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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Angelsachsen und Deutsche in Südamerika

kanntlich verhältnismäßig niedrig, würde aber im Falle einer Zunahme des
landwirtschaftlichen Notstands oder einer industriellen Krisis wohl bedeutend
anschwellen.

Grundbedingung für eine großartige nachhaltige Wirksamkeit deutscher
Kolouisationsthätigkeit im nationalen Sinne ist jedoch, wie schon gesagt worden
ist -- abgesehen von dem Kapital, das sich schon einfinden wird, wenn ein
planmäßiges Vorgehen auf allen Linien erfolgt --, die stärkere Beteiligung
des Nachwuchses aus den gebildeter" Klassen, der kraft seiner höhern Bildung
und Intelligenz und seines stärker ausgeprägten Nationalitätsgefühls eine
führende Stellung unter den Volksgenossen einnehmen und der Sauerteig
unter dem Gemenge von Nationalitäten und Stämmen sein könnte. Diese
Kulturmission kann nicht groß genug aufgefaßt werden, sie ist eine der letzten
welthistorischen Aufgabe", die der deutschen Nation als solcher gestellt wird.
Wenn schon in Nordamerika das Deutschtum dem puritanischen Geiste der
Neu-Englandstaaten gegenüber einen geistig freiern Luftzug in die neugeschaffne
Nation gebracht hat, so müßte sich alles, was an guten Keimen in der
deutschen Volksseele schlummert, unter den günstigen natürlichen Bedingungen
des der gemäßigten und subtropischen Zone ungehörigen Südamerika, wo der
unmittelbare Druck des in seiner einseitigen Starrheit bisher überlegnen Angel-
sachsentums fehlt, in ungeahnter Fülle und Großartigkeit entfalten können.
Was aus der deutschen Rasse drüben werden kann, das ersehen wir zur Ge¬
nüge aus den Mitteilungen, die auf persönlicher Anschauung der südbrasi¬
lischen Verhältnisse beruhen. "Es ist eine wahre Lust zu sehen, wie das junge
Volk hier gedeiht," schreibt ein so nüchterner Beurteiler wie Dr. Wiegand, der
Direktor des Norddeutschen Llohd. "Die Mischung der verschiednen deutschen
Volksstümme führt hier in diesem fruchtbaren Lande, dessen Klima offenbar
den Deutschen zusagt, zu einer Verjüngung der Nasse."

Lassen wir also ruhig die Jankees und Briten ihre Eisenbahnen bauen,
Bergwerke ausbeuten und durch ihre Missionare und Neisepredigerinnen angel¬
sächsische Kultur in den Kreolenstaaten verbreiten. Aber sehen wir zu, daß
wir nicht auch hier zu spät kommen, und mag besonders auch das deutsche
Kapital rechtzeitig eingreifen. Die viel verbreitete Meinung, der Nordameri¬
kaner sei im Hinblick auf die geographischen Verhältnisse von der Vorsehung
zum natürlichen Vormunde des südlichen Kontinents und politischen Erben
der Conquistadoren bestimmt, ist leicht zu widerlegen. Man nehme nur
die Karte zur Hand und messe die Entfernung der Südspitze Englands,
Kap Lizard, von der Ostspitze Südamerikas, Kap Banco, ab, so wird
man finden, daß sie gerade so groß ist, wie die Entfernung von Newyork
dorthin. Gutes und billiges Land ist drüben noch genug zu haben, und
vollends wenn den deutschen Kolonisten solche andrer Abstammung beige¬
mischt sind, wird auch dem Mißtrauen der brasilischen und andrer Nativisten


Grenzboten III 1899 20
Angelsachsen und Deutsche in Südamerika

kanntlich verhältnismäßig niedrig, würde aber im Falle einer Zunahme des
landwirtschaftlichen Notstands oder einer industriellen Krisis wohl bedeutend
anschwellen.

Grundbedingung für eine großartige nachhaltige Wirksamkeit deutscher
Kolouisationsthätigkeit im nationalen Sinne ist jedoch, wie schon gesagt worden
ist — abgesehen von dem Kapital, das sich schon einfinden wird, wenn ein
planmäßiges Vorgehen auf allen Linien erfolgt —, die stärkere Beteiligung
des Nachwuchses aus den gebildeter» Klassen, der kraft seiner höhern Bildung
und Intelligenz und seines stärker ausgeprägten Nationalitätsgefühls eine
führende Stellung unter den Volksgenossen einnehmen und der Sauerteig
unter dem Gemenge von Nationalitäten und Stämmen sein könnte. Diese
Kulturmission kann nicht groß genug aufgefaßt werden, sie ist eine der letzten
welthistorischen Aufgabe«, die der deutschen Nation als solcher gestellt wird.
Wenn schon in Nordamerika das Deutschtum dem puritanischen Geiste der
Neu-Englandstaaten gegenüber einen geistig freiern Luftzug in die neugeschaffne
Nation gebracht hat, so müßte sich alles, was an guten Keimen in der
deutschen Volksseele schlummert, unter den günstigen natürlichen Bedingungen
des der gemäßigten und subtropischen Zone ungehörigen Südamerika, wo der
unmittelbare Druck des in seiner einseitigen Starrheit bisher überlegnen Angel-
sachsentums fehlt, in ungeahnter Fülle und Großartigkeit entfalten können.
Was aus der deutschen Rasse drüben werden kann, das ersehen wir zur Ge¬
nüge aus den Mitteilungen, die auf persönlicher Anschauung der südbrasi¬
lischen Verhältnisse beruhen. „Es ist eine wahre Lust zu sehen, wie das junge
Volk hier gedeiht," schreibt ein so nüchterner Beurteiler wie Dr. Wiegand, der
Direktor des Norddeutschen Llohd. „Die Mischung der verschiednen deutschen
Volksstümme führt hier in diesem fruchtbaren Lande, dessen Klima offenbar
den Deutschen zusagt, zu einer Verjüngung der Nasse."

