Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

Kröte, das Kaninchen, den Truthahn, sowie die Fischnamen Hecht und Lachs¬
forelle. Überblickt man diese Namen, so bemerkt man, daß sie alle solche Tiere
bezeichnen, die im Walde, auf Wiesen und in Flüssen leben. Nun weiß man
aber, daß in Griechenland gerade an Wald und Binnengewässern großer Mangel
ist und schon im spätern Altertum war. Daraus folgt, daß auch die Tiere,
deren Lebensbedingungen Feuchtigkeit, Wald, Wiese und Wasser sind, den
Griechen ziemlich fremd sein und ihnen erst durch die in den Wäldern des
nördlichen Balkans hausenden slawischen Hirten übermittelt werden mußten.
Daher sind auch die Namen für Wald selbst sowie für Sumpf und Wiese
ebenfalls slawisch. Auch einige Pflanzennamen slawischen Ursprungs lassen
erkennen, daß es namentlich solche sind, die in feuchteren Boden gedeihen, be¬
sonders die für Meerzwiebel, Hopfen, Meerrettich, Holunder.

Und fassen wir die Geräte ins Auge, so finden wir folgende: Tonne,
xovM/t, ursprünglich Melkkübel (jetzt Bienenstock), Holzflasche, eine Art
Sieb; Egge, Gerte, Daube, Deichsel, d. h. also durchweg aus Holz
hergestellte Gegenstände, ein Beweis für die geringe Fertigkeit der Griechen
in Holzarbeiten, die ihrerseits wohl wieder eine Folge des herrschenden Holz¬
mangels war. Zugleich sehen wir, daß einige der Geräte dem Ackerbau und
der Viehzucht dienen, wie Egge und Melkkübel; dazu kommen noch andre Aus¬
drücke, die deutlich beweisen, daß die Griechen in diesen beiden Künsten den
Slawen manches verdanken; so den Namen für den Hirten, die Hürde, den
Feldhüter und das Hen, letzteres offenbar wegen des in Griechenland so seltnen
Gras- und Wiesenbodens. Auch manche slawischen Namen für Kleidungsstücke,
besonders für wollne Mäntel und Decken, weisen auf das Hirtenleben hin.
Die übrigen Entlehnungen sind unwesentlicherer Art.

Wir können also zusammenfassend sagen, daß die Slawen den griechischen
Wortschatz um alle die Bezeichnungen bereichert haben, die Wald und Feld
betreffen, sowie die Produkte, die beide hervorbringen, und endlich die Thätig¬
keit, zu der sie den Menschen anhalten, Ackerbau und Viehzucht.

Römer, Slawen, Italiener konnten jedoch zusammengenommen nicht die
tiefe Wirkung auf den griechischen Wortschatz ausüben, wie es die Türken
gethan haben. Und das ist begreiflich, wenn man nicht nur die numerische
Übermacht, die materiellen Machtmittel der Türken, die 375jührige Dauer
ihrer Herrschaft über das griechische Land, sondern auch -- und vor allem --
wenn man die furchtbare geistige Verarmung und Versumpfung der Griechen
selbst in der Zeit nach dem Falle Konstantinopels sowie ihre seit der byzan¬
tinischen Zeit allezeit enge Fühlung mit dem Orient erwägt. Nur so versteht
man es, wenn noch heute im neugriechischen, und zwar im freien Griechen¬
land, gutgerechnet fünfhundert türkische Lehnworte im allgemeinen täglichen
Gebrauche sind. Bis in alle Zweige des materiellen und des geistigen Lebens
ist der türkische Einfluß in der Sprache wahrnehmbar, ist ihr so tief eingeprägt,


Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

Kröte, das Kaninchen, den Truthahn, sowie die Fischnamen Hecht und Lachs¬
forelle. Überblickt man diese Namen, so bemerkt man, daß sie alle solche Tiere
bezeichnen, die im Walde, auf Wiesen und in Flüssen leben. Nun weiß man
aber, daß in Griechenland gerade an Wald und Binnengewässern großer Mangel
ist und schon im spätern Altertum war. Daraus folgt, daß auch die Tiere,
deren Lebensbedingungen Feuchtigkeit, Wald, Wiese und Wasser sind, den
Griechen ziemlich fremd sein und ihnen erst durch die in den Wäldern des
nördlichen Balkans hausenden slawischen Hirten übermittelt werden mußten.
Daher sind auch die Namen für Wald selbst sowie für Sumpf und Wiese
ebenfalls slawisch. Auch einige Pflanzennamen slawischen Ursprungs lassen
erkennen, daß es namentlich solche sind, die in feuchteren Boden gedeihen, be¬
sonders die für Meerzwiebel, Hopfen, Meerrettich, Holunder.

