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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Vor Lchutz der Arbeitswilligen im Reichstage

um die Arbeiter am Streik festzuhalten und in den Streik hineinzuziehen? Es
mag ein Streik noch so berechtigt sein -- ich will hier nicht untersuchen, ob
der Hamburger Streik berechtigt war oder nicht; ich glaube, daß er in sich
berechtigt war, aber ohne genügende Vorbereitung und nicht zur rechten Zeit
begonnen worden ist --, so müssen doch die Arbeiter gegen Zwang, gegen Ver¬
rufserklärungen, gegen Belästigungen und Einschüchterungen geschützt sein.
Der Arbeiter muß frei sein in der Entschließung, ob er sich an den Streik
anschließen will oder nicht, er soll nicht, auch nicht durch indirekte Mittel,
dazu gezwungen werden dürfen." Natürlich müßten die Arbeiter auch gegen
solche Einwirkungen der Arbeitgeber geschützt werden. Er glaube nicht, daß
es dem wahren Interesse der Großindustrie entsprechen würde, wenn den
Arbeitgebern die Möglichkeit gegeben wäre, die Koalitionsfreiheit thatsächlich
zu beschränken.

Auch könne die Koalitionsfreiheit nicht in dem Sinne unbeschränkt sein,
als allen Klassen der Arbeiter ohne Unterschied Koalitions- oder, besser gesagt,
Streikfreiheit zu gewähren sei. Es sei z. B. unmöglich, der Schiffsmannschaft
auf der Fahrt diese Freiheit einzuräumen. Auch für die Eisenbahnarbeiter
könne die Frage aufgeworfen werden. Es handle sich dabei nicht um die
Interessen der Eisenbahnunternehmer, sondern um ein "großes öffentliches
Interesse.^)

Entschieden wies Professor Löning im Schlußwort noch den Einwand
zurück: die Arbeiter selbst wollten von dem Schutz der Arbeitswilligen nichts
wissen. Um sich darüber Klarheit zu verschaffen, dürfe man nicht in die
Arbeiterversammlungen gehn, sondern müsse, wie er vielfach gethan habe,
während eines großen Streiks die einzelnen Arbeiter fragen und namentlich
die Frauen; dann werde man, manchmal mit bittern Thränen, darüber klagen
hören, daß sie uur durch den Druck, der auf sie ausgeübt werde, genötigt
seien, nicht zu arbeiten.



Es sei hier bemerkt, daß Löning das englische Gesetz von 1875 ausdrücklich als harter
und umfassender bezeichnete als das deutsche Recht, indem nach ihm auch auf "harte Zwangs¬
arbeit (ü-M Ilchour) erkannt werden darf, die nach deutschem Recht nur mit der Zuchthausstrafe
verbunden ist," und ferner nicht nur, wie im deutschen Recht, der Zwang an "Verabredungen"
teilzunehmen oder die Verhinderung, davon zurückzutreten, unter Strafe gestellt ist, sondern der
sich danach strafbar mach-, der in der Absicht, eine andre Person zu einer Handlung oder Unter¬
lassung zu nötigen: "1. gegen sie oder ihre Ehefrau oder Kinder Gewalt anwendet oder sie
einschüchtert oder ihr Vermögen beschädigt; oder 2, ihr beständig von Ort zu Ort folgt; oder
3. Werkzeuge, Kleidungsstücke oder andre Sachen, die dieser Person gehören oder von ihr ge¬
braucht werden, verbirgt oder ihr wegnimmt, oder sie um ihrem Gebrauch hindert; oder 4. das
Haus oder andre Plätze, wo sie wohnt oder arbeitet oder Geschäfte betreibt oder zufällig sich
befindet, oder den Zugang zu einem solchen Haus oder Platz bewacht oder besetzt; oder ihr
mit zwei oder mehreren Personen in ungehöriger Weise auf oder durch Straßen und Wege
folgt/'
Vor Lchutz der Arbeitswilligen im Reichstage

um die Arbeiter am Streik festzuhalten und in den Streik hineinzuziehen? Es
mag ein Streik noch so berechtigt sein — ich will hier nicht untersuchen, ob
der Hamburger Streik berechtigt war oder nicht; ich glaube, daß er in sich
berechtigt war, aber ohne genügende Vorbereitung und nicht zur rechten Zeit
begonnen worden ist —, so müssen doch die Arbeiter gegen Zwang, gegen Ver¬
rufserklärungen, gegen Belästigungen und Einschüchterungen geschützt sein.
Der Arbeiter muß frei sein in der Entschließung, ob er sich an den Streik
anschließen will oder nicht, er soll nicht, auch nicht durch indirekte Mittel,
dazu gezwungen werden dürfen." Natürlich müßten die Arbeiter auch gegen
solche Einwirkungen der Arbeitgeber geschützt werden. Er glaube nicht, daß
es dem wahren Interesse der Großindustrie entsprechen würde, wenn den
Arbeitgebern die Möglichkeit gegeben wäre, die Koalitionsfreiheit thatsächlich
zu beschränken.

Auch könne die Koalitionsfreiheit nicht in dem Sinne unbeschränkt sein,
als allen Klassen der Arbeiter ohne Unterschied Koalitions- oder, besser gesagt,
Streikfreiheit zu gewähren sei. Es sei z. B. unmöglich, der Schiffsmannschaft
auf der Fahrt diese Freiheit einzuräumen. Auch für die Eisenbahnarbeiter
könne die Frage aufgeworfen werden. Es handle sich dabei nicht um die
Interessen der Eisenbahnunternehmer, sondern um ein „großes öffentliches
Interesse.^)

Entschieden wies Professor Löning im Schlußwort noch den Einwand
zurück: die Arbeiter selbst wollten von dem Schutz der Arbeitswilligen nichts
wissen. Um sich darüber Klarheit zu verschaffen, dürfe man nicht in die
Arbeiterversammlungen gehn, sondern müsse, wie er vielfach gethan habe,
während eines großen Streiks die einzelnen Arbeiter fragen und namentlich
die Frauen; dann werde man, manchmal mit bittern Thränen, darüber klagen
hören, daß sie uur durch den Druck, der auf sie ausgeübt werde, genötigt
seien, nicht zu arbeiten.



