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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

der deutschen Staatswissenschaft in eine akute politische Frage an, und dieses Ein¬
greifen muß unumwunden als höchst ungeschickt und verfehlt bezeichnet werden.
Auf die historische eaptg-dio dsnevolöntias, mit der er begann, ist nichts
weiter zu sagen. Mögen sich die liberalen Wirtschafts- und Sozialpolitiker
mit ihr abfinden.

Schmoller hat zur Sache zunächst erklärt, sein Ziel für die fernere Zu¬
kunft sei ganz dasselbe, wie das des Grafen vonMirbach: "Wir müssen aus
diesem Zustande der Kämpfe, Störungen, gegenseitigen Schädigungen, ans
dieser Hereinziehung Unbeteiligter in die Lohnkümpfe der Streitenden mit der
Zeit herauszukommen suchen." Er hat weiter gesagt: "Über das Einzelne der
Gesctzesvorlage lasse ich vollständig mit mir sprechen. Ich gebe vollständig
zu, daß sast sämtliche Paragraphen der Gesetzesvorlage diskutabel find." --
Und doch würde er, wie er bekannte, als Mitglied des Reichstags mit der
Majorität gestimmt, d. h. das Ersuchen der verbündeten Regierungen, mit
ihnen über den grundsätzlichen Inhalt der Vorlage zu diskutieren, schroff ab¬
gelehnt haben.

Wie hat er diese Stellung begründet? -- Unmittelbar allein durch die
in verschiednen Variationen wiederholte Behauptung: die Vorlage müsse von
den Arbeitern als eine Ungerechtigkeit empfunden werden; sie sei gewiß in der
besten Absicht geplant, aber sie habe einen "falschen Schein" erweckt, und auch
"mit solchem Scheine müsse man bei den Massen, bei den Millionen rechnen";
die Negierung habe den "Schein" nicht vermieden, als ob sie mehr und über-
wiegend im Interesse der Unternehmer die Feder geführt habe als im Inter-
esse der Gesamtheit und der Arbeiter, und diesen "Schein" beklage er tief; der
Minister Vrefeld habe im Reichstage den Kartellen der Unternehmer ein
"wahres Loblied" gesungen, was er (Schmoller) in einer Richtung wohl unter¬
schreiben könne. Aber die Kartelle hätten doch auch ihre Schattenseiten. Wenn
die Negierung wenigstens nur einmal gesagt Hütte: Das verurteilen wir ebenso
wie die Schattenseiten der Arbeiterkoalitionen, und wir werden versuchen, da¬
gegen ebenso eine Gesetzgebung zu erlassen, so würde er schon über die Vor¬
lage "etwas andres empfunden" haben. Aber hier habe man nur Licht, dort
nur Schatten gesehen, und so habe der Unbefangne die Empfindung, es werde
mit ungleichem Maße gemessen, und solange dieser "Schein" existiere, könne
er nur mit der Neichstagsmehrheit stimmen.

Ist zunächst die Ausbeutung eines aus der Rede des Ministers Vrefeld
herausgegrisfnen, in der Bekämpfung der Masse unmotivierter Angriffe der
Opposition gelegentlich abgegebnen Urteils über gewisse Seiten der Unter¬
nehmerkartelle zu dem hier von Schmoller gewollten Zweck eine, gelinde gesagt,
unbegreifliche Unzulässigkeit, so stellt sich überhaupt das ganze Manöver gegen
den "Schein," den die Verbündeten Regierungen hätten vermeiden follen, als
eine bei den Haaren herbeigezogne Ausrede dar, als ein bewußtes Verlegen-
heitsmanöver der Fronde, die sich allzu tief und auffällig ins Unrecht gesetzt


Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

der deutschen Staatswissenschaft in eine akute politische Frage an, und dieses Ein¬
greifen muß unumwunden als höchst ungeschickt und verfehlt bezeichnet werden.
Auf die historische eaptg-dio dsnevolöntias, mit der er begann, ist nichts
weiter zu sagen. Mögen sich die liberalen Wirtschafts- und Sozialpolitiker
mit ihr abfinden.

Schmoller hat zur Sache zunächst erklärt, sein Ziel für die fernere Zu¬
kunft sei ganz dasselbe, wie das des Grafen vonMirbach: „Wir müssen aus
diesem Zustande der Kämpfe, Störungen, gegenseitigen Schädigungen, ans
dieser Hereinziehung Unbeteiligter in die Lohnkümpfe der Streitenden mit der
Zeit herauszukommen suchen." Er hat weiter gesagt: „Über das Einzelne der
Gesctzesvorlage lasse ich vollständig mit mir sprechen. Ich gebe vollständig
zu, daß sast sämtliche Paragraphen der Gesetzesvorlage diskutabel find." —
Und doch würde er, wie er bekannte, als Mitglied des Reichstags mit der
Majorität gestimmt, d. h. das Ersuchen der verbündeten Regierungen, mit
ihnen über den grundsätzlichen Inhalt der Vorlage zu diskutieren, schroff ab¬
gelehnt haben.

