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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Australien und die deutsche Aolonialbemegnng

als daß es jedem Landansiedler gesetzlich erlaubt ist, sich im kostbaren Hoch¬
walde Siidwestaustraliens nach Belieben hundertsechzig Morgen Land aus¬
zusuchen, diese wenn notwendig mit Geldvorschuß der Regierung anzubauen
und dann nach sechs Jahren eine solche Heimstätte (doiruzsts^ä) sein eigen zu
nennen? Und das ohne irgend welche Pachtzahlung, lediglich mit der Ver¬
pflichtung, seinen Grund und Boden nach australischer Wirtschaftsmethode
allmählich wirklich nutzbar zu machen! So milde Erwerbsbedingungen, die
mehr einer Schenkung gleichen, kann nur eine Negierung bieten, der an einem
Zuwachs ihrer Bevölkerung 5 Wut xrix gelegen ist. Auch Nordamerika machte
einst ähnliche Anerbietungen, und die Nachkommen derer, die sie annahmen,
sind heute wohlhabende und einflußreiche Leute, wenn auch jenseits des
Ozeans.

Seien wir doch nicht chauvinistisch blind gegen uns selbst! Aus unsern
deutschen Kolonien kann mir allenfalls der Großkaufmann seinen Nutzen ziehen;
für den Mittel- und Arbeiterstand des deutscheu Volkes aber sind sie so gut
wie wertlos. Wo Fiebcrklima und Neger Hausen , wird der deutsche Hand¬
werker, Bauer und Arbeiter niemals festen Fuß fassete können; dem Chinesen
aber es an Bedürfnislosigkeit gleich thun, das ist keinem deutschen Manne ge¬
geben, der nicht für Gehalt, sondern gegen Tagelohn arbeitet. Auch der
Versuch einer Germanisierung unsers südwestafrikanischeu Küstenstrichs ist von
vornherein verfehlt. Die Bodenverhältnisse sind dort so dürftig, daß ich nicht
auszurechnen wage, wie hoch sich die Kosten für einen jeden Morgen kulturbar
gemachten Landes belaufen werden; dazu die nimmer rastenden Zwistigkeiten
und Guerillakriege mit den eingebornen Völkerschaften. Wie soll der deutsche
Landmann da in Frieden leben, und ein friedliches Dasein ist fast der einzige
Wunsch seiner Seele.

So liegen die Dinge; wer sie anders beurteilt, spricht aus Unkenntnis
oder aus Vorurteil.

Während der Jahrzehnte, in denen die Vereinigten Staaten unsern Volks¬
überschuß aufnahmen, war Deutschland in Kleinstaaterei zerrissen. Als aber
das junge Deutsche Reich auferstand, bedürfte es aller Stnatskunst, die äußere
Einigung bis zur innerlichen Verschmelzung durchzuführen. Es war keine Zeit,
auch kein Geld vorhanden, für die Wohlfahrt der Auswandrer und für deren
fernere Verbindung mit der Heimat von Staats wegen einzutreten. Inzwischen
aber ist die Verschmelzung der Deutschen -- so weit es möglich ist -- zur
Thatsache geworden, und die politische Machtstellung des Deutschen Reichs
ist damit einflußreicher geworden, als sie es je zuvor war. Nun erst ist die
Möglichkeit gegeben, uns auch der Landesbrüder anzunehmen, die ihr Deutsch¬
tum noch im Auslande so gern fortsetzen würden. Verstehe ich die gegen¬
wärtige Kolonialbewegung in der alten Heimat recht, so liegt ihr in Wahrheit
doch auch nur der heiße Patriotenwunsch zu Grunde, die Deutschen nicht mehr


Australien und die deutsche Aolonialbemegnng

als daß es jedem Landansiedler gesetzlich erlaubt ist, sich im kostbaren Hoch¬
walde Siidwestaustraliens nach Belieben hundertsechzig Morgen Land aus¬
zusuchen, diese wenn notwendig mit Geldvorschuß der Regierung anzubauen
und dann nach sechs Jahren eine solche Heimstätte (doiruzsts^ä) sein eigen zu
nennen? Und das ohne irgend welche Pachtzahlung, lediglich mit der Ver¬
pflichtung, seinen Grund und Boden nach australischer Wirtschaftsmethode
allmählich wirklich nutzbar zu machen! So milde Erwerbsbedingungen, die
mehr einer Schenkung gleichen, kann nur eine Negierung bieten, der an einem
Zuwachs ihrer Bevölkerung 5 Wut xrix gelegen ist. Auch Nordamerika machte
einst ähnliche Anerbietungen, und die Nachkommen derer, die sie annahmen,
sind heute wohlhabende und einflußreiche Leute, wenn auch jenseits des
Ozeans.

Seien wir doch nicht chauvinistisch blind gegen uns selbst! Aus unsern
deutschen Kolonien kann mir allenfalls der Großkaufmann seinen Nutzen ziehen;
für den Mittel- und Arbeiterstand des deutscheu Volkes aber sind sie so gut
wie wertlos. Wo Fiebcrklima und Neger Hausen , wird der deutsche Hand¬
werker, Bauer und Arbeiter niemals festen Fuß fassete können; dem Chinesen
aber es an Bedürfnislosigkeit gleich thun, das ist keinem deutschen Manne ge¬
geben, der nicht für Gehalt, sondern gegen Tagelohn arbeitet. Auch der
Versuch einer Germanisierung unsers südwestafrikanischeu Küstenstrichs ist von
vornherein verfehlt. Die Bodenverhältnisse sind dort so dürftig, daß ich nicht
auszurechnen wage, wie hoch sich die Kosten für einen jeden Morgen kulturbar
gemachten Landes belaufen werden; dazu die nimmer rastenden Zwistigkeiten
und Guerillakriege mit den eingebornen Völkerschaften. Wie soll der deutsche
Landmann da in Frieden leben, und ein friedliches Dasein ist fast der einzige
Wunsch seiner Seele.