Es sei hier bemerkt, daß Löning das englische Gesetz von 1875 ausdrücklich als harter
und umfassender bezeichnete als das deutsche Recht, indem nach ihm auch auf „harte Zwangs¬
arbeit (ü-M Ilchour) erkannt werden darf, die nach deutschem Recht nur mit der Zuchthausstrafe
verbunden ist," und ferner nicht nur, wie im deutschen Recht, der Zwang an „Verabredungen"
teilzunehmen oder die Verhinderung, davon zurückzutreten, unter Strafe gestellt ist, sondern der
sich danach strafbar mach-, der in der Absicht, eine andre Person zu einer Handlung oder Unter¬
lassung zu nötigen: „1. gegen sie oder ihre Ehefrau oder Kinder Gewalt anwendet oder sie
einschüchtert oder ihr Vermögen beschädigt; oder 2, ihr beständig von Ort zu Ort folgt; oder
3. Werkzeuge, Kleidungsstücke oder andre Sachen, die dieser Person gehören oder von ihr ge¬
braucht werden, verbirgt oder ihr wegnimmt, oder sie um ihrem Gebrauch hindert; oder 4. das
Haus oder andre Plätze, wo sie wohnt oder arbeitet oder Geschäfte betreibt oder zufällig sich
befindet, oder den Zugang zu einem solchen Haus oder Platz bewacht oder besetzt; oder ihr
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[0211] Vor Lchutz der Arbeitswilligen im Reichstage um die Arbeiter am Streik festzuhalten und in den Streik hineinzuziehen? Es mag ein Streik noch so berechtigt sein — ich will hier nicht untersuchen, ob der Hamburger Streik berechtigt war oder nicht; ich glaube, daß er in sich berechtigt war, aber ohne genügende Vorbereitung und nicht zur rechten Zeit begonnen worden ist —, so müssen doch die Arbeiter gegen Zwang, gegen Ver¬ rufserklärungen, gegen Belästigungen und Einschüchterungen geschützt sein. Der Arbeiter muß frei sein in der Entschließung, ob er sich an den Streik anschließen will oder nicht, er soll nicht, auch nicht durch indirekte Mittel, dazu gezwungen werden dürfen." Natürlich müßten die Arbeiter auch gegen solche Einwirkungen der Arbeitgeber geschützt werden. Er glaube nicht, daß es dem wahren Interesse der Großindustrie entsprechen würde, wenn den Arbeitgebern die Möglichkeit gegeben wäre, die Koalitionsfreiheit thatsächlich zu beschränken. Auch könne die Koalitionsfreiheit nicht in dem Sinne unbeschränkt sein, als allen Klassen der Arbeiter ohne Unterschied Koalitions- oder, besser gesagt, Streikfreiheit zu gewähren sei. Es sei z. B. unmöglich, der Schiffsmannschaft auf der Fahrt diese Freiheit einzuräumen. Auch für die Eisenbahnarbeiter könne die Frage aufgeworfen werden. Es handle sich dabei nicht um die Interessen der Eisenbahnunternehmer, sondern um ein „großes öffentliches Interesse.^) Entschieden wies Professor Löning im Schlußwort noch den Einwand zurück: die Arbeiter selbst wollten von dem Schutz der Arbeitswilligen nichts wissen. Um sich darüber Klarheit zu verschaffen, dürfe man nicht in die Arbeiterversammlungen gehn, sondern müsse, wie er vielfach gethan habe, während eines großen Streiks die einzelnen Arbeiter fragen und namentlich die Frauen; dann werde man, manchmal mit bittern Thränen, darüber klagen hören, daß sie uur durch den Druck, der auf sie ausgeübt werde, genötigt seien, nicht zu arbeiten. Es sei hier bemerkt, daß Löning das englische Gesetz von 1875 ausdrücklich als harter und umfassender bezeichnete als das deutsche Recht, indem nach ihm auch auf „harte Zwangs¬ arbeit (ü-M Ilchour) erkannt werden darf, die nach deutschem Recht nur mit der Zuchthausstrafe verbunden ist," und ferner nicht nur, wie im deutschen Recht, der Zwang an „Verabredungen" teilzunehmen oder die Verhinderung, davon zurückzutreten, unter Strafe gestellt ist, sondern der sich danach strafbar mach-, der in der Absicht, eine andre Person zu einer Handlung oder Unter¬ lassung zu nötigen: „1. gegen sie oder ihre Ehefrau oder Kinder Gewalt anwendet oder sie einschüchtert oder ihr Vermögen beschädigt; oder 2, ihr beständig von Ort zu Ort folgt; oder 3. Werkzeuge, Kleidungsstücke oder andre Sachen, die dieser Person gehören oder von ihr ge¬ braucht werden, verbirgt oder ihr wegnimmt, oder sie um ihrem Gebrauch hindert; oder 4. das Haus oder andre Plätze, wo sie wohnt oder arbeitet oder Geschäfte betreibt oder zufällig sich befindet, oder den Zugang zu einem solchen Haus oder Platz bewacht oder besetzt; oder ihr mit zwei oder mehreren Personen in ungehöriger Weise auf oder durch Straßen und Wege folgt/'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/211>, abgerufen am 15.01.2025.