Wie hat er diese Stellung begründet? — Unmittelbar allein durch die
in verschiednen Variationen wiederholte Behauptung: die Vorlage müsse von
den Arbeitern als eine Ungerechtigkeit empfunden werden; sie sei gewiß in der
besten Absicht geplant, aber sie habe einen „falschen Schein" erweckt, und auch
„mit solchem Scheine müsse man bei den Massen, bei den Millionen rechnen";
die Negierung habe den „Schein" nicht vermieden, als ob sie mehr und über-
wiegend im Interesse der Unternehmer die Feder geführt habe als im Inter-
esse der Gesamtheit und der Arbeiter, und diesen „Schein" beklage er tief; der
Minister Vrefeld habe im Reichstage den Kartellen der Unternehmer ein
„wahres Loblied" gesungen, was er (Schmoller) in einer Richtung wohl unter¬
schreiben könne. Aber die Kartelle hätten doch auch ihre Schattenseiten. Wenn
die Negierung wenigstens nur einmal gesagt Hütte: Das verurteilen wir ebenso
wie die Schattenseiten der Arbeiterkoalitionen, und wir werden versuchen, da¬
gegen ebenso eine Gesetzgebung zu erlassen, so würde er schon über die Vor¬
lage „etwas andres empfunden" haben. Aber hier habe man nur Licht, dort
nur Schatten gesehen, und so habe der Unbefangne die Empfindung, es werde
mit ungleichem Maße gemessen, und solange dieser „Schein" existiere, könne
er nur mit der Neichstagsmehrheit stimmen.

Ist zunächst die Ausbeutung eines aus der Rede des Ministers Vrefeld
herausgegrisfnen, in der Bekämpfung der Masse unmotivierter Angriffe der
Opposition gelegentlich abgegebnen Urteils über gewisse Seiten der Unter¬
nehmerkartelle zu dem hier von Schmoller gewollten Zweck eine, gelinde gesagt,
unbegreifliche Unzulässigkeit, so stellt sich überhaupt das ganze Manöver gegen
den „Schein," den die Verbündeten Regierungen hätten vermeiden follen, als
eine bei den Haaren herbeigezogne Ausrede dar, als ein bewußtes Verlegen-
heitsmanöver der Fronde, die sich allzu tief und auffällig ins Unrecht gesetzt


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[0216] Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage der deutschen Staatswissenschaft in eine akute politische Frage an, und dieses Ein¬ greifen muß unumwunden als höchst ungeschickt und verfehlt bezeichnet werden. Auf die historische eaptg-dio dsnevolöntias, mit der er begann, ist nichts weiter zu sagen. Mögen sich die liberalen Wirtschafts- und Sozialpolitiker mit ihr abfinden. Schmoller hat zur Sache zunächst erklärt, sein Ziel für die fernere Zu¬ kunft sei ganz dasselbe, wie das des Grafen vonMirbach: „Wir müssen aus diesem Zustande der Kämpfe, Störungen, gegenseitigen Schädigungen, ans dieser Hereinziehung Unbeteiligter in die Lohnkümpfe der Streitenden mit der Zeit herauszukommen suchen." Er hat weiter gesagt: „Über das Einzelne der Gesctzesvorlage lasse ich vollständig mit mir sprechen. Ich gebe vollständig zu, daß sast sämtliche Paragraphen der Gesetzesvorlage diskutabel find." — Und doch würde er, wie er bekannte, als Mitglied des Reichstags mit der Majorität gestimmt, d. h. das Ersuchen der verbündeten Regierungen, mit ihnen über den grundsätzlichen Inhalt der Vorlage zu diskutieren, schroff ab¬ gelehnt haben. Wie hat er diese Stellung begründet? — Unmittelbar allein durch die in verschiednen Variationen wiederholte Behauptung: die Vorlage müsse von den Arbeitern als eine Ungerechtigkeit empfunden werden; sie sei gewiß in der besten Absicht geplant, aber sie habe einen „falschen Schein" erweckt, und auch „mit solchem Scheine müsse man bei den Massen, bei den Millionen rechnen"; die Negierung habe den „Schein" nicht vermieden, als ob sie mehr und über- wiegend im Interesse der Unternehmer die Feder geführt habe als im Inter- esse der Gesamtheit und der Arbeiter, und diesen „Schein" beklage er tief; der Minister Vrefeld habe im Reichstage den Kartellen der Unternehmer ein „wahres Loblied" gesungen, was er (Schmoller) in einer Richtung wohl unter¬ schreiben könne. Aber die Kartelle hätten doch auch ihre Schattenseiten. Wenn die Negierung wenigstens nur einmal gesagt Hütte: Das verurteilen wir ebenso wie die Schattenseiten der Arbeiterkoalitionen, und wir werden versuchen, da¬ gegen ebenso eine Gesetzgebung zu erlassen, so würde er schon über die Vor¬ lage „etwas andres empfunden" haben. Aber hier habe man nur Licht, dort nur Schatten gesehen, und so habe der Unbefangne die Empfindung, es werde mit ungleichem Maße gemessen, und solange dieser „Schein" existiere, könne er nur mit der Neichstagsmehrheit stimmen. Ist zunächst die Ausbeutung eines aus der Rede des Ministers Vrefeld herausgegrisfnen, in der Bekämpfung der Masse unmotivierter Angriffe der Opposition gelegentlich abgegebnen Urteils über gewisse Seiten der Unter¬ nehmerkartelle zu dem hier von Schmoller gewollten Zweck eine, gelinde gesagt, unbegreifliche Unzulässigkeit, so stellt sich überhaupt das ganze Manöver gegen den „Schein," den die Verbündeten Regierungen hätten vermeiden follen, als eine bei den Haaren herbeigezogne Ausrede dar, als ein bewußtes Verlegen- heitsmanöver der Fronde, die sich allzu tief und auffällig ins Unrecht gesetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/216>, abgerufen am 15.01.2025.