So liegen die Dinge; wer sie anders beurteilt, spricht aus Unkenntnis
oder aus Vorurteil.

Während der Jahrzehnte, in denen die Vereinigten Staaten unsern Volks¬
überschuß aufnahmen, war Deutschland in Kleinstaaterei zerrissen. Als aber
das junge Deutsche Reich auferstand, bedürfte es aller Stnatskunst, die äußere
Einigung bis zur innerlichen Verschmelzung durchzuführen. Es war keine Zeit,
auch kein Geld vorhanden, für die Wohlfahrt der Auswandrer und für deren
fernere Verbindung mit der Heimat von Staats wegen einzutreten. Inzwischen
aber ist die Verschmelzung der Deutschen — so weit es möglich ist — zur
Thatsache geworden, und die politische Machtstellung des Deutschen Reichs
ist damit einflußreicher geworden, als sie es je zuvor war. Nun erst ist die
Möglichkeit gegeben, uns auch der Landesbrüder anzunehmen, die ihr Deutsch¬
tum noch im Auslande so gern fortsetzen würden. Verstehe ich die gegen¬
wärtige Kolonialbewegung in der alten Heimat recht, so liegt ihr in Wahrheit
doch auch nur der heiße Patriotenwunsch zu Grunde, die Deutschen nicht mehr


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[0206] Australien und die deutsche Aolonialbemegnng als daß es jedem Landansiedler gesetzlich erlaubt ist, sich im kostbaren Hoch¬ walde Siidwestaustraliens nach Belieben hundertsechzig Morgen Land aus¬ zusuchen, diese wenn notwendig mit Geldvorschuß der Regierung anzubauen und dann nach sechs Jahren eine solche Heimstätte (doiruzsts^ä) sein eigen zu nennen? Und das ohne irgend welche Pachtzahlung, lediglich mit der Ver¬ pflichtung, seinen Grund und Boden nach australischer Wirtschaftsmethode allmählich wirklich nutzbar zu machen! So milde Erwerbsbedingungen, die mehr einer Schenkung gleichen, kann nur eine Negierung bieten, der an einem Zuwachs ihrer Bevölkerung 5 Wut xrix gelegen ist. Auch Nordamerika machte einst ähnliche Anerbietungen, und die Nachkommen derer, die sie annahmen, sind heute wohlhabende und einflußreiche Leute, wenn auch jenseits des Ozeans. Seien wir doch nicht chauvinistisch blind gegen uns selbst! Aus unsern deutschen Kolonien kann mir allenfalls der Großkaufmann seinen Nutzen ziehen; für den Mittel- und Arbeiterstand des deutscheu Volkes aber sind sie so gut wie wertlos. Wo Fiebcrklima und Neger Hausen , wird der deutsche Hand¬ werker, Bauer und Arbeiter niemals festen Fuß fassete können; dem Chinesen aber es an Bedürfnislosigkeit gleich thun, das ist keinem deutschen Manne ge¬ geben, der nicht für Gehalt, sondern gegen Tagelohn arbeitet. Auch der Versuch einer Germanisierung unsers südwestafrikanischeu Küstenstrichs ist von vornherein verfehlt. Die Bodenverhältnisse sind dort so dürftig, daß ich nicht auszurechnen wage, wie hoch sich die Kosten für einen jeden Morgen kulturbar gemachten Landes belaufen werden; dazu die nimmer rastenden Zwistigkeiten und Guerillakriege mit den eingebornen Völkerschaften. Wie soll der deutsche Landmann da in Frieden leben, und ein friedliches Dasein ist fast der einzige Wunsch seiner Seele. So liegen die Dinge; wer sie anders beurteilt, spricht aus Unkenntnis oder aus Vorurteil. Während der Jahrzehnte, in denen die Vereinigten Staaten unsern Volks¬ überschuß aufnahmen, war Deutschland in Kleinstaaterei zerrissen. Als aber das junge Deutsche Reich auferstand, bedürfte es aller Stnatskunst, die äußere Einigung bis zur innerlichen Verschmelzung durchzuführen. Es war keine Zeit, auch kein Geld vorhanden, für die Wohlfahrt der Auswandrer und für deren fernere Verbindung mit der Heimat von Staats wegen einzutreten. Inzwischen aber ist die Verschmelzung der Deutschen — so weit es möglich ist — zur Thatsache geworden, und die politische Machtstellung des Deutschen Reichs ist damit einflußreicher geworden, als sie es je zuvor war. Nun erst ist die Möglichkeit gegeben, uns auch der Landesbrüder anzunehmen, die ihr Deutsch¬ tum noch im Auslande so gern fortsetzen würden. Verstehe ich die gegen¬ wärtige Kolonialbewegung in der alten Heimat recht, so liegt ihr in Wahrheit doch auch nur der heiße Patriotenwunsch zu Grunde, die Deutschen nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/206>, abgerufen am 15.01.2025.