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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

daß es auch dem fanatischsten Purismus in siebzig Jahren nicht gelingen
konnte, diese "Schandflecke" (um mit den Griechen zu reden) auszurotten,
und auch schwerlich ganz gelingen wird. Denn man kann fast behaupten,
daß trotz aller Gegensätze in Charakter und Temperament der Griechen und
der Türken eine unverkennbare Annäherung beider -- wenn auch nur im
geistigen, nicht im physisch-ethnologischen Sinne -- stattgefunden hat, ja
daß sie auf vielen Gebieten geradezu eine Kulturgemeinschaft bilden, in der
bald die Türken, bald die Griechen die Geber waren. Lebten und leben doch
noch heute zum großen Teile Griechen und Türken in einem und demselben
Lande zusammen, sind aufeinander angewiesen und haben voneinander gelernt,
auch in den friedlichen Künsten des Daseins. In dem, was die Griechen den
Türken zu verdanken haben, können sie getrost eine schätzbare und dauernde
Entschädigung sehen für die politisch und sozial freilich harte und grausame
Knechtschaft. Denn mag der Türke eines modernen politischen, sozialen und
geistigen Fortschritts auch noch so unfähig sein und bleiben, einen bloßen
Barbaren und stumpfsinnigen, aller Intelligenz baren Gesellen darf man ihn
darum doch nicht nennen. Und thun es die Griechen in begreiflicher patrio¬
tischer Leidenschaft dennoch, so müssen sie sich von ihrer eignen Sprache eines
bessern belehren lassen. Übrigens ist dabei nicht zu vergessen, daß die meisten
der aus dem Türkischen in das Griechische eingedrungnen Wörter ihrerseits
auf das Arabische und das Persische zurückgehen, sodaß den Türken selbst nur
das Verdienst der Vermittlung orientalischer Kultur zufällt.

Aus dem Naturleben finden wir zahlreiche türkische Ausdrücke sür
Pflanzen, Mineralien und Tiere. Von Pflanzen besonders Garten- und Zier¬
pflanzen, die uns den Türken als Kunstgärtner zeigen, z, B. Namen für Mai¬
blume, Tulpe, Veilchen, Krokus, Hyazinthe, Jasmin, spanischen Flieder; für
Früchte wie Orange, Dattel, Wassermelone, Johannisbeere, Johannisbrot,
Haselnuß, türkischen Weizen, gelbe Rübe; Holz- und Vaumarten wie Ebenholz
und Buchsbaum; Gewürze und Medizinalpflanzen wie Ingwer, Opium,
Rhabarber. Fast alle Bezeichnungen für Mineralien und Chemikalien, so das
Wort Mine und Bergwerk selbst; ferner für Kupfer, Kitt, Kreide, Feuerstein,
Porzellan; für Koralle und Topas, Ammoniak, Salpeter und Vitriol; Färb¬
stoffe wie Indigo und das Wort für Färbemittel selbst. Der Pharmacie gehört
an das Wort für Pille. Ferner sind türkisch die Namen für verarbeitete
Metalle, wie Blech und Zinn, für Hornarten wie Perlmutter und Elfenbein.
Aus dem Tierreich sind namentlich exotische Tiere zu nennen, wie Affe, Tiger,
Schakal, ferner solche, die bei der Jagd benutzt werden, wie Hengst, Jagdhund,
Edelfalke, endlich noch der Storch.

Die Entlehnung der fremden Tieruamen ist ohne weiteres begreiflich;
schwerer dagegen die der genannten Zierpflanzen, von denen doch die meisten
im alten Griechenland heimisch waren, und die auch bei uns griechische Namen


Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

daß es auch dem fanatischsten Purismus in siebzig Jahren nicht gelingen
konnte, diese „Schandflecke" (um mit den Griechen zu reden) auszurotten,
und auch schwerlich ganz gelingen wird. Denn man kann fast behaupten,
daß trotz aller Gegensätze in Charakter und Temperament der Griechen und
der Türken eine unverkennbare Annäherung beider — wenn auch nur im
geistigen, nicht im physisch-ethnologischen Sinne — stattgefunden hat, ja
daß sie auf vielen Gebieten geradezu eine Kulturgemeinschaft bilden, in der
bald die Türken, bald die Griechen die Geber waren. Lebten und leben doch
noch heute zum großen Teile Griechen und Türken in einem und demselben
Lande zusammen, sind aufeinander angewiesen und haben voneinander gelernt,
auch in den friedlichen Künsten des Daseins. In dem, was die Griechen den
Türken zu verdanken haben, können sie getrost eine schätzbare und dauernde
Entschädigung sehen für die politisch und sozial freilich harte und grausame
Knechtschaft. Denn mag der Türke eines modernen politischen, sozialen und
geistigen Fortschritts auch noch so unfähig sein und bleiben, einen bloßen
Barbaren und stumpfsinnigen, aller Intelligenz baren Gesellen darf man ihn
darum doch nicht nennen. Und thun es die Griechen in begreiflicher patrio¬
tischer Leidenschaft dennoch, so müssen sie sich von ihrer eignen Sprache eines
bessern belehren lassen. Übrigens ist dabei nicht zu vergessen, daß die meisten
der aus dem Türkischen in das Griechische eingedrungnen Wörter ihrerseits
auf das Arabische und das Persische zurückgehen, sodaß den Türken selbst nur
das Verdienst der Vermittlung orientalischer Kultur zufällt.