Lassen wir also ruhig die Jankees und Briten ihre Eisenbahnen bauen,
Bergwerke ausbeuten und durch ihre Missionare und Neisepredigerinnen angel¬
sächsische Kultur in den Kreolenstaaten verbreiten. Aber sehen wir zu, daß
wir nicht auch hier zu spät kommen, und mag besonders auch das deutsche
Kapital rechtzeitig eingreifen. Die viel verbreitete Meinung, der Nordameri¬
kaner sei im Hinblick auf die geographischen Verhältnisse von der Vorsehung
zum natürlichen Vormunde des südlichen Kontinents und politischen Erben
der Conquistadoren bestimmt, ist leicht zu widerlegen. Man nehme nur
die Karte zur Hand und messe die Entfernung der Südspitze Englands,
Kap Lizard, von der Ostspitze Südamerikas, Kap Banco, ab, so wird
man finden, daß sie gerade so groß ist, wie die Entfernung von Newyork
dorthin. Gutes und billiges Land ist drüben noch genug zu haben, und
vollends wenn den deutschen Kolonisten solche andrer Abstammung beige¬
mischt sind, wird auch dem Mißtrauen der brasilischen und andrer Nativisten


Grenzboten III 1899 20
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[0161] Angelsachsen und Deutsche in Südamerika kanntlich verhältnismäßig niedrig, würde aber im Falle einer Zunahme des landwirtschaftlichen Notstands oder einer industriellen Krisis wohl bedeutend anschwellen. Grundbedingung für eine großartige nachhaltige Wirksamkeit deutscher Kolouisationsthätigkeit im nationalen Sinne ist jedoch, wie schon gesagt worden ist — abgesehen von dem Kapital, das sich schon einfinden wird, wenn ein planmäßiges Vorgehen auf allen Linien erfolgt —, die stärkere Beteiligung des Nachwuchses aus den gebildeter» Klassen, der kraft seiner höhern Bildung und Intelligenz und seines stärker ausgeprägten Nationalitätsgefühls eine führende Stellung unter den Volksgenossen einnehmen und der Sauerteig unter dem Gemenge von Nationalitäten und Stämmen sein könnte. Diese Kulturmission kann nicht groß genug aufgefaßt werden, sie ist eine der letzten welthistorischen Aufgabe«, die der deutschen Nation als solcher gestellt wird. Wenn schon in Nordamerika das Deutschtum dem puritanischen Geiste der Neu-Englandstaaten gegenüber einen geistig freiern Luftzug in die neugeschaffne Nation gebracht hat, so müßte sich alles, was an guten Keimen in der deutschen Volksseele schlummert, unter den günstigen natürlichen Bedingungen des der gemäßigten und subtropischen Zone ungehörigen Südamerika, wo der unmittelbare Druck des in seiner einseitigen Starrheit bisher überlegnen Angel- sachsentums fehlt, in ungeahnter Fülle und Großartigkeit entfalten können. Was aus der deutschen Rasse drüben werden kann, das ersehen wir zur Ge¬ nüge aus den Mitteilungen, die auf persönlicher Anschauung der südbrasi¬ lischen Verhältnisse beruhen. „Es ist eine wahre Lust zu sehen, wie das junge Volk hier gedeiht," schreibt ein so nüchterner Beurteiler wie Dr. Wiegand, der Direktor des Norddeutschen Llohd. „Die Mischung der verschiednen deutschen Volksstümme führt hier in diesem fruchtbaren Lande, dessen Klima offenbar den Deutschen zusagt, zu einer Verjüngung der Nasse." Lassen wir also ruhig die Jankees und Briten ihre Eisenbahnen bauen, Bergwerke ausbeuten und durch ihre Missionare und Neisepredigerinnen angel¬ sächsische Kultur in den Kreolenstaaten verbreiten. Aber sehen wir zu, daß wir nicht auch hier zu spät kommen, und mag besonders auch das deutsche Kapital rechtzeitig eingreifen. Die viel verbreitete Meinung, der Nordameri¬ kaner sei im Hinblick auf die geographischen Verhältnisse von der Vorsehung zum natürlichen Vormunde des südlichen Kontinents und politischen Erben der Conquistadoren bestimmt, ist leicht zu widerlegen. Man nehme nur die Karte zur Hand und messe die Entfernung der Südspitze Englands, Kap Lizard, von der Ostspitze Südamerikas, Kap Banco, ab, so wird man finden, daß sie gerade so groß ist, wie die Entfernung von Newyork dorthin. Gutes und billiges Land ist drüben noch genug zu haben, und vollends wenn den deutschen Kolonisten solche andrer Abstammung beige¬ mischt sind, wird auch dem Mißtrauen der brasilischen und andrer Nativisten Grenzboten III 1899 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/161>, abgerufen am 15.01.2025.