Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Angelsachsen und Deutsche in Südamerika Gebiet der Flüsse, die ihre Gewässer dem Laplata zuführen, veranlassen, wie Weniger auf politischem als auf wirtschaftlichem Gebiete bewegen sich die Dem deutschen Wettbewerb, der sich immer unangenehmer fühlbar macht, *) Weitere Beweise für das planmäßige Vorgehen der Union in Südamerika bieten folgende
Thatsachen aus neuster Zeit: die Besuche deS nordnnierikanischen Gesandten und Generalkonsuls in der brasilischen Provinz Minas und den Südstnnten; die Stationierung eines ständigen Geschwaders in Südamerika; das Angebot eines Knpitalistensvndikatü für den Ausbau des Hafens von Montevideo, dessen Annahme von ernster politischer Tragweite wäre; die Bildung einer großen nordameriknnischen Kolonisationsgesellschaft für Bahia; die Erkundung der brasi¬ lischen Flußläufe durch das flachgehende Kanonenboot Wilmington, das unlängst unter Ver¬ letzung der Hoheitsrechte Brasiliens die Einfahrt ins Innere des Amazonasgebiets erzwang. In Buenos Aires hat sich das Philadelphin-Hnndelsmuseum niedergelassen und geht daran, ein Musterlager nordameriknnischcr Erzeugnisse im grössten Stil zu errichten. In Paraguay laufen bei dem nordamerikanischen .Konsulat in Asuncion fortwährend zahlreiche Anfragen über industrielle Unternehmungen u. a. ein, mas der "Paraguay-Rundschau" den Stoßseufzer aus¬ preßt: "Es klingt vielleicht allmählich lächerlich, wenn wir an jede derartige Nachricht die Arage knüpfen: Und wo bleibt der deutsche Michel? Aber ist sie nicht jedesmal mehr berechtigt?" Daß übrigens die der Unabhängigkeit der Kreolcnstaaten drohende Gefahr diesen immer mehr zum Bewußtsein kommt, geht aus dem neustcus gemeldeten Versuch der argentinischen Negierung hervor, die vier östlichen südamerikanischen Republiken zu einem Schutzbündnis zusammen¬ zuschließen. Angelsachsen und Deutsche in Südamerika Gebiet der Flüsse, die ihre Gewässer dem Laplata zuführen, veranlassen, wie Weniger auf politischem als auf wirtschaftlichem Gebiete bewegen sich die Dem deutschen Wettbewerb, der sich immer unangenehmer fühlbar macht, *) Weitere Beweise für das planmäßige Vorgehen der Union in Südamerika bieten folgende
Thatsachen aus neuster Zeit: die Besuche deS nordnnierikanischen Gesandten und Generalkonsuls in der brasilischen Provinz Minas und den Südstnnten; die Stationierung eines ständigen Geschwaders in Südamerika; das Angebot eines Knpitalistensvndikatü für den Ausbau des Hafens von Montevideo, dessen Annahme von ernster politischer Tragweite wäre; die Bildung einer großen nordameriknnischen Kolonisationsgesellschaft für Bahia; die Erkundung der brasi¬ lischen Flußläufe durch das flachgehende Kanonenboot Wilmington, das unlängst unter Ver¬ letzung der Hoheitsrechte Brasiliens die Einfahrt ins Innere des Amazonasgebiets erzwang. In Buenos Aires hat sich das Philadelphin-Hnndelsmuseum niedergelassen und geht daran, ein Musterlager nordameriknnischcr Erzeugnisse im grössten Stil zu errichten. In Paraguay laufen bei dem nordamerikanischen .Konsulat in Asuncion fortwährend zahlreiche Anfragen über industrielle Unternehmungen u. a. ein, mas der „Paraguay-Rundschau" den Stoßseufzer aus¬ preßt: „Es klingt vielleicht allmählich lächerlich, wenn wir an jede derartige Nachricht die Arage knüpfen: Und wo bleibt der deutsche Michel? Aber ist sie nicht jedesmal mehr berechtigt?" Daß übrigens die der Unabhängigkeit der Kreolcnstaaten drohende Gefahr diesen immer mehr zum Bewußtsein kommt, geht aus dem neustcus gemeldeten Versuch der argentinischen Negierung hervor, die vier östlichen südamerikanischen Republiken zu einem Schutzbündnis zusammen¬ zuschließen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231326"/> <fw type="header" place="top"> Angelsachsen und Deutsche in Südamerika</fw><lb/> <p xml:id="ID_481" prev="#ID_480"> Gebiet der Flüsse, die ihre Gewässer dem Laplata zuführen, veranlassen, wie<lb/> ihn die Union in den ans den Ausbruch des kalifornischen Goldfiebers im<lb/> Jahre 1848 folgenden zwei Jahrzehnten sehr zum Vorteil ihrer bisher brach<lb/> liegenden westlichen Ländergebiete gesehen hat.