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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

auf den Inseln getragen werden, für den Wassergürtel, die Tasche, sowie be¬
sonders für die mannigfachen Ober- und Unterkleider der Frauen und für
weibliche Schmucksachen, wie Halsband, Borte, Juwel, Halsschmuck usw. Auch
in der Ausstattung des Wohnhauses waren die Türken für die Griechen vor¬
bildlich geworden, was sich daraus erklärt, daß gerade zu der Zeit, wo die
meisten technischen Fortschritte im modernen Häuserbau gemacht wurden, die
Griechen schon dem occidentalischen Kulturkreise entfremdet und somit auf
türkische Vermittlung angewiesen waren anstatt der ältern italienischen. So
haben im neugriechischen solgende Teile des Hauses türkische Bezeichnung:
Flur, Decke, Rauchfang. Thürangel, Fensterscheibe. Von Gebrauchsgegen-
ständen sind zu nennen: Kessel, Feuerzange, Kohlenbecken, Schüssel, Tasse,
Deckel, Krug, Mörser, Kuchenblech sowie der Begriff Hausgerüt im allgemeinen.
Andrerseits werden wir später sehen, daß die Griechen ihrerseits in der Technik
des Hciuserrohbaus einen starken Einfluß sowohl auf die Türken wie auch
auf die übrigen Balkanvölker ausgeübt haben. Ebenso haben die Türken den
Griechen die Kenntnis mancher orientalischen Spiele und Musikinstrumente
vermittelt, wie des Schach- und Würfelspiels, der Zither, der Sackpfeife, der
Flöte, sowie auch bestimmter Arten von Liedern, der sogenannten g-irumes,
leidenschaftlicher Liebesklagen mit orientalischem Charakter, wie ja die ganze
volkstümliche Musik der heutigen Griechen und der übrigen Valkcmvölker
orientalisch ist.

Auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, in Handwerk und Handel
haben zwar die Griechen, namentlich im Handel, von jeher das Feld be¬
hauptet. Dennoch sind auch hier mehrere türkische Kunstausdrücke eingedrungen.
Für das Handwerk ist hierbei eine merkwürdige und bezeichnende Erscheinung zu
beobachten: während die Benennungen von Handwerksgeräten im allgemeinen
griechisch, zum Teil italienisch, fast nie aber türkisch sind, finden wir für die
Bezeichnung ganzer Handwerksberufe fast ausschließlich türkische Wörter, z. B.
für Fleischer, Blechschmied, Gerber, Schuhmacher, sowie für Gemüsehändler.
Das erklärt sich wohl zunächst daraus, daß der Grieche für schwere körper¬
liche und überhaupt niedere Arbeit (auch die Wörter für Lastträger und Fuhr¬
mann sind türkisch) wenig tauglich war, aus dem Handwerk einen Beruf
zu machen, sodann daraus, daß überhaupt Sinn und Bedürfnis der Griechen
für gewerkschaftliche Organisation und Zunftwesen sehr wenig entwickelt ist
(ist doch das Wort für "Zunft" selbst türkisch), endlich auch daraus, daß bei
der im ganzen und besonders in früherer Zeit noch herrschenden patriar¬
chalischen Wirtschaftsordnung aller Bedarf durch die Hausarbeit gedeckt wurde,
sodaß es zur Bildung besondrer Gewerbe erst unter türkischem Einfluß
kam, wo dann auch die türkische Berufsbezeichnung mit übernommen wurde.
Die Erscheinung ist also eine ganz ähnliche wie die früher besprochne, mit
dem Englischen verglichn?, wo das Tier mit dem einheimischen, das daraus


Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

auf den Inseln getragen werden, für den Wassergürtel, die Tasche, sowie be¬
sonders für die mannigfachen Ober- und Unterkleider der Frauen und für
weibliche Schmucksachen, wie Halsband, Borte, Juwel, Halsschmuck usw. Auch
in der Ausstattung des Wohnhauses waren die Türken für die Griechen vor¬
bildlich geworden, was sich daraus erklärt, daß gerade zu der Zeit, wo die
meisten technischen Fortschritte im modernen Häuserbau gemacht wurden, die
Griechen schon dem occidentalischen Kulturkreise entfremdet und somit auf
türkische Vermittlung angewiesen waren anstatt der ältern italienischen. So
haben im neugriechischen solgende Teile des Hauses türkische Bezeichnung:
Flur, Decke, Rauchfang. Thürangel, Fensterscheibe. Von Gebrauchsgegen-
ständen sind zu nennen: Kessel, Feuerzange, Kohlenbecken, Schüssel, Tasse,
Deckel, Krug, Mörser, Kuchenblech sowie der Begriff Hausgerüt im allgemeinen.
Andrerseits werden wir später sehen, daß die Griechen ihrerseits in der Technik
des Hciuserrohbaus einen starken Einfluß sowohl auf die Türken wie auch
auf die übrigen Balkanvölker ausgeübt haben. Ebenso haben die Türken den
Griechen die Kenntnis mancher orientalischen Spiele und Musikinstrumente
vermittelt, wie des Schach- und Würfelspiels, der Zither, der Sackpfeife, der
Flöte, sowie auch bestimmter Arten von Liedern, der sogenannten g-irumes,
leidenschaftlicher Liebesklagen mit orientalischem Charakter, wie ja die ganze
volkstümliche Musik der heutigen Griechen und der übrigen Valkcmvölker
orientalisch ist.

Auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, in Handwerk und Handel
haben zwar die Griechen, namentlich im Handel, von jeher das Feld be¬
hauptet. Dennoch sind auch hier mehrere türkische Kunstausdrücke eingedrungen.
Für das Handwerk ist hierbei eine merkwürdige und bezeichnende Erscheinung zu
beobachten: während die Benennungen von Handwerksgeräten im allgemeinen
griechisch, zum Teil italienisch, fast nie aber türkisch sind, finden wir für die
Bezeichnung ganzer Handwerksberufe fast ausschließlich türkische Wörter, z. B.
für Fleischer, Blechschmied, Gerber, Schuhmacher, sowie für Gemüsehändler.
Das erklärt sich wohl zunächst daraus, daß der Grieche für schwere körper¬
liche und überhaupt niedere Arbeit (auch die Wörter für Lastträger und Fuhr¬
mann sind türkisch) wenig tauglich war, aus dem Handwerk einen Beruf
zu machen, sodann daraus, daß überhaupt Sinn und Bedürfnis der Griechen
für gewerkschaftliche Organisation und Zunftwesen sehr wenig entwickelt ist
(ist doch das Wort für „Zunft" selbst türkisch), endlich auch daraus, daß bei
der im ganzen und besonders in früherer Zeit noch herrschenden patriar¬
chalischen Wirtschaftsordnung aller Bedarf durch die Hausarbeit gedeckt wurde,
sodaß es zur Bildung besondrer Gewerbe erst unter türkischem Einfluß
kam, wo dann auch die türkische Berufsbezeichnung mit übernommen wurde.
Die Erscheinung ist also eine ganz ähnliche wie die früher besprochne, mit
dem Englischen verglichn?, wo das Tier mit dem einheimischen, das daraus


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[0220] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen auf den Inseln getragen werden, für den Wassergürtel, die Tasche, sowie be¬ sonders für die mannigfachen Ober- und Unterkleider der Frauen und für weibliche Schmucksachen, wie Halsband, Borte, Juwel, Halsschmuck usw. Auch in der Ausstattung des Wohnhauses waren die Türken für die Griechen vor¬ bildlich geworden, was sich daraus erklärt, daß gerade zu der Zeit, wo die meisten technischen Fortschritte im modernen Häuserbau gemacht wurden, die Griechen schon dem occidentalischen Kulturkreise entfremdet und somit auf türkische Vermittlung angewiesen waren anstatt der ältern italienischen. So haben im neugriechischen solgende Teile des Hauses türkische Bezeichnung: Flur, Decke, Rauchfang. Thürangel, Fensterscheibe. Von Gebrauchsgegen- ständen sind zu nennen: Kessel, Feuerzange, Kohlenbecken, Schüssel, Tasse, Deckel, Krug, Mörser, Kuchenblech sowie der Begriff Hausgerüt im allgemeinen. Andrerseits werden wir später sehen, daß die Griechen ihrerseits in der Technik des Hciuserrohbaus einen starken Einfluß sowohl auf die Türken wie auch auf die übrigen Balkanvölker ausgeübt haben. Ebenso haben die Türken den Griechen die Kenntnis mancher orientalischen Spiele und Musikinstrumente vermittelt, wie des Schach- und Würfelspiels, der Zither, der Sackpfeife, der Flöte, sowie auch bestimmter Arten von Liedern, der sogenannten g-irumes, leidenschaftlicher Liebesklagen mit orientalischem Charakter, wie ja die ganze volkstümliche Musik der heutigen Griechen und der übrigen Valkcmvölker orientalisch ist. Auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, in Handwerk und Handel haben zwar die Griechen, namentlich im Handel, von jeher das Feld be¬ hauptet. Dennoch sind auch hier mehrere türkische Kunstausdrücke eingedrungen. Für das Handwerk ist hierbei eine merkwürdige und bezeichnende Erscheinung zu beobachten: während die Benennungen von Handwerksgeräten im allgemeinen griechisch, zum Teil italienisch, fast nie aber türkisch sind, finden wir für die Bezeichnung ganzer Handwerksberufe fast ausschließlich türkische Wörter, z. B. für Fleischer, Blechschmied, Gerber, Schuhmacher, sowie für Gemüsehändler. Das erklärt sich wohl zunächst daraus, daß der Grieche für schwere körper¬ liche und überhaupt niedere Arbeit (auch die Wörter für Lastträger und Fuhr¬ mann sind türkisch) wenig tauglich war, aus dem Handwerk einen Beruf zu machen, sodann daraus, daß überhaupt Sinn und Bedürfnis der Griechen für gewerkschaftliche Organisation und Zunftwesen sehr wenig entwickelt ist (ist doch das Wort für „Zunft" selbst türkisch), endlich auch daraus, daß bei der im ganzen und besonders in früherer Zeit noch herrschenden patriar¬ chalischen Wirtschaftsordnung aller Bedarf durch die Hausarbeit gedeckt wurde, sodaß es zur Bildung besondrer Gewerbe erst unter türkischem Einfluß kam, wo dann auch die türkische Berufsbezeichnung mit übernommen wurde. Die Erscheinung ist also eine ganz ähnliche wie die früher besprochne, mit dem Englischen verglichn?, wo das Tier mit dem einheimischen, das daraus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/220>, abgerufen am 15.01.2025.