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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

ziere und Mannschaft nach erprobten Erfahrungen eingefügt sind, mit einer
leitenden Spitze, mit voller Beherrschung der Technik und Taktik und mit
klarem Bewußtsein über die strategischen Notwendigkeiten.

Wenn der Kampf zwischen Großbritannien und dem ganzen europäischen
Kontinente bestünde, hätte England mit Ausnahme von Ostasien überall sonst die
Hände frei; es könnte seine Flotte aus allen Weltgegenden in die europäischen
Gewässer des Atlantik werfen, und selbst wenn die europäische Seeunion
über mehr Schiffe und Geschütze verfügen sollte, wäre diese ruäis inäi-
g'vLtÄguv inolös an Schlagkraft und Zielsicherheit viel schwächer als die
britische Seestreitmacht. Von der Eventualität einer Landung auf dem
Boden des Vereinigten Königreichs -- die ein "Ade!" für England bedeuten
könnte -- würde jedoch überhaupt erst die Rede sein dürfen, wenn die eng¬
lische Flotte vernichtet ist; es genügt nicht, sie zu "beschäftigen," um dann
gewissermaßen hiutenhernm eine Invasion in Feindesland zu vollführen. Auch
nur eine geringe Anzahl englischer Kriegsschiffe reicht hin, jeden Lauduugs-
versuch zu stören. Japan hat seine Truppen nicht eher auf das Festland von
Korea zum Einbruch in die Mandschurei werfen können, als bis es nach der
Schlacht am Jaluflusse die Seewege frei beherrschte. Und selbst wenn es ge¬
länge, einige hunderttausend Mann glücklich nach England zu bringen -- wozu
eben auch einige hundert große Transportdampfer gleichzeitig notwendig
wären --, so wären diese von der Verbindung mit der Heimat abgeschnitten
und ohne sichernden Rückhalt einem erbitterten Kampfe preisgegeben, wenn nicht
die Seeherrschaft in den Händen des vereinigten festländischen Europas wäre.

Wir würden, wie gesagt, bei der Kritik derartiger Projekte gar nicht
verweilen, wenn nicht die Gefahr bestünde, daß dadurch das richtige Ziel unsrer
Politik in den Augen der Massen verschleiert oder verrückt werden könnte.
Wer unzulängliche oder unzutreffende Maßnahmen vorschlägt, dient nur den
Gegnern und Feinden einer gesunden und kräftigen Entwicklung von Deutsch¬
lands Weltmacht, die auf einer starken Flotte noch mehr als auf seiner Land¬
macht ruht. Es ist ein Irrtum von verhängnisvoller Tragweite, wenn man
glaubt, daß auch die weiseste Staatskunst ohne die entsprechenden Machtmittel
die Zukunft eines großen Reiches sichern könnte. Gewiß vermag eine geschickte
Hand die Steine auf dem Schachbrett in günstige Konstellation zu bringe".
Man kann durch kluge Benutzung der Umstände und Personen Rivalen schaffen,
denen gegenüber man die Entscheidung in der Hand hält. Man kann durch
Bündnisse seine eigne Position verstärken und den Gegner isolieren. Aber am
letzten Ende versagen alle diplomatischen Künste, zuletzt geht doch immer hart
auf hart, und dann gilt in der Welt allein die Macht und nichts andres.
Niemand hat dies mehr gewußt und hat mehr danach gehandelt als der größte
Staatsmann aller Zeiten, Fürst Bismarck. Er stand fest zum Könige, als es
das Schwert zu schmieden und zu schürfen galt, das für Kaiserreich und


Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

ziere und Mannschaft nach erprobten Erfahrungen eingefügt sind, mit einer
leitenden Spitze, mit voller Beherrschung der Technik und Taktik und mit
klarem Bewußtsein über die strategischen Notwendigkeiten.

Wenn der Kampf zwischen Großbritannien und dem ganzen europäischen
Kontinente bestünde, hätte England mit Ausnahme von Ostasien überall sonst die
Hände frei; es könnte seine Flotte aus allen Weltgegenden in die europäischen
Gewässer des Atlantik werfen, und selbst wenn die europäische Seeunion
über mehr Schiffe und Geschütze verfügen sollte, wäre diese ruäis inäi-
g'vLtÄguv inolös an Schlagkraft und Zielsicherheit viel schwächer als die
britische Seestreitmacht. Von der Eventualität einer Landung auf dem
Boden des Vereinigten Königreichs — die ein „Ade!" für England bedeuten
könnte — würde jedoch überhaupt erst die Rede sein dürfen, wenn die eng¬
lische Flotte vernichtet ist; es genügt nicht, sie zu „beschäftigen," um dann
gewissermaßen hiutenhernm eine Invasion in Feindesland zu vollführen. Auch
nur eine geringe Anzahl englischer Kriegsschiffe reicht hin, jeden Lauduugs-
versuch zu stören. Japan hat seine Truppen nicht eher auf das Festland von
Korea zum Einbruch in die Mandschurei werfen können, als bis es nach der
Schlacht am Jaluflusse die Seewege frei beherrschte. Und selbst wenn es ge¬
länge, einige hunderttausend Mann glücklich nach England zu bringen — wozu
eben auch einige hundert große Transportdampfer gleichzeitig notwendig
wären —, so wären diese von der Verbindung mit der Heimat abgeschnitten
und ohne sichernden Rückhalt einem erbitterten Kampfe preisgegeben, wenn nicht
die Seeherrschaft in den Händen des vereinigten festländischen Europas wäre.

Wir würden, wie gesagt, bei der Kritik derartiger Projekte gar nicht
verweilen, wenn nicht die Gefahr bestünde, daß dadurch das richtige Ziel unsrer
Politik in den Augen der Massen verschleiert oder verrückt werden könnte.
Wer unzulängliche oder unzutreffende Maßnahmen vorschlägt, dient nur den
Gegnern und Feinden einer gesunden und kräftigen Entwicklung von Deutsch¬
lands Weltmacht, die auf einer starken Flotte noch mehr als auf seiner Land¬
macht ruht. Es ist ein Irrtum von verhängnisvoller Tragweite, wenn man
glaubt, daß auch die weiseste Staatskunst ohne die entsprechenden Machtmittel
die Zukunft eines großen Reiches sichern könnte. Gewiß vermag eine geschickte
Hand die Steine auf dem Schachbrett in günstige Konstellation zu bringe«.
Man kann durch kluge Benutzung der Umstände und Personen Rivalen schaffen,
denen gegenüber man die Entscheidung in der Hand hält. Man kann durch
Bündnisse seine eigne Position verstärken und den Gegner isolieren. Aber am
letzten Ende versagen alle diplomatischen Künste, zuletzt geht doch immer hart
auf hart, und dann gilt in der Welt allein die Macht und nichts andres.
Niemand hat dies mehr gewußt und hat mehr danach gehandelt als der größte
Staatsmann aller Zeiten, Fürst Bismarck. Er stand fest zum Könige, als es
das Schwert zu schmieden und zu schürfen galt, das für Kaiserreich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/18>, abgerufen am 15.01.2025.