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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

zubereitete Fleisch aber mit dem französischen Namen bezeichnet wird, und wo
ebenfalls "Fleischer" durch das französische boueber sdutouer) ausgedrückt wird.
Die Türken standen also auch in dieser Beziehung zu den Griechen in einem
ähnlichen Verhältnis wie die Normannen zu den Angelsachsen.

Bei der bekannten Überlegenheit der Griechen im Handels- und Geld¬
wesen muß es zunächst befremden, wenn sie auch hier vielfach unter türkischer
oder vielmehr arabischer Flagge segeln -- denn die ganze orientalische Handels¬
praxis stammt von den Arabern, von denen sie die unspekulativen Türken erst
übernahmen --, während doch, wie wir sahen, die Venezianer ihre eigentlichen
Lehrmeister im Handel waren. Aber es kommt hierin eben jene häufiger zu
beobachtende eigentümliche Mittelstellung der Griechen zwischen Orient und
Occident zum Ausdruck, die sie bald zum Anschluß an jenen, bald an diesen
zwang, und die sich auch darin zu erkennen giebt, daß für manche Dinge
italienische und türkische Bezeichnungen zugleich im Gebrauch sind, z. V.
und für "Boot," "/rta^c,- und xml^xoc,- für "Truthahn," x"/!.r<7" und
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wörter im Handelswesen größtenteils auf die noch heute unter türkischer Herr¬
schaft stehenden Gebiete beschränkt. Allgemein durchgedrungen sind nur die
Münz- und Maßbezeichnungen ox<Z 2^ Kilo, ^"^"s kleine Geldmünze, im
Plural "Geld" überhaupt; ferner für Wechsler, Pfand, Vazar; trotzdem
kann man behaupten, daß die Griechen im Handel, besonders im Kleinhandel,
noch ganz Orientalen sind; schon ihr Grundsatz, daß Zeit nicht Geld ist,
macht sie dazu. Auch im Verkehrswesen ist der türkische Einfluß zu bemerken,
z. V. in den Wörtern für Absteigequartier, Herberge, Gast.

Ganz geringfügig sind, wie begreiflich, die Spuren des Türkischen im See¬
wesen. Außer einigen Bootsnamen, wie Ka'ik, Sandal, verdienen nur die
Namen zweier Winde Erwähnung, des Südwest- und der Jnselwinde lMcldemien).
Im Verwaltungs- und Kriegswesen ist der Einfluß der Türken stärker
und nachhaltiger gewesen. Besonders im Kriegswesen haben sie auf die Griechen
einen ähnlichen Einfluß ausgeübt wie im spätern Altertum die Römer. Die
ganze neuere Kriegführung und Ausrüstung haben sie von den Türken zuerst
übernommen, samt der Terminologie, und wenn diese auch offiziell beseitigt und
durch möglichst altgriechisch aussehende künstliche Bezeichnungen ersetzt worden
ist, so gebraucht man doch noch allgemein für Gewehr, Pulver, Patrone, Kugel
türkische Wörter, die daran erinnern, daß die Feuerwaffen den Griechen zuerst
durch die Türken bekannt wurden. Was aus der langen Zeit der türkischen
Verwaltung in der griechischen Sprache mich des freien Griechenland zurück¬
geblieben ist, sind nur wenige Spuren, die aber das ganze Verwaltungssystem
der Türkei vorzüglich charakterisieren: es sind die Worte sür Streit, Gewalt,
Schererei und Nepotismus!


Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

zubereitete Fleisch aber mit dem französischen Namen bezeichnet wird, und wo
ebenfalls „Fleischer" durch das französische boueber sdutouer) ausgedrückt wird.
Die Türken standen also auch in dieser Beziehung zu den Griechen in einem
ähnlichen Verhältnis wie die Normannen zu den Angelsachsen.

Bei der bekannten Überlegenheit der Griechen im Handels- und Geld¬
wesen muß es zunächst befremden, wenn sie auch hier vielfach unter türkischer
oder vielmehr arabischer Flagge segeln — denn die ganze orientalische Handels¬
praxis stammt von den Arabern, von denen sie die unspekulativen Türken erst
übernahmen —, während doch, wie wir sahen, die Venezianer ihre eigentlichen
Lehrmeister im Handel waren. Aber es kommt hierin eben jene häufiger zu
beobachtende eigentümliche Mittelstellung der Griechen zwischen Orient und
Occident zum Ausdruck, die sie bald zum Anschluß an jenen, bald an diesen
zwang, und die sich auch darin zu erkennen giebt, daß für manche Dinge
italienische und türkische Bezeichnungen zugleich im Gebrauch sind, z. V.
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kann man behaupten, daß die Griechen im Handel, besonders im Kleinhandel,
noch ganz Orientalen sind; schon ihr Grundsatz, daß Zeit nicht Geld ist,
macht sie dazu. Auch im Verkehrswesen ist der türkische Einfluß zu bemerken,
z. V. in den Wörtern für Absteigequartier, Herberge, Gast.