*)</p><lb/> <p xml:id="ID_482"> Weniger auf politischem als auf wirtschaftlichem Gebiete bewegen sich die<lb/> Fortschritte Englands auf dem südamerikanischen Boden. Daß englisches Kapital<lb/> hier überall, wo Geschäfte zu machen sind, schon lange rührig an der Arbeit<lb/> ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Besondre Berücksichtigung verdient aber<lb/> doch das Verhältnis des großen Handelsmanns im Norden zu den beiden ge¬<lb/> waltigsten Staatengebilden Südamerikas, zu Argentinien und Brasilien. Im<lb/> Jahre 1890 konnte der Engländer W. Graham in einem Vortrag über den<lb/> englischen Einfluß in Argentinien dem wirklichen Thatbestand entsprechend be¬<lb/> haupten, daß mehr als vierzig Prozent der in die argentinischen Häfen ein¬<lb/> laufenden Seeschiffe unter britischer Flagge fuhren, daß 34 Prozent des<lb/> argentinischen Einfuhrhandels in Waren bestanden, die aus England kamen<lb/> — darunter jedenfalls nicht wenige deutscheu Ursprungs —, daß 17 Prozent<lb/> aller aus Argentinien ausgeführten Waren und Rohstoffe nach England gingen,<lb/> daß fast alle Eisenbahnen, Straßenbahnen, Wasserleitnngswerke, Gasgesellschaften<lb/> und Hufen entweder in den Händen von Gesellschaften waren, deren Direktorium<lb/> in London saß, oder durch Kapital gebaut und begründet wurden, das auf<lb/> dem englischen Geldmarkt aufgebracht war, daß endlich unter den Geldinstituten<lb/> der Hauptstadt die englischen an der Spitze standen.</p><lb/> <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Dem deutschen Wettbewerb, der sich immer unangenehmer fühlbar macht,<lb/> sucht man auf jede mögliche Weise das Wasser abzugraben, was sich unter<lb/> anderm in den Versuchen zeigt, eine Monopolisierung des Viehmarkts für eng-</p><lb/> <note xml:id="FID_34" place="foot"> *) Weitere Beweise für das planmäßige Vorgehen der Union in Südamerika bieten folgende<lb/> Thatsachen aus neuster Zeit: die Besuche deS nordnnierikanischen Gesandten und Generalkonsuls<lb/> in der brasilischen Provinz Minas und den Südstnnten; die Stationierung eines ständigen<lb/> Geschwaders in Südamerika; das Angebot eines Knpitalistensvndikatü für den Ausbau des<lb/> Hafens von Montevideo, dessen Annahme von ernster politischer Tragweite wäre; die Bildung<lb/> einer großen nordameriknnischen Kolonisationsgesellschaft für Bahia; die Erkundung der brasi¬<lb/> lischen Flußläufe durch das flachgehende Kanonenboot Wilmington, das unlängst unter Ver¬<lb/> letzung der Hoheitsrechte Brasiliens die Einfahrt ins Innere des Amazonasgebiets erzwang.<lb/> In Buenos Aires hat sich das Philadelphin-Hnndelsmuseum niedergelassen und geht daran, ein<lb/> Musterlager nordameriknnischcr Erzeugnisse im grössten Stil zu errichten. In Paraguay laufen<lb/> bei dem nordamerikanischen .Konsulat in Asuncion fortwährend zahlreiche Anfragen über<lb/> industrielle Unternehmungen u. a. ein, mas der „Paraguay-Rundschau" den Stoßseufzer aus¬<lb/> preßt: „Es klingt vielleicht allmählich lächerlich, wenn wir an jede derartige Nachricht die Arage<lb/> knüpfen: Und wo bleibt der deutsche Michel? Aber ist sie nicht jedesmal mehr berechtigt?"<lb/> Daß übrigens die der Unabhängigkeit der Kreolcnstaaten drohende Gefahr diesen immer mehr<lb/> zum Bewußtsein kommt, geht aus dem neustcus gemeldeten Versuch der argentinischen Negierung<lb/> hervor, die vier östlichen südamerikanischen Republiken zu einem Schutzbündnis zusammen¬<lb/> zuschließen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Angelsachsen und Deutsche in Südamerika