Und fassen wir die Geräte ins Auge, so finden wir folgende: Tonne,
xovM/t, ursprünglich Melkkübel (jetzt Bienenstock), Holzflasche, eine Art
Sieb; Egge, Gerte, Daube, Deichsel, d. h. also durchweg aus Holz
hergestellte Gegenstände, ein Beweis für die geringe Fertigkeit der Griechen
in Holzarbeiten, die ihrerseits wohl wieder eine Folge des herrschenden Holz¬
mangels war. Zugleich sehen wir, daß einige der Geräte dem Ackerbau und
der Viehzucht dienen, wie Egge und Melkkübel; dazu kommen noch andre Aus¬
drücke, die deutlich beweisen, daß die Griechen in diesen beiden Künsten den
Slawen manches verdanken; so den Namen für den Hirten, die Hürde, den
Feldhüter und das Hen, letzteres offenbar wegen des in Griechenland so seltnen
Gras- und Wiesenbodens. Auch manche slawischen Namen für Kleidungsstücke,
besonders für wollne Mäntel und Decken, weisen auf das Hirtenleben hin.
Die übrigen Entlehnungen sind unwesentlicherer Art.

Wir können also zusammenfassend sagen, daß die Slawen den griechischen
Wortschatz um alle die Bezeichnungen bereichert haben, die Wald und Feld
betreffen, sowie die Produkte, die beide hervorbringen, und endlich die Thätig¬
keit, zu der sie den Menschen anhalten, Ackerbau und Viehzucht.