Aus dem Naturleben finden wir zahlreiche türkische Ausdrücke sür
Pflanzen, Mineralien und Tiere. Von Pflanzen besonders Garten- und Zier¬
pflanzen, die uns den Türken als Kunstgärtner zeigen, z, B. Namen für Mai¬
blume, Tulpe, Veilchen, Krokus, Hyazinthe, Jasmin, spanischen Flieder; für
Früchte wie Orange, Dattel, Wassermelone, Johannisbeere, Johannisbrot,
Haselnuß, türkischen Weizen, gelbe Rübe; Holz- und Vaumarten wie Ebenholz
und Buchsbaum; Gewürze und Medizinalpflanzen wie Ingwer, Opium,
Rhabarber. Fast alle Bezeichnungen für Mineralien und Chemikalien, so das
Wort Mine und Bergwerk selbst; ferner für Kupfer, Kitt, Kreide, Feuerstein,
Porzellan; für Koralle und Topas, Ammoniak, Salpeter und Vitriol; Färb¬
stoffe wie Indigo und das Wort für Färbemittel selbst. Der Pharmacie gehört
an das Wort für Pille. Ferner sind türkisch die Namen für verarbeitete
Metalle, wie Blech und Zinn, für Hornarten wie Perlmutter und Elfenbein.
Aus dem Tierreich sind namentlich exotische Tiere zu nennen, wie Affe, Tiger,
Schakal, ferner solche, die bei der Jagd benutzt werden, wie Hengst, Jagdhund,
Edelfalke, endlich noch der Storch.

Die Entlehnung der fremden Tieruamen ist ohne weiteres begreiflich;
schwerer dagegen die der genannten Zierpflanzen, von denen doch die meisten
im alten Griechenland heimisch waren, und die auch bei uns griechische Namen


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[0171] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen daß es auch dem fanatischsten Purismus in siebzig Jahren nicht gelingen konnte, diese „Schandflecke" (um mit den Griechen zu reden) auszurotten, und auch schwerlich ganz gelingen wird. Denn man kann fast behaupten, daß trotz aller Gegensätze in Charakter und Temperament der Griechen und der Türken eine unverkennbare Annäherung beider — wenn auch nur im geistigen, nicht im physisch-ethnologischen Sinne — stattgefunden hat, ja daß sie auf vielen Gebieten geradezu eine Kulturgemeinschaft bilden, in der bald die Türken, bald die Griechen die Geber waren. Lebten und leben doch noch heute zum großen Teile Griechen und Türken in einem und demselben Lande zusammen, sind aufeinander angewiesen und haben voneinander gelernt, auch in den friedlichen Künsten des Daseins. In dem, was die Griechen den Türken zu verdanken haben, können sie getrost eine schätzbare und dauernde Entschädigung sehen für die politisch und sozial freilich harte und grausame Knechtschaft. Denn mag der Türke eines modernen politischen, sozialen und geistigen Fortschritts auch noch so unfähig sein und bleiben, einen bloßen Barbaren und stumpfsinnigen, aller Intelligenz baren Gesellen darf man ihn darum doch nicht nennen. Und thun es die Griechen in begreiflicher patrio¬ tischer Leidenschaft dennoch, so müssen sie sich von ihrer eignen Sprache eines bessern belehren lassen. Übrigens ist dabei nicht zu vergessen, daß die meisten der aus dem Türkischen in das Griechische eingedrungnen Wörter ihrerseits auf das Arabische und das Persische zurückgehen, sodaß den Türken selbst nur das Verdienst der Vermittlung orientalischer Kultur zufällt. Aus dem Naturleben finden wir zahlreiche türkische Ausdrücke sür Pflanzen, Mineralien und Tiere. Von Pflanzen besonders Garten- und Zier¬ pflanzen, die uns den Türken als Kunstgärtner zeigen, z, B. Namen für Mai¬ blume, Tulpe, Veilchen, Krokus, Hyazinthe, Jasmin, spanischen Flieder; für Früchte wie Orange, Dattel, Wassermelone, Johannisbeere, Johannisbrot, Haselnuß, türkischen Weizen, gelbe Rübe; Holz- und Vaumarten wie Ebenholz und Buchsbaum; Gewürze und Medizinalpflanzen wie Ingwer, Opium, Rhabarber. Fast alle Bezeichnungen für Mineralien und Chemikalien, so das Wort Mine und Bergwerk selbst; ferner für Kupfer, Kitt, Kreide, Feuerstein, Porzellan; für Koralle und Topas, Ammoniak, Salpeter und Vitriol; Färb¬ stoffe wie Indigo und das Wort für Färbemittel selbst. Der Pharmacie gehört an das Wort für Pille. Ferner sind türkisch die Namen für verarbeitete Metalle, wie Blech und Zinn, für Hornarten wie Perlmutter und Elfenbein. Aus dem Tierreich sind namentlich exotische Tiere zu nennen, wie Affe, Tiger, Schakal, ferner solche, die bei der Jagd benutzt werden, wie Hengst, Jagdhund, Edelfalke, endlich noch der Storch. Die Entlehnung der fremden Tieruamen ist ohne weiteres begreiflich; schwerer dagegen die der genannten Zierpflanzen, von denen doch die meisten im alten Griechenland heimisch waren, und die auch bei uns griechische Namen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/171>, abgerufen am 15.01.2025.