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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Australien und die deutsche Rolonialvewegung

australische Negierung, das Geld zu allen größern Wirtschaftsaufgaben durch
Anleihen zu beschaffen; der natürliche Geldmarkt dafür ist das Mutterland,
vor allem London. Es ist daher wirklich nicht übertrieben, wenn man sagt,
daß der wirtschaftliche Fortschritt Australiens von der Gnade des englischen
Kapitals abhängt. Mau wird es aber andrerseits begreifen, daß der Londoner
Börse ein rascher Aufschwung der australischen Kolonien durchaus nicht er¬
wünscht ist, da sich mit dem zunehmenden Wohlstande Australiens zuerst
natürlich seine Industrie entwickeln würde. Nein, der englischen Regierung
sowohl wie den Bankiers und Exporteuren Altenglands sind die gegen¬
wärtigen Zustände auf dem südlichen Kontinent, insbesondre auch die hohen
Lohne dort durchaus nach Wunsch. Ein politisch oder gar wirtschaftlich freies
Australien ist schon aus diesen Gründe" vorerst eine Unmöglichkeit.

Nur eine ganz wesentliche Verstärkung der eignen Bevölkerung kann
Anstralien aus seiner jetzigen Ohnmacht befreien, gerade wie dies mit den Ver¬
einigten Staaten der Fall geworden ist. In der Kolonialgeschichte scheint es
eben ein Naturgesetz zu sein, daß die Mutter ihre Kinder füttert, bis diese
kräftig genug geworden sind, das Joch der Bevormundung abzuschütteln und
sich auf eigne Füße zu stellen. Das bisher kultivierte Australien stellt ein
Landgebiet mindestens von der sechsfacher Größe Deutschlands dar und wird
doch kaum von vier Millionen Menschen bewohnt! Ist dies ein auch nur an¬
nähernd richtiges Verhältnis? Alles Land unterhalb des dreißigsten Breiten¬
grades sowie Tasmania und Neuseeland haben eine solche Ertragfähigkeit des
Bodens, daß dort heute schon an sechs Millionen Arbeitsamer ihr Brot finden
könnten. Wir Deutschen sind nun seit jeher überall willkommne Einwandrer
gewesen, obwohl wir -- oder vielmehr weil wir meist nur unsre Arbeitskraft
mitbrachten^ So wurde der Deutsche genötigt, sich auf dem Lande anzusiedeln
und Ackerbau zu treibe". Südaustralien insbesondre gesteht es freimütig zu,
daß es den deutschen Bauern seine hochentwickelte Landwirtschaft verdankt; aber
auch in den übrigen Kolonien sowohl des Festlandes wie der Inseln sind die
wirtschaftliche Begabung, der unermüdliche Fleiß und die Genügsamkeit des
Deutschen allseits geschützt. Seit kurzem machen namentlich die Regierungen
von Queensland und Western Australia alle Anstrengungen, deutsche Land¬
ansiedler heranzuziehen, und in beiden Kolonien ist in den regnerischen und
daher fruchtbaren Südstrichen noch Raum für Tausende unsrer Landsleute, die
arbeiten wollen.

Eine planmäßige Übersiedlung von Deutschen nach Anstralien hat leider
erst zweimal stattgefunden, damals nämlich, als in den vierziger Jahren alt->
lutherische Geistliche ihre mit der protestantischen Union nicht einverstandnen
Gemeinden nach Südaustralien verpflanzten. Der Erfolg war ein durch¬
schlagender. Denn uur in dieser australischen Kolonie hat sich das Deutschtum
zu erhalten vermocht. Dort in der Umgebung Adelaides sind deutsche Städte


Australien und die deutsche Rolonialvewegung

australische Negierung, das Geld zu allen größern Wirtschaftsaufgaben durch
Anleihen zu beschaffen; der natürliche Geldmarkt dafür ist das Mutterland,
vor allem London. Es ist daher wirklich nicht übertrieben, wenn man sagt,
daß der wirtschaftliche Fortschritt Australiens von der Gnade des englischen
Kapitals abhängt. Mau wird es aber andrerseits begreifen, daß der Londoner
Börse ein rascher Aufschwung der australischen Kolonien durchaus nicht er¬
wünscht ist, da sich mit dem zunehmenden Wohlstande Australiens zuerst
natürlich seine Industrie entwickeln würde. Nein, der englischen Regierung
sowohl wie den Bankiers und Exporteuren Altenglands sind die gegen¬
wärtigen Zustände auf dem südlichen Kontinent, insbesondre auch die hohen
Lohne dort durchaus nach Wunsch. Ein politisch oder gar wirtschaftlich freies
Australien ist schon aus diesen Gründe» vorerst eine Unmöglichkeit.

Nur eine ganz wesentliche Verstärkung der eignen Bevölkerung kann
Anstralien aus seiner jetzigen Ohnmacht befreien, gerade wie dies mit den Ver¬
einigten Staaten der Fall geworden ist. In der Kolonialgeschichte scheint es
eben ein Naturgesetz zu sein, daß die Mutter ihre Kinder füttert, bis diese
kräftig genug geworden sind, das Joch der Bevormundung abzuschütteln und
sich auf eigne Füße zu stellen. Das bisher kultivierte Australien stellt ein
Landgebiet mindestens von der sechsfacher Größe Deutschlands dar und wird
doch kaum von vier Millionen Menschen bewohnt! Ist dies ein auch nur an¬
nähernd richtiges Verhältnis? Alles Land unterhalb des dreißigsten Breiten¬
grades sowie Tasmania und Neuseeland haben eine solche Ertragfähigkeit des
Bodens, daß dort heute schon an sechs Millionen Arbeitsamer ihr Brot finden
könnten. Wir Deutschen sind nun seit jeher überall willkommne Einwandrer
gewesen, obwohl wir — oder vielmehr weil wir meist nur unsre Arbeitskraft
mitbrachten^ So wurde der Deutsche genötigt, sich auf dem Lande anzusiedeln
und Ackerbau zu treibe». Südaustralien insbesondre gesteht es freimütig zu,
daß es den deutschen Bauern seine hochentwickelte Landwirtschaft verdankt; aber
auch in den übrigen Kolonien sowohl des Festlandes wie der Inseln sind die
wirtschaftliche Begabung, der unermüdliche Fleiß und die Genügsamkeit des
Deutschen allseits geschützt. Seit kurzem machen namentlich die Regierungen
von Queensland und Western Australia alle Anstrengungen, deutsche Land¬
ansiedler heranzuziehen, und in beiden Kolonien ist in den regnerischen und
daher fruchtbaren Südstrichen noch Raum für Tausende unsrer Landsleute, die
arbeiten wollen.

Eine planmäßige Übersiedlung von Deutschen nach Anstralien hat leider
erst zweimal stattgefunden, damals nämlich, als in den vierziger Jahren alt->
lutherische Geistliche ihre mit der protestantischen Union nicht einverstandnen
Gemeinden nach Südaustralien verpflanzten. Der Erfolg war ein durch¬
schlagender. Denn uur in dieser australischen Kolonie hat sich das Deutschtum
zu erhalten vermocht. Dort in der Umgebung Adelaides sind deutsche Städte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/202>, abgerufen am 15.01.2025.