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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Ole kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

sonders für die modernen Fortschritte im Schiffsbau, in denen die Byzantiner
nicht mit der Zeit Schritt gehalten haben, so für einzelne neue Schiffsarten
wie Dampfer, Brigg, Schoner, Fregatte, Flotte, für die Betakelung, wie die
verschiednen Masten, Segel und Taue, endlich für die Kommandorufe. Doch
ist es bezeichnend, daß auch hier der Grundstock griechisch geblieben ist, wie
die Benennung sür Schiff selbst, für Vorder- und Hinterdeck, Mast, Nuder,
Anker, Kapitän, Matrose, kurz für alle primitiven Erfordernisse der Seefahrt.

Der italienische, insbesondre der venetianische Kultureinfluß, dessen Sprach¬
niederschlag wir jetzt weiter zu verfolgen haben, ist von um so größerer Trag¬
weite gewesen, je mehr die byzantinische Kultur in den letzten Jahrhunderten
des Reiches verarmte und erstarrte, und je stärker dagegen die politische und
die geistige Abhängigkeit der Griechen von der romanisch-italienischen Art wurde,
unter der Vyzanz 250 Jahre lang stand. Denn nicht nur im Seewesen waren
die Byzantiner seit dem elften Jahrhundert hinter Westeuropa zurückgeblieben,
sondern auch in den übrigen Künsten und Fertigkeiten des Friedens, sowie
überhaupt in allem, was zu einer behaglichem und verfeinerten Lebensführung
gehört. Besonders deutlich tritt der venetianische Einfluß hervor in Handel
und Industrie. Obwohl der Handels- und Unternehmungsgeist der Griechen
zu keiner Zeit ganz geruht hat, konnten sie ihn -- wohl infolge der unsteten
politischen Verhältnisse des spätern byzantinischen Reichs -- doch nicht zu
der großartigen Entfaltung bringen, wie die mächtigen Kaufherren von
Venedig und Genua, auch beruhte das kaufmännische Talent der spätern
Griechen, gleich dem der Juden, nicht so sehr im Warenhandel als im kleinen
Geldgeschäft. Daraus erklärt es sich auch, daß nur das Wort für "Zinsen"
rein griechisch geblieben ist, während Ausdrücke wie Wechsel, Kapital, Kasse u. a.
italienisch waren und erst künstlich gräzisiert wurden.

Auch in der Baukunst waren die Italiener den Griechen überlegen. So
gab es keine griechische Bezeichnung für Zimmermann und Baumeister, sowie
für deren Handwerkszeug. Alle mußten erst die Italiener wieder einführen,
natürlich mit der betreffenden Kunst selbst. Daher finden wir im neu¬
griechischen italienische Bezeichnungen außer für Balkon und Terrasse auch für
die Säule, die ja in der byzantinischen Architektur sast gar keine Rolle spielte;
ferner für Säge, Richtschnur, Feile, Schraube, Haken, Pinsel, sowie sür Holz¬
gegenstände wie Faß, Bank, Rad, Stuhl, Koffer, Stock, Bürste, Schirm u. a.
Nur für den Rohstoff selbst hat sich das alte griechische erhalten.

Von sonstigen Errungenschaften einer höhern europäischen Kultur gehen auf
italienischen Ursprung zurück Bezeichnungen für moderne Kleidungsstücke, wie
Hut, Beinkleid, Handschul), Fächer, Stiefel, Strumpf, Mütze, von Stoffen nur
die für Sammet. Ferner für feinere Speisen, wie supxa, sglsg,, swllaw, drisolg.,
ooinxvLta, pastÄ, Mg, trutta,, tsttA. Interessant ist, daß man z. B. Kalbsbraten
mit dem italienischen vitello (/?in^o) bezeichnet, während das Kalb selbst im Neu-


Ole kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

sonders für die modernen Fortschritte im Schiffsbau, in denen die Byzantiner
nicht mit der Zeit Schritt gehalten haben, so für einzelne neue Schiffsarten
wie Dampfer, Brigg, Schoner, Fregatte, Flotte, für die Betakelung, wie die
verschiednen Masten, Segel und Taue, endlich für die Kommandorufe. Doch
ist es bezeichnend, daß auch hier der Grundstock griechisch geblieben ist, wie
die Benennung sür Schiff selbst, für Vorder- und Hinterdeck, Mast, Nuder,
Anker, Kapitän, Matrose, kurz für alle primitiven Erfordernisse der Seefahrt.

Der italienische, insbesondre der venetianische Kultureinfluß, dessen Sprach¬
niederschlag wir jetzt weiter zu verfolgen haben, ist von um so größerer Trag¬
weite gewesen, je mehr die byzantinische Kultur in den letzten Jahrhunderten
des Reiches verarmte und erstarrte, und je stärker dagegen die politische und
die geistige Abhängigkeit der Griechen von der romanisch-italienischen Art wurde,
unter der Vyzanz 250 Jahre lang stand. Denn nicht nur im Seewesen waren
die Byzantiner seit dem elften Jahrhundert hinter Westeuropa zurückgeblieben,
sondern auch in den übrigen Künsten und Fertigkeiten des Friedens, sowie
überhaupt in allem, was zu einer behaglichem und verfeinerten Lebensführung
gehört. Besonders deutlich tritt der venetianische Einfluß hervor in Handel
und Industrie. Obwohl der Handels- und Unternehmungsgeist der Griechen
zu keiner Zeit ganz geruht hat, konnten sie ihn — wohl infolge der unsteten
politischen Verhältnisse des spätern byzantinischen Reichs — doch nicht zu
der großartigen Entfaltung bringen, wie die mächtigen Kaufherren von
Venedig und Genua, auch beruhte das kaufmännische Talent der spätern
Griechen, gleich dem der Juden, nicht so sehr im Warenhandel als im kleinen
Geldgeschäft. Daraus erklärt es sich auch, daß nur das Wort für „Zinsen"
rein griechisch geblieben ist, während Ausdrücke wie Wechsel, Kapital, Kasse u. a.
italienisch waren und erst künstlich gräzisiert wurden.

