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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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atmen leichter, freier hier, wie die dünne Luft des Südens es durchaus
wünschenswert macht. Was wir dagegen aufs schmerzlichste vermissen, das
sind die Menschen mit deutscher Verstandes- und Gemütsbildung, das ist der
Zauber einer imtnrfrischen deutschen Geselligkeit, die deutsche Ausdauer und die
Gewissenhaftigkeit -- Güter, deren vollen Wert man erst im Auslande wür¬
digen lernt.

Schon einmal, vor 1450 Jahren, ist England bekanntlich durch urdeutsches
Angeln- und Sachsenblnt aufgefrischt worden. Damals konnte dies freilich
nur mittels roher Gewalt geschehen; in unserm Zeitalter aber ist ein andres,
ein besseres Mittel gehste". Bekanntlich verlangen alle australischen Regie¬
rungen nach deutscher Einwanderung. Würde die Reichsregierung diesem Be¬
dürfnisse in zweckmäßiger Weise entsprechen, würde sie die Auswanderung nach
Australien nicht aus militärischen und iunerpolitischeu Gründen hemmen,
sondern ihr freie Bahn geben, ja mehr als dies, sie wirksam unterstützen --
eine so geleitete Auswanderung müßte ein Segen werden sowohl für die Aus-
wandrer selbst wie mittelbar für das ganze Reich.

In wohlerwogner Vereinbarung mit den australischen Regierungen wären
geschlossene deutsche Ansiedlungen auf gutem australischen Boden leicht zu ver¬
wirklichen. Alle unsre deutschen Großstädte beherbergen Hunderte von Laud-
wirtssvhnen, die zwar selbst den Acker nicht mehr durchfurchen, in deren Adern
aber das Landmanusblut noch fortrollt. Diese, jedenfalls soweit sie als Gro߬
stadtproletarier vegetieren, sind in ihres Herzens Grunde doch nicht befriedigt
von dem Großstadttrubel; bewußt oder unbewußt sehnen sie sich doch zurück
uach der Erdscholle, aus der sie hervorgegangen sind. Dem landwirtschaft¬
lichen Berufe daheim verloren, würden aber gerade sie für ein neues Land¬
mannsleben im Auslande wie geschaffen sein. Außerdem gehört eine große
Zahl von ihnen ganz zweifellos zu den Unzufriednen, von denen eine förder¬
liche Mitarbeit am Ausbau des Deutschen Reichs kaum erwartet werden darf.
Ohne sie für immer zu verlieren, könnte eine weitsichtige Regierung sie ohne
große Kosten ans australischen oder südafrikanischen Boden verpflanzen, wo
sie als Menschen, als Deutsche neue Wurzeln schlagen würden, salls man
sie dort nicht im Stiche ließe, sondern ihnen weitere Mitarbeiter deutschen
Blutes nachsendete.

Von Kolonialvcreinen und vereinzelten Philanthropen kann ein ebenso
wichtiges wie folgenschweres Unternehmen nicht durchgeführt werden; nur unter
der Mitwirkung der Reichsregierung ist einer solchen deutschen Auswanderung
ein dauernder Erfolg gesichert. Die australischen Regierungen als der be¬
gehrende Teil würden sich zweifellos zu den allergünstigsten Konzessionen den
unter Neichsschutz ausgesandten Einwandrern gegenüber verstehn. Hier in
Westaustralien z. B. und ebenso in Queensland sind die Landanstedlungsgesetze
die liberalsten, die je bekannt geworden sind. Oder kann man mehr erwarten,


atmen leichter, freier hier, wie die dünne Luft des Südens es durchaus
wünschenswert macht. Was wir dagegen aufs schmerzlichste vermissen, das
sind die Menschen mit deutscher Verstandes- und Gemütsbildung, das ist der
Zauber einer imtnrfrischen deutschen Geselligkeit, die deutsche Ausdauer und die
Gewissenhaftigkeit — Güter, deren vollen Wert man erst im Auslande wür¬
digen lernt.

Schon einmal, vor 1450 Jahren, ist England bekanntlich durch urdeutsches
Angeln- und Sachsenblnt aufgefrischt worden. Damals konnte dies freilich
nur mittels roher Gewalt geschehen; in unserm Zeitalter aber ist ein andres,
ein besseres Mittel gehste«. Bekanntlich verlangen alle australischen Regie¬
rungen nach deutscher Einwanderung. Würde die Reichsregierung diesem Be¬
dürfnisse in zweckmäßiger Weise entsprechen, würde sie die Auswanderung nach
Australien nicht aus militärischen und iunerpolitischeu Gründen hemmen,
sondern ihr freie Bahn geben, ja mehr als dies, sie wirksam unterstützen —
eine so geleitete Auswanderung müßte ein Segen werden sowohl für die Aus-
wandrer selbst wie mittelbar für das ganze Reich.

In wohlerwogner Vereinbarung mit den australischen Regierungen wären
geschlossene deutsche Ansiedlungen auf gutem australischen Boden leicht zu ver¬
wirklichen. Alle unsre deutschen Großstädte beherbergen Hunderte von Laud-
wirtssvhnen, die zwar selbst den Acker nicht mehr durchfurchen, in deren Adern
aber das Landmanusblut noch fortrollt. Diese, jedenfalls soweit sie als Gro߬
stadtproletarier vegetieren, sind in ihres Herzens Grunde doch nicht befriedigt
von dem Großstadttrubel; bewußt oder unbewußt sehnen sie sich doch zurück
uach der Erdscholle, aus der sie hervorgegangen sind. Dem landwirtschaft¬
lichen Berufe daheim verloren, würden aber gerade sie für ein neues Land¬
mannsleben im Auslande wie geschaffen sein. Außerdem gehört eine große
Zahl von ihnen ganz zweifellos zu den Unzufriednen, von denen eine förder¬
liche Mitarbeit am Ausbau des Deutschen Reichs kaum erwartet werden darf.
Ohne sie für immer zu verlieren, könnte eine weitsichtige Regierung sie ohne
große Kosten ans australischen oder südafrikanischen Boden verpflanzen, wo
sie als Menschen, als Deutsche neue Wurzeln schlagen würden, salls man
sie dort nicht im Stiche ließe, sondern ihnen weitere Mitarbeiter deutschen
Blutes nachsendete.

Von Kolonialvcreinen und vereinzelten Philanthropen kann ein ebenso
wichtiges wie folgenschweres Unternehmen nicht durchgeführt werden; nur unter
der Mitwirkung der Reichsregierung ist einer solchen deutschen Auswanderung
ein dauernder Erfolg gesichert. Die australischen Regierungen als der be¬
gehrende Teil würden sich zweifellos zu den allergünstigsten Konzessionen den
unter Neichsschutz ausgesandten Einwandrern gegenüber verstehn. Hier in
Westaustralien z. B. und ebenso in Queensland sind die Landanstedlungsgesetze
die liberalsten, die je bekannt geworden sind. Oder kann man mehr erwarten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/205>, abgerufen am 15.01.2025.