschwücht weiter.
Es erinnert, um einen Vergleich zu gebrauchen, an einen antiken Tempel, dessen
Säulen, Gebälk und plastischen Schmuck zwar die Jahrhunderte zerstört haben,
dessen Grundmauern aber noch fest und unerschüttert in der Erde ruhn, und
die stark genug geblieben waren, einen neuen Oberbau aus fremdem Material
zu tragen.

Eine wie starke Physische Kraft das griechische Volk auch noch im Mittel¬
alter hatte, zeigt sich nicht nur daran, daß es so jugendkrnftige Völker wie
Slawen und Albanesen assimilierte und schließlich aufsog, sondern noch mehr
darin, daß es auf diese selben Völker einen guten Teil seines angestammten
Sprachguts übertrug und sie somit aus der gänzlichen Unkultur zu einer ge¬
wissen Höhe primitiver Kultur führte. Alle nichtgriechischen Stämme der
Valkanhalbinsel waren ja ursprünglich Glieder des großen byzantinischen Reichs
und mußten daher an dessen Kultur Anteil haben. Es ist nun begreiflich,
wenn sich in den Sprachen aller dieser Völker griechische Elemente als Zeug-
nisse einer höhern Kultur festgesetzt und erhalten haben. Selbst die später
eingefallnen Türken konnten sich diesem Einfluß nicht ganz entziehen, und so
zeigt sich auch ihre Sprache mit griechischen Wörtern durchsetzt.

sämtlichen christlichen Valkanvölkern gemein sind zunächst alle sich auf
den kirchlichen Ritus beziehenden Wörter, da sie ja von Byzanz aus dem
Christentum zugeführt wurden und mit den Kulturformen auch deren Bezeich¬
nungen übernahmen.

In die engste Berührung mit den Griechen und infolge ihrer niedrigen
Kulturstufe stärkste Abhängigkeit von ihnen gerieten die — übrigens urver¬
wandten — Albanesen, die seit dem vierzehnten Jahrhundert in großer Zahl
in Griechenland eindrangen. Ihre Sprache zählt gegen neunhundert neu-


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[0223] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutige« Griechen Bezeichnend für die große Umwälzung in der Tracht ist es, daß sämtliche Bekleidungsstücke fremde Namen tragen, und zwar Hemd, Hose, Tuch, Pelz, Ärmel lateinische; Hut, Mütze, Kragen, Beinkleider, Überrock, Strumpf, Futter italienische; Frauenkleid, Weste, Tasche, Schuh türkische. Dagegen ist das Wort für „Anzug" im allgemeinen und für „Schneider" griechisch geblieben. Von andern Berufsnamen sind griechisch: Bueler, Müller, Gärtner, Fischer, Schiffer, Kutscher, Glaser, Maler, Lehrer, Arzt, Kaufmann. Lateinisch: Fleischer, Handwerksmann. Italienisch: Tischler, Stiefelputzer, Henker. Türkisch: Lastträger, Gemüsehändler, Gerber, Blechschmied, Schuster, Schlächter. Je mehr wir aus dem Kreise des höhern Kulturlebens hinabsteigen in die Niede¬ rungen des physischen, des Tier- und Pflanzenlebens, um so geringer wird die Mischung, um so stärker herrscht das griechische Element, ein deutlicher Beweis — wenn es eines solchen noch bedarf —, daß das griechische Volk zwar seit dem Beginn des Mittelalters aus der Reihe der Kulturvölker immer mehr ausgeschieden ist, ohne aber seine physische Existenz einzubüßen; vielmehr lebte es mit der Zähigkeit eines gesunden Naturvolks ungeschwücht weiter. Es erinnert, um einen Vergleich zu gebrauchen, an einen antiken Tempel, dessen Säulen, Gebälk und plastischen Schmuck zwar die Jahrhunderte zerstört haben, dessen Grundmauern aber noch fest und unerschüttert in der Erde ruhn, und die stark genug geblieben waren, einen neuen Oberbau aus fremdem Material zu tragen. Eine wie starke Physische Kraft das griechische Volk auch noch im Mittel¬ alter hatte, zeigt sich nicht nur daran, daß es so jugendkrnftige Völker wie Slawen und Albanesen assimilierte und schließlich aufsog, sondern noch mehr darin, daß es auf diese selben Völker einen guten Teil seines angestammten Sprachguts übertrug und sie somit aus der gänzlichen Unkultur zu einer ge¬ wissen Höhe primitiver Kultur führte. Alle nichtgriechischen Stämme der Valkanhalbinsel waren ja ursprünglich Glieder des großen byzantinischen Reichs und mußten daher an dessen Kultur Anteil haben. Es ist nun begreiflich, wenn sich in den Sprachen aller dieser Völker griechische Elemente als Zeug- nisse einer höhern Kultur festgesetzt und erhalten haben. Selbst die später eingefallnen Türken konnten sich diesem Einfluß nicht ganz entziehen, und so zeigt sich auch ihre Sprache mit griechischen Wörtern durchsetzt. sämtlichen christlichen Valkanvölkern gemein sind zunächst alle sich auf den kirchlichen Ritus beziehenden Wörter, da sie ja von Byzanz aus dem Christentum zugeführt wurden und mit den Kulturformen auch deren Bezeich¬ nungen übernahmen. In die engste Berührung mit den Griechen und infolge ihrer niedrigen Kulturstufe stärkste Abhängigkeit von ihnen gerieten die — übrigens urver¬ wandten — Albanesen, die seit dem vierzehnten Jahrhundert in großer Zahl in Griechenland eindrangen. Ihre Sprache zählt gegen neunhundert neu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/223>, abgerufen am 15.01.2025.