Römer, Slawen, Italiener konnten jedoch zusammengenommen nicht die
tiefe Wirkung auf den griechischen Wortschatz ausüben, wie es die Türken
gethan haben. Und das ist begreiflich, wenn man nicht nur die numerische
Übermacht, die materiellen Machtmittel der Türken, die 375jührige Dauer
ihrer Herrschaft über das griechische Land, sondern auch — und vor allem —
wenn man die furchtbare geistige Verarmung und Versumpfung der Griechen
selbst in der Zeit nach dem Falle Konstantinopels sowie ihre seit der byzan¬
tinischen Zeit allezeit enge Fühlung mit dem Orient erwägt. Nur so versteht
man es, wenn noch heute im neugriechischen, und zwar im freien Griechen¬
land, gutgerechnet fünfhundert türkische Lehnworte im allgemeinen täglichen
Gebrauche sind. Bis in alle Zweige des materiellen und des geistigen Lebens
ist der türkische Einfluß in der Sprache wahrnehmbar, ist ihr so tief eingeprägt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231340"/>
          <fw type="header" place="top"> Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_526" prev="#ID_525"> Kröte, das Kaninchen, den Truthahn, sowie die Fischnamen Hecht und Lachs¬<lb/>
forelle. Überblickt man diese Namen, so bemerkt man, daß sie alle solche Tiere<lb/>
bezeichnen, die im Walde, auf Wiesen und in Flüssen leben. Nun weiß man<lb/>
aber, daß in Griechenland gerade an Wald und Binnengewässern großer Mangel<lb/>
ist und schon im spätern Altertum war. Daraus folgt, daß auch die Tiere,<lb/>
deren Lebensbedingungen Feuchtigkeit, Wald, Wiese und Wasser sind, den<lb/>
Griechen ziemlich fremd sein und ihnen erst durch die in den Wäldern des<lb/>
nördlichen Balkans hausenden slawischen Hirten übermittelt werden mußten.<lb/>
Daher sind auch die Namen für Wald selbst sowie für Sumpf und Wiese<lb/>
ebenfalls slawisch. Auch einige Pflanzennamen slawischen Ursprungs lassen<lb/>
erkennen, daß es namentlich solche sind, die in feuchteren Boden gedeihen, be¬<lb/>
sonders die für Meerzwiebel, Hopfen, Meerrettich, Holunder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_527"> Und fassen wir die Geräte ins Auge, so finden wir folgende: Tonne,<lb/>
xovM/t, ursprünglich Melkkübel (jetzt Bienenstock), Holzflasche, eine Art<lb/>
Sieb; Egge, Gerte, Daube, Deichsel, d. h. also durchweg aus Holz<lb/>
hergestellte Gegenstände, ein Beweis für die geringe Fertigkeit der Griechen<lb/>
in Holzarbeiten, die ihrerseits wohl wieder eine Folge des herrschenden Holz¬<lb/>
mangels war. Zugleich sehen wir, daß einige der Geräte dem Ackerbau und<lb/>
der Viehzucht dienen, wie Egge und Melkkübel; dazu kommen noch andre Aus¬<lb/>
drücke, die deutlich beweisen, daß die Griechen in diesen beiden Künsten den<lb/>
Slawen manches verdanken; so den Namen für den Hirten, die Hürde, den<lb/>
Feldhüter und das Hen, letzteres offenbar wegen des in Griechenland so seltnen<lb/>
Gras- und Wiesenbodens. Auch manche slawischen Namen für Kleidungsstücke,<lb/>
besonders für wollne Mäntel und Decken, weisen auf das Hirtenleben hin.<lb/>
Die übrigen Entlehnungen sind unwesentlicherer Art.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_528"> Wir können also zusammenfassend sagen, daß die Slawen den griechischen<lb/>
Wortschatz um alle die Bezeichnungen bereichert haben, die Wald und Feld<lb/>
betreffen, sowie die Produkte, die beide hervorbringen, und endlich die Thätig¬<lb/>
keit, zu der sie den Menschen anhalten, Ackerbau und Viehzucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_529" next="#ID_530"> Römer, Slawen, Italiener konnten jedoch zusammengenommen nicht die<lb/>
tiefe Wirkung auf den griechischen Wortschatz ausüben, wie es die Türken<lb/>
gethan haben. Und das ist begreiflich, wenn man nicht nur die numerische<lb/>
Übermacht, die materiellen Machtmittel der Türken, die 375jührige Dauer<lb/>
ihrer Herrschaft über das griechische Land, sondern auch &#x2014; und vor allem &#x2014;<lb/>
wenn man die furchtbare geistige Verarmung und Versumpfung der Griechen<lb/>
selbst in der Zeit nach dem Falle Konstantinopels sowie ihre seit der byzan¬<lb/>
tinischen Zeit allezeit enge Fühlung mit dem Orient erwägt. Nur so versteht<lb/>
man es, wenn noch heute im neugriechischen, und zwar im freien Griechen¬<lb/>
land, gutgerechnet fünfhundert türkische Lehnworte im allgemeinen täglichen<lb/>
Gebrauche sind. Bis in alle Zweige des materiellen und des geistigen Lebens<lb/>
ist der türkische Einfluß in der Sprache wahrnehmbar, ist ihr so tief eingeprägt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0170] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen Kröte, das Kaninchen, den Truthahn, sowie die Fischnamen Hecht und Lachs¬ forelle. Überblickt man diese Namen, so bemerkt man, daß sie alle solche Tiere bezeichnen, die im Walde, auf Wiesen und in Flüssen leben. Nun weiß man aber, daß in Griechenland gerade an Wald und Binnengewässern großer Mangel ist und schon im spätern Altertum war. Daraus folgt, daß auch die Tiere, deren Lebensbedingungen Feuchtigkeit, Wald, Wiese und Wasser sind, den Griechen ziemlich fremd sein und ihnen erst durch die in den Wäldern des nördlichen Balkans hausenden slawischen Hirten übermittelt werden mußten. Daher sind auch die Namen für Wald selbst sowie für Sumpf und Wiese ebenfalls slawisch. Auch einige Pflanzennamen slawischen Ursprungs lassen erkennen, daß es namentlich solche sind, die in feuchteren Boden gedeihen, be¬ sonders die für Meerzwiebel, Hopfen, Meerrettich, Holunder. Und fassen wir die Geräte ins Auge, so finden wir folgende: Tonne, xovM/t, ursprünglich Melkkübel (jetzt Bienenstock), Holzflasche, eine Art Sieb; Egge, Gerte, Daube, Deichsel, d. h. also durchweg aus Holz hergestellte Gegenstände, ein Beweis für die geringe Fertigkeit der Griechen in Holzarbeiten, die ihrerseits wohl wieder eine Folge des herrschenden Holz¬ mangels war. Zugleich sehen wir, daß einige der Geräte dem Ackerbau und der Viehzucht dienen, wie Egge und Melkkübel; dazu kommen noch andre Aus¬ drücke, die deutlich beweisen, daß die Griechen in diesen beiden Künsten den Slawen manches verdanken; so den Namen für den Hirten, die Hürde, den Feldhüter und das Hen, letzteres offenbar wegen des in Griechenland so seltnen Gras- und Wiesenbodens. Auch manche slawischen Namen für Kleidungsstücke, besonders für wollne Mäntel und Decken, weisen auf das Hirtenleben hin. Die übrigen Entlehnungen sind unwesentlicherer Art. Wir können also zusammenfassend sagen, daß die Slawen den griechischen Wortschatz um alle die Bezeichnungen bereichert haben, die Wald und Feld betreffen, sowie die Produkte, die beide hervorbringen, und endlich die Thätig¬ keit, zu der sie den Menschen anhalten, Ackerbau und Viehzucht. Römer, Slawen, Italiener konnten jedoch zusammengenommen nicht die tiefe Wirkung auf den griechischen Wortschatz ausüben, wie es die Türken gethan haben. Und das ist begreiflich, wenn man nicht nur die numerische Übermacht, die materiellen Machtmittel der Türken, die 375jührige Dauer ihrer Herrschaft über das griechische Land, sondern auch — und vor allem — wenn man die furchtbare geistige Verarmung und Versumpfung der Griechen selbst in der Zeit nach dem Falle Konstantinopels sowie ihre seit der byzan¬ tinischen Zeit allezeit enge Fühlung mit dem Orient erwägt. Nur so versteht man es, wenn noch heute im neugriechischen, und zwar im freien Griechen¬ land, gutgerechnet fünfhundert türkische Lehnworte im allgemeinen täglichen Gebrauche sind. Bis in alle Zweige des materiellen und des geistigen Lebens ist der türkische Einfluß in der Sprache wahrnehmbar, ist ihr so tief eingeprägt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/170
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/170>, abgerufen am 15.01.2025.