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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen
Uarl vieterich von (Schluß)

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^AR"iMx-ie wenig die Griechen des Mittelalters es auch in der Führung
des häuslichen Lebeus zu einer eignen Kultur gebracht hatten,
haben wir schon bei der Besprechung der italienischen Entleh¬
nungen aus diesem Gebiete gesehen. Nun kommt von der
andern Seite das Türkische dazu. Und gerade im häuslichen
Leben tritt der türkische Kultureinfluß besonders stark hervor in Bezeich¬
nungen für Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, häusliche Einrichtung und Geräte.
Der Grieche ist äußerst müßig im Essen und Trinken und war es im
Mittelalter offenbar noch mehr; er konnte daher aus sich selbst heraus nie
die raffinierte Vielseitigkeit in der Zubereitung kulinarischer Genüsse entwickeln,
wie wir sie bei den Türken und überhaupt den Vollorientalen finden. Wollte
er daher seinen Küchenzettel bereichern, so mußte er bei den Türken in die
Lehre gehen und alle die Speisen und ihre Bezeichnungen entlehnen, in deren
Herstellung sie Meister sind, also vor allem die verschiednen Fleischspeisen und
Süßigkeiten. Das ist denn auch in reichlichem Maße geschehen, und man
kaun sagen, daß die griechische Küche mindestens zu zwei Dritteln aus tür¬
kischen und nur zu einem Drittel aus europäischen Gerichten besteht. Man
könnte angesichts dessen mit Parodierung eines bekannten Verses ausrufen:
"Ein guter griech'scher Mann mag keinen Türken leiden, doch seine Speisen
ißt er gern."

Besonders charakteristisch ist der türkische Einfluß auf die nationale Tracht
der Griechen, die jetzt natürlich nur noch bei der Landbevölkerung zu finden
ist. Überhaupt ist das neugriechische Kostüm das Gebiet, auf dem mit den
Überlieferungen der Antike am gründlichsten aufgeräumt worden ist. Nicht ein
einziges altgriechisches Wort sür ein Kleidungsstück ist uus bekannt, vielmehr
finden sich für europäische Kleidung lateinische und italienische, für einheimische
slawische und türkische Wörter.

So sind türkisch die Namen für verschiedne orientalische Stoffe wie Damast,
Tastet, Saffian, Filz; für Schuhe, den Fez, die Pluderhosen, wie sie namentlich




Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen
Uarl vieterich von (Schluß)

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^AR»iMx-ie wenig die Griechen des Mittelalters es auch in der Führung
des häuslichen Lebeus zu einer eignen Kultur gebracht hatten,
haben wir schon bei der Besprechung der italienischen Entleh¬
nungen aus diesem Gebiete gesehen. Nun kommt von der
andern Seite das Türkische dazu. Und gerade im häuslichen
Leben tritt der türkische Kultureinfluß besonders stark hervor in Bezeich¬
nungen für Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, häusliche Einrichtung und Geräte.
Der Grieche ist äußerst müßig im Essen und Trinken und war es im
Mittelalter offenbar noch mehr; er konnte daher aus sich selbst heraus nie
die raffinierte Vielseitigkeit in der Zubereitung kulinarischer Genüsse entwickeln,
wie wir sie bei den Türken und überhaupt den Vollorientalen finden. Wollte
er daher seinen Küchenzettel bereichern, so mußte er bei den Türken in die
Lehre gehen und alle die Speisen und ihre Bezeichnungen entlehnen, in deren
Herstellung sie Meister sind, also vor allem die verschiednen Fleischspeisen und
Süßigkeiten. Das ist denn auch in reichlichem Maße geschehen, und man
kaun sagen, daß die griechische Küche mindestens zu zwei Dritteln aus tür¬
kischen und nur zu einem Drittel aus europäischen Gerichten besteht. Man
könnte angesichts dessen mit Parodierung eines bekannten Verses ausrufen:
„Ein guter griech'scher Mann mag keinen Türken leiden, doch seine Speisen
ißt er gern."

Besonders charakteristisch ist der türkische Einfluß auf die nationale Tracht
der Griechen, die jetzt natürlich nur noch bei der Landbevölkerung zu finden
ist. Überhaupt ist das neugriechische Kostüm das Gebiet, auf dem mit den
Überlieferungen der Antike am gründlichsten aufgeräumt worden ist. Nicht ein
einziges altgriechisches Wort sür ein Kleidungsstück ist uus bekannt, vielmehr
finden sich für europäische Kleidung lateinische und italienische, für einheimische
slawische und türkische Wörter.

So sind türkisch die Namen für verschiedne orientalische Stoffe wie Damast,
Tastet, Saffian, Filz; für Schuhe, den Fez, die Pluderhosen, wie sie namentlich


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[0219] [Abbildung] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen Uarl vieterich von (Schluß) MW„ L< ^AR»iMx-ie wenig die Griechen des Mittelalters es auch in der Führung des häuslichen Lebeus zu einer eignen Kultur gebracht hatten, haben wir schon bei der Besprechung der italienischen Entleh¬ nungen aus diesem Gebiete gesehen. Nun kommt von der andern Seite das Türkische dazu. Und gerade im häuslichen Leben tritt der türkische Kultureinfluß besonders stark hervor in Bezeich¬ nungen für Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, häusliche Einrichtung und Geräte. Der Grieche ist äußerst müßig im Essen und Trinken und war es im Mittelalter offenbar noch mehr; er konnte daher aus sich selbst heraus nie die raffinierte Vielseitigkeit in der Zubereitung kulinarischer Genüsse entwickeln, wie wir sie bei den Türken und überhaupt den Vollorientalen finden. Wollte er daher seinen Küchenzettel bereichern, so mußte er bei den Türken in die Lehre gehen und alle die Speisen und ihre Bezeichnungen entlehnen, in deren Herstellung sie Meister sind, also vor allem die verschiednen Fleischspeisen und Süßigkeiten. Das ist denn auch in reichlichem Maße geschehen, und man kaun sagen, daß die griechische Küche mindestens zu zwei Dritteln aus tür¬ kischen und nur zu einem Drittel aus europäischen Gerichten besteht. Man könnte angesichts dessen mit Parodierung eines bekannten Verses ausrufen: „Ein guter griech'scher Mann mag keinen Türken leiden, doch seine Speisen ißt er gern." Besonders charakteristisch ist der türkische Einfluß auf die nationale Tracht der Griechen, die jetzt natürlich nur noch bei der Landbevölkerung zu finden ist. Überhaupt ist das neugriechische Kostüm das Gebiet, auf dem mit den Überlieferungen der Antike am gründlichsten aufgeräumt worden ist. Nicht ein einziges altgriechisches Wort sür ein Kleidungsstück ist uus bekannt, vielmehr finden sich für europäische Kleidung lateinische und italienische, für einheimische slawische und türkische Wörter. So sind türkisch die Namen für verschiedne orientalische Stoffe wie Damast, Tastet, Saffian, Filz; für Schuhe, den Fez, die Pluderhosen, wie sie namentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/219>, abgerufen am 15.01.2025.