Ganz geringfügig sind, wie begreiflich, die Spuren des Türkischen im See¬
wesen. Außer einigen Bootsnamen, wie Ka'ik, Sandal, verdienen nur die
Namen zweier Winde Erwähnung, des Südwest- und der Jnselwinde lMcldemien).
Im Verwaltungs- und Kriegswesen ist der Einfluß der Türken stärker
und nachhaltiger gewesen. Besonders im Kriegswesen haben sie auf die Griechen
einen ähnlichen Einfluß ausgeübt wie im spätern Altertum die Römer. Die
ganze neuere Kriegführung und Ausrüstung haben sie von den Türken zuerst
übernommen, samt der Terminologie, und wenn diese auch offiziell beseitigt und
durch möglichst altgriechisch aussehende künstliche Bezeichnungen ersetzt worden
ist, so gebraucht man doch noch allgemein für Gewehr, Pulver, Patrone, Kugel
türkische Wörter, die daran erinnern, daß die Feuerwaffen den Griechen zuerst
durch die Türken bekannt wurden. Was aus der langen Zeit der türkischen
Verwaltung in der griechischen Sprache mich des freien Griechenland zurück¬
geblieben ist, sind nur wenige Spuren, die aber das ganze Verwaltungssystem
der Türkei vorzüglich charakterisieren: es sind die Worte sür Streit, Gewalt,
Schererei und Nepotismus!


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[0221] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen zubereitete Fleisch aber mit dem französischen Namen bezeichnet wird, und wo ebenfalls „Fleischer" durch das französische boueber sdutouer) ausgedrückt wird. Die Türken standen also auch in dieser Beziehung zu den Griechen in einem ähnlichen Verhältnis wie die Normannen zu den Angelsachsen. Bei der bekannten Überlegenheit der Griechen im Handels- und Geld¬ wesen muß es zunächst befremden, wenn sie auch hier vielfach unter türkischer oder vielmehr arabischer Flagge segeln — denn die ganze orientalische Handels¬ praxis stammt von den Arabern, von denen sie die unspekulativen Türken erst übernahmen —, während doch, wie wir sahen, die Venezianer ihre eigentlichen Lehrmeister im Handel waren. Aber es kommt hierin eben jene häufiger zu beobachtende eigentümliche Mittelstellung der Griechen zwischen Orient und Occident zum Ausdruck, die sie bald zum Anschluß an jenen, bald an diesen zwang, und die sich auch darin zu erkennen giebt, daß für manche Dinge italienische und türkische Bezeichnungen zugleich im Gebrauch sind, z. V. und für „Boot," »/rta^c,- und xml^xoc,- für „Truthahn," x«/!.r<7« und vo'in^et^t für „Strumpf," «^««'^t und i^ol^«?,.«, für „Schrank," ^«xx^/i,«^ und x«<7«?r^9 für „Fleischer" usw. Daher sind auch die türkisch-arabischen Lehn¬ wörter im Handelswesen größtenteils auf die noch heute unter türkischer Herr¬ schaft stehenden Gebiete beschränkt. Allgemein durchgedrungen sind nur die Münz- und Maßbezeichnungen ox<Z 2^ Kilo, ^«^«s kleine Geldmünze, im Plural „Geld" überhaupt; ferner für Wechsler, Pfand, Vazar; trotzdem kann man behaupten, daß die Griechen im Handel, besonders im Kleinhandel, noch ganz Orientalen sind; schon ihr Grundsatz, daß Zeit nicht Geld ist, macht sie dazu. Auch im Verkehrswesen ist der türkische Einfluß zu bemerken, z. V. in den Wörtern für Absteigequartier, Herberge, Gast. Ganz geringfügig sind, wie begreiflich, die Spuren des Türkischen im See¬ wesen. Außer einigen Bootsnamen, wie Ka'ik, Sandal, verdienen nur die Namen zweier Winde Erwähnung, des Südwest- und der Jnselwinde lMcldemien). Im Verwaltungs- und Kriegswesen ist der Einfluß der Türken stärker und nachhaltiger gewesen. Besonders im Kriegswesen haben sie auf die Griechen einen ähnlichen Einfluß ausgeübt wie im spätern Altertum die Römer. Die ganze neuere Kriegführung und Ausrüstung haben sie von den Türken zuerst übernommen, samt der Terminologie, und wenn diese auch offiziell beseitigt und durch möglichst altgriechisch aussehende künstliche Bezeichnungen ersetzt worden ist, so gebraucht man doch noch allgemein für Gewehr, Pulver, Patrone, Kugel türkische Wörter, die daran erinnern, daß die Feuerwaffen den Griechen zuerst durch die Türken bekannt wurden. Was aus der langen Zeit der türkischen Verwaltung in der griechischen Sprache mich des freien Griechenland zurück¬ geblieben ist, sind nur wenige Spuren, die aber das ganze Verwaltungssystem der Türkei vorzüglich charakterisieren: es sind die Worte sür Streit, Gewalt, Schererei und Nepotismus!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/221>, abgerufen am 15.01.2025.