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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

das einfach den Kriegszustand, die Anarchie in WLniwm sanktioniere", denn
auf die Quadratur des Zirkels kann man nicht warten, oder eben einfach die
bestehende "Wirtschaftsordnung" durch eine ausgesprochen sozialistische, sei es
eine sozialdemokratische, sei es eine sozialdespotische oder sozialzünftlerische
zu ersetzen. Das aber wäre ein ziemlich gleichwertiger "Umsturz," mit dem
weder eine konservative, noch eine liberale das Gemeinwohl im Auge behaltende
Regierung heute rechnen könnte.

Sehr beachtenswert ist es schließlich noch, daß von den ernsthaft zu
nehmenden kathedersozialistischen Professoren 1897 in Köln die Angriffe gegen
die Handhabung der Gesetze durch die Gerichte, worin sich namentlich Dr. Jastrow
auszeichnete und sich die Entrüsteten im Reichstag 1899 ganz besonders
ergingen, sehr energisch zurückgewiesen wurden. Professor Gierke sagte u. a.
darüber: "Dem Herrn or. Jastrow und seinen maßlosen Übertreibungen muß
ich entschieden entgegentreten. Er hat die ganze Frage verschoben, er schiebt
in allen wesentlichen Punkten die beklagte Ungerechtigkeit auf die Rechtsprechung,
er hat dem Oberverwaltnngsgericht, dem Kammergericht ungerechte Urteile vor¬
geworfen und das begründet durch Zerfaserung einzelner Nechtsfälle, die hier
zu erörtern schlechthin nicht mehr die Zeit ist. . . . Herr Dr. Jastrow hat
sogar die bei Anwendung des § 153 der Gewerbeordnung möglichen Er¬
kenntnisse ausgemalt, lauter Schreckbilder dessen ausgeführt, was ein unver¬
ständiger Richter alles aus dem Gesetz heraus interpretieren kann. Und auf
diese Beispiele hat er das Urteil gegründet, daß in Deutschland und speziell
in Preußen eine Klassenjustiz bestünde." -- Auch Professor Löning legte dem
Verein ans Herz: "Wenn wir die Autorität unsrer Gerichte untergraben,
untergraben wir die Grundlagen des Staats." Und doch erging sich die
Neichstagsmehrheit vom 19. bis 22. Juni d. I. fortgesetzt in Schmähungen
gegen die deutschen Richter.

Spricht man von der Stellung der deutscheu Staatswissenschaft zu der
Entrüstungskomödie im Reichstag, so kann man die Rede Schmollers im
preußischen Herrenhause vom 5. Juli uicht ganz mit Stillschweigen übergehn.
Daß das Herrenhaus durch den Antrag des Grafen Mirbach und Genossen
überhaupt veranlaßt worden ist, in die Sache hineinzurede", hat mir insofern
ein Interesse, als es zeigt, wie schnell die preußische Reaktion bei der Hand
ist, wenn es gilt, einen Bockstreich des deutschen Liberalismus dazu auszu¬
nutzen, um den verbündeten Fürsten zu Gemüte zu führen, daß eine mo¬
narchische Regierung nur von der Junker Gnaden leben könne. Hoffentlich
wird es sich hier bewahrheiten: "Man merkt die Absicht, u"d ma" ist ver¬
stimmt."

Was die Rede Schmollers betrifft, so soll ans ihr nicht ans die Be¬
deutung und die ""streitig hohen Verdienste des Redners als Sozial- und
Wirtschaftshistorivgraphe" irgend ein unfreundlicher Schluß gezogen werden,
es kommt hier vielmehr auf sein Eingreifen als eines hervorragenden Vertreters


Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage

das einfach den Kriegszustand, die Anarchie in WLniwm sanktioniere», denn
auf die Quadratur des Zirkels kann man nicht warten, oder eben einfach die
bestehende „Wirtschaftsordnung" durch eine ausgesprochen sozialistische, sei es
eine sozialdemokratische, sei es eine sozialdespotische oder sozialzünftlerische
zu ersetzen. Das aber wäre ein ziemlich gleichwertiger „Umsturz," mit dem
weder eine konservative, noch eine liberale das Gemeinwohl im Auge behaltende
Regierung heute rechnen könnte.

Sehr beachtenswert ist es schließlich noch, daß von den ernsthaft zu
nehmenden kathedersozialistischen Professoren 1897 in Köln die Angriffe gegen
die Handhabung der Gesetze durch die Gerichte, worin sich namentlich Dr. Jastrow
auszeichnete und sich die Entrüsteten im Reichstag 1899 ganz besonders
ergingen, sehr energisch zurückgewiesen wurden. Professor Gierke sagte u. a.
darüber: „Dem Herrn or. Jastrow und seinen maßlosen Übertreibungen muß
ich entschieden entgegentreten. Er hat die ganze Frage verschoben, er schiebt
in allen wesentlichen Punkten die beklagte Ungerechtigkeit auf die Rechtsprechung,
er hat dem Oberverwaltnngsgericht, dem Kammergericht ungerechte Urteile vor¬
geworfen und das begründet durch Zerfaserung einzelner Nechtsfälle, die hier
zu erörtern schlechthin nicht mehr die Zeit ist. . . . Herr Dr. Jastrow hat
sogar die bei Anwendung des § 153 der Gewerbeordnung möglichen Er¬
kenntnisse ausgemalt, lauter Schreckbilder dessen ausgeführt, was ein unver¬
ständiger Richter alles aus dem Gesetz heraus interpretieren kann. Und auf
diese Beispiele hat er das Urteil gegründet, daß in Deutschland und speziell
in Preußen eine Klassenjustiz bestünde." — Auch Professor Löning legte dem
Verein ans Herz: „Wenn wir die Autorität unsrer Gerichte untergraben,
untergraben wir die Grundlagen des Staats." Und doch erging sich die
Neichstagsmehrheit vom 19. bis 22. Juni d. I. fortgesetzt in Schmähungen
gegen die deutschen Richter.

Spricht man von der Stellung der deutscheu Staatswissenschaft zu der
Entrüstungskomödie im Reichstag, so kann man die Rede Schmollers im
preußischen Herrenhause vom 5. Juli uicht ganz mit Stillschweigen übergehn.
Daß das Herrenhaus durch den Antrag des Grafen Mirbach und Genossen
überhaupt veranlaßt worden ist, in die Sache hineinzurede», hat mir insofern
ein Interesse, als es zeigt, wie schnell die preußische Reaktion bei der Hand
ist, wenn es gilt, einen Bockstreich des deutschen Liberalismus dazu auszu¬
nutzen, um den verbündeten Fürsten zu Gemüte zu führen, daß eine mo¬
narchische Regierung nur von der Junker Gnaden leben könne. Hoffentlich
wird es sich hier bewahrheiten: „Man merkt die Absicht, u»d ma» ist ver¬
stimmt."

Was die Rede Schmollers betrifft, so soll ans ihr nicht ans die Be¬
deutung und die „»streitig hohen Verdienste des Redners als Sozial- und
Wirtschaftshistorivgraphe» irgend ein unfreundlicher Schluß gezogen werden,
es kommt hier vielmehr auf sein Eingreifen als eines hervorragenden Vertreters


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/215>, abgerufen am 15.01.2025.