Gebiet der Flüsse, die ihre Gewässer dem Laplata zuführen, veranlassen, wie
ihn die Union in den ans den Ausbruch des kalifornischen Goldfiebers im
Jahre 1848 folgenden zwei Jahrzehnten sehr zum Vorteil ihrer bisher brach
liegenden westlichen Ländergebiete gesehen hat.*)
Weniger auf politischem als auf wirtschaftlichem Gebiete bewegen sich die
Fortschritte Englands auf dem südamerikanischen Boden. Daß englisches Kapital
hier überall, wo Geschäfte zu machen sind, schon lange rührig an der Arbeit
ist, braucht kaum erwähnt zu werden. Besondre Berücksichtigung verdient aber
doch das Verhältnis des großen Handelsmanns im Norden zu den beiden ge¬
waltigsten Staatengebilden Südamerikas, zu Argentinien und Brasilien. Im
Jahre 1890 konnte der Engländer W. Graham in einem Vortrag über den
englischen Einfluß in Argentinien dem wirklichen Thatbestand entsprechend be¬
haupten, daß mehr als vierzig Prozent der in die argentinischen Häfen ein¬
laufenden Seeschiffe unter britischer Flagge fuhren, daß 34 Prozent des
argentinischen Einfuhrhandels in Waren bestanden, die aus England kamen
— darunter jedenfalls nicht wenige deutscheu Ursprungs —, daß 17 Prozent
aller aus Argentinien ausgeführten Waren und Rohstoffe nach England gingen,
daß fast alle Eisenbahnen, Straßenbahnen, Wasserleitnngswerke, Gasgesellschaften
und Hufen entweder in den Händen von Gesellschaften waren, deren Direktorium
in London saß, oder durch Kapital gebaut und begründet wurden, das auf
dem englischen Geldmarkt aufgebracht war, daß endlich unter den Geldinstituten
der Hauptstadt die englischen an der Spitze standen.
Dem deutschen Wettbewerb, der sich immer unangenehmer fühlbar macht,
sucht man auf jede mögliche Weise das Wasser abzugraben, was sich unter
anderm in den Versuchen zeigt, eine Monopolisierung des Viehmarkts für eng-
*) Weitere Beweise für das planmäßige Vorgehen der Union in Südamerika bieten folgende
Thatsachen aus neuster Zeit: die Besuche deS nordnnierikanischen Gesandten und Generalkonsuls
in der brasilischen Provinz Minas und den Südstnnten; die Stationierung eines ständigen
Geschwaders in Südamerika; das Angebot eines Knpitalistensvndikatü für den Ausbau des
Hafens von Montevideo, dessen Annahme von ernster politischer Tragweite wäre; die Bildung
einer großen nordameriknnischen Kolonisationsgesellschaft für Bahia; die Erkundung der brasi¬
lischen Flußläufe durch das flachgehende Kanonenboot Wilmington, das unlängst unter Ver¬
letzung der Hoheitsrechte Brasiliens die Einfahrt ins Innere des Amazonasgebiets erzwang.
In Buenos Aires hat sich das Philadelphin-Hnndelsmuseum niedergelassen und geht daran, ein
Musterlager nordameriknnischcr Erzeugnisse im grössten Stil zu errichten. In Paraguay laufen
bei dem nordamerikanischen .Konsulat in Asuncion fortwährend zahlreiche Anfragen über
industrielle Unternehmungen u. a. ein, mas der „Paraguay-Rundschau" den Stoßseufzer aus¬
preßt: „Es klingt vielleicht allmählich lächerlich, wenn wir an jede derartige Nachricht die Arage
knüpfen: Und wo bleibt der deutsche Michel? Aber ist sie nicht jedesmal mehr berechtigt?"
Daß übrigens die der Unabhängigkeit der Kreolcnstaaten drohende Gefahr diesen immer mehr
zum Bewußtsein kommt, geht aus dem neustcus gemeldeten Versuch der argentinischen Negierung
hervor, die vier östlichen südamerikanischen Republiken zu einem Schutzbündnis zusammen¬
zuschließen.
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