Auch in der Baukunst waren die Italiener den Griechen überlegen. So
gab es keine griechische Bezeichnung für Zimmermann und Baumeister, sowie
für deren Handwerkszeug. Alle mußten erst die Italiener wieder einführen,
natürlich mit der betreffenden Kunst selbst. Daher finden wir im neu¬
griechischen italienische Bezeichnungen außer für Balkon und Terrasse auch für
die Säule, die ja in der byzantinischen Architektur sast gar keine Rolle spielte;
ferner für Säge, Richtschnur, Feile, Schraube, Haken, Pinsel, sowie sür Holz¬
gegenstände wie Faß, Bank, Rad, Stuhl, Koffer, Stock, Bürste, Schirm u. a.
Nur für den Rohstoff selbst hat sich das alte griechische erhalten.

Von sonstigen Errungenschaften einer höhern europäischen Kultur gehen auf
italienischen Ursprung zurück Bezeichnungen für moderne Kleidungsstücke, wie
Hut, Beinkleid, Handschul), Fächer, Stiefel, Strumpf, Mütze, von Stoffen nur
die für Sammet. Ferner für feinere Speisen, wie supxa, sglsg,, swllaw, drisolg.,
ooinxvLta, pastÄ, Mg, trutta,, tsttA. Interessant ist, daß man z. B. Kalbsbraten
mit dem italienischen vitello (/?in^o) bezeichnet, während das Kalb selbst im Neu-


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[0168] Ole kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen sonders für die modernen Fortschritte im Schiffsbau, in denen die Byzantiner nicht mit der Zeit Schritt gehalten haben, so für einzelne neue Schiffsarten wie Dampfer, Brigg, Schoner, Fregatte, Flotte, für die Betakelung, wie die verschiednen Masten, Segel und Taue, endlich für die Kommandorufe. Doch ist es bezeichnend, daß auch hier der Grundstock griechisch geblieben ist, wie die Benennung sür Schiff selbst, für Vorder- und Hinterdeck, Mast, Nuder, Anker, Kapitän, Matrose, kurz für alle primitiven Erfordernisse der Seefahrt. Der italienische, insbesondre der venetianische Kultureinfluß, dessen Sprach¬ niederschlag wir jetzt weiter zu verfolgen haben, ist von um so größerer Trag¬ weite gewesen, je mehr die byzantinische Kultur in den letzten Jahrhunderten des Reiches verarmte und erstarrte, und je stärker dagegen die politische und die geistige Abhängigkeit der Griechen von der romanisch-italienischen Art wurde, unter der Vyzanz 250 Jahre lang stand. Denn nicht nur im Seewesen waren die Byzantiner seit dem elften Jahrhundert hinter Westeuropa zurückgeblieben, sondern auch in den übrigen Künsten und Fertigkeiten des Friedens, sowie überhaupt in allem, was zu einer behaglichem und verfeinerten Lebensführung gehört. Besonders deutlich tritt der venetianische Einfluß hervor in Handel und Industrie. Obwohl der Handels- und Unternehmungsgeist der Griechen zu keiner Zeit ganz geruht hat, konnten sie ihn — wohl infolge der unsteten politischen Verhältnisse des spätern byzantinischen Reichs — doch nicht zu der großartigen Entfaltung bringen, wie die mächtigen Kaufherren von Venedig und Genua, auch beruhte das kaufmännische Talent der spätern Griechen, gleich dem der Juden, nicht so sehr im Warenhandel als im kleinen Geldgeschäft. Daraus erklärt es sich auch, daß nur das Wort für „Zinsen" rein griechisch geblieben ist, während Ausdrücke wie Wechsel, Kapital, Kasse u. a. italienisch waren und erst künstlich gräzisiert wurden. Auch in der Baukunst waren die Italiener den Griechen überlegen. So gab es keine griechische Bezeichnung für Zimmermann und Baumeister, sowie für deren Handwerkszeug. Alle mußten erst die Italiener wieder einführen, natürlich mit der betreffenden Kunst selbst. Daher finden wir im neu¬ griechischen italienische Bezeichnungen außer für Balkon und Terrasse auch für die Säule, die ja in der byzantinischen Architektur sast gar keine Rolle spielte; ferner für Säge, Richtschnur, Feile, Schraube, Haken, Pinsel, sowie sür Holz¬ gegenstände wie Faß, Bank, Rad, Stuhl, Koffer, Stock, Bürste, Schirm u. a. Nur für den Rohstoff selbst hat sich das alte griechische erhalten. Von sonstigen Errungenschaften einer höhern europäischen Kultur gehen auf italienischen Ursprung zurück Bezeichnungen für moderne Kleidungsstücke, wie Hut, Beinkleid, Handschul), Fächer, Stiefel, Strumpf, Mütze, von Stoffen nur die für Sammet. Ferner für feinere Speisen, wie supxa, sglsg,, swllaw, drisolg., ooinxvLta, pastÄ, Mg, trutta,, tsttA. Interessant ist, daß man z. B. Kalbsbraten mit dem italienischen vitello (/?in^o) bezeichnet, während das Kalb selbst im Neu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/168>, abgerufen am 15.01.2025.